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Ausgabe:

1988

Spalte:

371-372

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Evangelische Schriftauslegung 1988

Rezensent:

Marschner, Ralf

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Seite 1

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371

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 5

372

relle Fragen ventiliert, wobei die Entwürfe unterschiedliche Akzente
setzen. Auch bei der Kirchcnfrage und der Frage des Religionsunterrichts
in den Schulen werden Unterschiede deutlich. Die Grundsätzliche
Erklärung vom 27. Mai 1942 hat im Blick auf Kontakte zur
evangelischen Kirche (Bischof Wurm) und zur katholischen Kirche
(Bischof Preysing) die beiderseitige konfessionelle Interessen läge vermittelnd
zu berücksichtigen gesucht (124ff). Daß die staatliche Schule
als christliche Schule mit Religionsunterricht als Pflichtfach beider
Konfessionen gilt, hat schon E. Gerstenmaier als Kompromißformel
in einem nie gelösten Konflikt unterschiedlicher schulpolitisch-
kirchlicher Konzeptionen bezeichnet (126, A. 50). Frühere Entwürfe
hatten stärker die Trennung von Kirche und Staat und die kirchliche
Autonomie für die Ausbildung der Geistlichen zur Diskussion gestellt
(z. B. 88ff).

Bei den ,.Grundsätzen für die Neuordnung", nach vielen Revisionen
am 9. August 1943 fixiert, als „Kurzforrhel des Kreisauer
Kreises" charakterisiert, werden die handschriftlichen Korrekturen
Delps, die in der Zweitfassung nur teilweise übernommen wurden, als
editorische Anmerkungen eingebracht (322-335). Delp befürchtete,
daß die das Bekenntnis zum Christentum enthaltende Präambel zu
einseitig und zu eng sei und vielen Menschen, mit denen eine Begegnung
und Zusammenarbeit auf dem Boden des Naturrechts möglich
sei, der Zugang und die Mitarbeit erschwert werde. Delp empfahl
„Christentum" als Grundlage für die sittliche und religiöse Erneuerung
in der Präambel durch ..Naturrecht, das im Christentum seine
Vollendung und die Garantie seines Bestandes erfährt", zu ersetzen.
Tatsächlich gibt es Kontroversen, ob die Präambel mit der uneingeschränkten
Betonung des Christentums als Grundlage der Neuordnung
von den Sozialisten im Kreisauer Kreis mitgetragen worden
sei (Verweis auf Kurt Finker, Graf Moltke und der Kreisauer Kreis,
Berlin/DDR 1978, 231 f; auch auf Ger van Roon: Neuordnung im
Widerstand, München 1976, 256). Der - wenn auch sparsame -
Verweis auf die einschlägige monographische Literatur des deutschen
Widerstands gegen Hitler ist auch sonst konstatierbar. Literaturverzeichnis
und Personen- wie Sachregister als Benutzungshilfsmittel
sind beigegeben.

Neben der Präsenz der wichtigsten Texte in ihrem Entstehungsprozeß
vermittelt der Band auf neue Weise Einblick in Denken und
Planen einer wichtigen Widerstandsgruppe im Dritten Reich.

Leipzig Kurl Meier

Systematische Theologie: Allgemeines

Cochlovius, Joachim, u. Peter Zimmerling [Hg.]: Evangelische
Schriftauslegung. Ein Quellen- und Arbeitsbuch für Studium und
Gemeinde. Geistliches Rüstzentrum Krelingen. Wuppertal: Brockhaus
1987. 518 S. 8° = TVG, Monographien und Studienbücher,
329. Kart. DM 37,50.

Ad fontes, riefen die Humanisten, als die Grundlagen der Kultur
und des Glaubens im Gestrüpp der Traditionen unterzugehen drohten
. Ist auch heute, angesichts der Vielzahl theologisch-hcrmeneu-
tischer Literatur, angesichts der Pluralität der vorgeschlagenen Wege
und Modelle, eine Rückbesinnung auf die Quellen der Diskussion
erforderlich?

Der naheliegende Gedanke, daher ein Arbeits- und Quellenbuch
zur theologischen Hermeneutik zu veröffentlichen, das Theologen
und Nichttheologen gleichermaßen einen Zugang zu einschlägigen
Texten aus Geschichte und Gegenwart verschaffen soll, ist aus der
Arbeit des,,Geistlichen Rüstzentrums Krelingen" entstanden.

In sieben Kapiteln stellen die Hgg. in einer Auswahl Positionen
evangelischer Schriftauslcgung, d. h. „evangeliumsgemäßer" Hermeneutik
vor. Kap. I bietet einen thcologiegeschichtlichen Querschnitt
von Luther bis in die Gegenwart. Kap. 2 will die „Diskussion um die
historisch-kritische Schriftauslegung" (inklusive Gegenpositionen)

vorstellen. Im 3. Kap. kommen philosophische Entwürfe zur Hermeneutik
zum Abdruck (bis auf die hier etwas deplazierlen Referate von
Künneth und Michel). Kap. 4 bietet drei Beiträge aus Philologie und
Linguistik, die angesichts der gerade in den letzten Jahren entstandenen
Literaturfülle ziemlich dürftig wirken. Um dem Benutzer des
Buches die Orientierung zu erