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Ausgabe:

1988

Spalte:

374-375

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Surin, Kenneth

Titel/Untertitel:

Theology and the problem of evil 1988

Rezensent:

Suda, Max Joseph

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Friedensliebe entstand dann mit dem Humanismus (S. 42 IT). Jetzt
wurde auch die Überzeugung vertreten, die individuelle Vernunft-als
..Tochter Gottes" - sollte an die Stelle der lehramtlichen Autorität
treten. Mit der Reformation waren ähnliche Entscheidungen wie mit
Auguslin verbunden: zunächst vertrauten die Reformatoren der
Macht der Argumente. Dann erfolgte die bekannte Wende gegen
Bauern, Schwärmer und Juden. Die für dieses Phänomen verwendete
Deutekalcgoric ist die der „prophetischen Intoleranz" (S. 47 f)-

Die epochale Wende ist mit der Aufklärung gegeben. Mit Lessing
und anderen geht es jetzt nicht mehr nur um die Setzung eines Rechtssubjekts
, dem Toleranz zu gewähren wäre, sondern es geht um Toleranz
als religiöses Prinzip und als sittliche Haltung (S. 56ff). Tolcranz-
gesetze haben dann auch die Lage von Minderheiten entscheidend
verbessert. Die neuzeitliche Entwicklung wird vom Autor dann bis zu
den bekannten Ergebnissen des Vatikanums II dargestellt: hier erfolgt
nun auch der Anschluß der katholischen Kirche an den neuzeitlichen
frei hei tsbegri ff. Beachtlich ist die Spannweite der Aussagen von
Leo XIII.. zu Pius XII.. zu Johannes XXIII. (S. 62-76)

Der Darstellung der historischen Epochen folgt eine ideenge-
Khichtliche Problcmskizze (S. 76ff: Dogmatismus - Relativismus,
Autoritarismus - Liberalismus, Konformismus - Individualismus,
Moralismus - Pragmalismus). Zur Problematik des christlichen Ab-
solutheitsanspruchs wird (S. 90ff) die These von Ulrich Mann positiv
bewertet, der Absolutheitsanspruch dürfe immer nur mit seinem
Korrektiv - der Toleranz - vertreten werden! Weiter werden auch
Argumente von Martin Buber als weiterführend dargestellt (Ich-Du-
Beziehung).

Im Hauptteil II geht es um die psychologisch-anthropologischen
Argumente (S. 227-359). Dieser Teil enthält auch beachtliche Vermittlungsversuche
von angloamerikanischcn Forschungen an den
deutschen Sprachraum. Dabei geht es hauptsächlich um die Probleme
der „autoritären Persönlichkeit". Entscheidend sind hier Autoren wie
F~ Fromm. A. H. Maslow, B. Bcttclheim, M. Janowitz, J. G. Martin.
E- Frenkel-Brunswik; Hintcrgrundscinllüssc kommen aus der Frankfurter
Schule. Der Höhepunkt dieser Forschungen ist mit M. Ro-
keachs These zur „Toleranz als Strukturmonient kognitiver Systeme"
erreicht (S. 290111. Ich nenne hier nur zwei wichtige Werke Rokcachs:
f he open and closed mind, New York i960 und Bclicfs.attitudcs. and
valucs. San Francisco 1969. Die Fülle der Aspekte, die nun mit diesen
Forschungen berücksichtigt werden, ist kaum auf einen Nenner zu
bringen. Es geht um ein hohes Mcthodcnbcwußtscin. das sowohl empirische
wie sozial psychologische Aspekte berücksichtigt: Verflochtenheit
des Begriffs Toleranz. Unschärfen. die Variable „Situation",
ethnozentrische Gesichtspunkte, kognitive Fragestellungen, soziale
Bedingtheiten usw. Mit diesen Methoden wird ein umfassendes Orientierungssystem
für Individuen und Gruppen erreicht. Inhaltlich geht
Cs um Überzeugungen, die eine Person oder Gruppe zu einer beinhalten
Zeil in bezug auf ihre Umwelt für richtig hält und die sie
durchzusetzen versucht. Die empirisch-sozialpsychologischcn Ansätze
führen zu einem bestimmten Menschenbild: es geht um den
'dealtypus des rational-bestimmten Menschen. Für diesen Idealtypus
w,rd auch berücksichtigt, daß die entscheidenden Prägungen, die
dann die Haltungen bestimmen, frühkindlich erfolgen. Die Ziel-
Vorstellung ist an einem Typus orientiert, der sich durch Abwesenheit
von Vorurteilen, durch die Aufarbeitung einer starren Über-Ich-
S'ruktur (im Sinne Freuds), durch die Bereitschaft, einen Reifcwcg zu
betreten, durch vollmenschliche Bcziehungslähigkeit auszeichnet,
^er Ciegcnlypus wäre in der engstirnigen Persönlichkeit zu sehen: in
Gruppen ginge es um die Dominanz von Übcrzcugungssystcmcn. die
s,ch negativ abgrenzen und lur die auch Aggressivität und Zwang eingesetzt
werden. Wichtig ist die Feststellung des Zusammenhangs
'wischen Engstii nigkcil. Negativabgrenzungen und Angst.

Die hier skizzierten Ansätze bemühen sich um genaue Diffcrenzie-
rungen. um nicht einer Schwarzweißstruklur zu erliegen. Dazu ein
Beispiel: die lineare Verflochten heil von Religion und Intoleranz ist
abzulehnen und durch einen „komplexen Bezug" zu ersetzen

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(S. 353IT). Zwar werden intolerante Menschen oft einem Dogmatismus
huldigen: es gibt aber auch Positionen, die als „orthodox" anzusprechen
sind, wobei „Orthodoxie" mit Toleranz vereinigt wird.

Im Hauptteil III geht cs um die „Christliche Ethik auf dem Weg der
Toleranz" (S. 359-406). Der Vf. vertritt ein Interesse, nach dem
Toleranz im Räume des Christentums nicht nur Epiphänomen einer
Anpassung an die Aufklärung sein sollte, sondern es sollten immanente
Befreiungsansätze im Christentum zu einem Konzept der Toleranz
rühren. Der Autor vermag, sowohl für biblische wie für historische
Zusammenhänge auf solche Ansätze aufmerksam zu machen.
Als Bereiche, wo diese Ansätze nur schwer zu einer Wirkungs-
geschichte kamen, nennt er die Ekklesiologie und die Morallehrc.
Weiter weist er auf das von Marcuse dargestellte Problem der „repressiven
Toleranz", wo sich ideale, christliche Haltungen in verkappten
Formen mit Intoleranz verbinden (S. 365). In diesem Zusammenhang
kritisiert der Autor auch den Begriff von Kirche als der „vollkommenen
Gesellschaft" (S. 267).

Der fundamental-theologische Ansatz zu einem christlichen Toleranzprinzip
wäre in der Vorordnung des Bundes Gottes mit seinem
Volk vor dem Gesetz, dann in der Verinnerlichung der Bundesverpflichtung
und schließlich in der Vorordnung der schenkenden
Liebe Gottes vor der Forderung an den Menschen zu sehen. Damit

entsteht dann die These:.....die in der Offenbarung eröffnete Heils-

geschichte ist im Wesentlichen eine BeziehungsrGcschichte" (S. 371).
Das Glück des Menschen hängt damit davon ab. wie es diesem
Menschen gelingt, befriedigende und ganzheitlichc Beziehungen zu
sich und zu seiner Umwelt herzustellen (S. 379). Eine Kultur der
Beziehung impliziert unaufgebbar eine Ethik der Toleranz. Ich nenne
abschließend einige Themen, die das Toleranzprinzip charakterisieren
: Die Paradoxic des besitzlosen Gewinns - die Dramaturgie des
guten Ausgangs- von der Eupraxie des Muts zur Angst usw.

Zur Einordnung und Kritik des Werkes nur wenige Bemerkungen:
Sowohl die Analysen wie die Zielvorstcllungen des Autors konvergieren
stark mit Überzeugungen der aktuellen, humanistischen
Psychologie. Solche Konvergenzen erscheinen heute sinnvoll, weil cs
nicht mehr um ein christlich-ausgesondcrlcs Menschenbild gehen
kann, sondern um den Dialog /wischen Christentum und philosophischen
und psychologischen Menschenbildern. Der Teilkonsens mit
säkularen Wegen psychischer und geseilte haftlicher Befreiung ist
heule unaufgebbar. Teilkonsens deswegen, weil die Motivationen im
christlichen Glauben und in säkularen Haltungen verschieden sind.
Schwierigkeiten der humanistischen Psychologie sehe ich in einer
gewissen Thcoricschwächc: Vertreter dieser Psychologie argumentieren
oft nur appcllativ. Empathie wird oft als symbiotischc Struktur
verstanden. Kann man damit der „Andcrshcit des Anderen" standhalten
und sie aufarbeiten? Kann damit das gesellschaftliche Vorurteil
gegen den Anderen (bis hin zur Problematik der Feindbilder) bewältigt
werden? Ich verweise hier auf die „Theorie der existentiellen
Praxis" im Sinne von Michael Theunisscn (Der Andere. Studien zur
Sozialontologie der Gegenwart. Berlin 1965). Die vertiefende Argumentation
, die Theunisscn vertritt, vermag - wie mir scheint - die
Thcoricschwächc der humanistischen Psychologie zu überwinden. Es
geht dabei um differenzierende Argumente zu folgenden Problem-
kreisen: Intersubjektivität, Vermittlung des Anderen durch Welt. Vermittlung
des Anderen durch mich (z. B. auch über die Dimension des
Leibes). Intentionalität. Zwischen (im Sinne der personalen Philosophie
). Mittsein. Unterscheidung von Ich-Du und Ich-Es. Unaufgeb-
barkeit der Ncgativität des Du.

Wien KurlLüthi

Surin. Kenncth: TheeJogy and the Problem <>f Evil. Oxford: Black well
1986. XII. 180 S. 8- = Signposts in Thcology. Kart. £ 6.95.

Schon daß die Frage nach dem Sinn des Bösen bisher so verschieden
geartete Antworten gefunden hat, legt den Verdacht nahe, sie sei noch

Theologische Litcraturzcitung 113. Jahrgang W88 Nr. 5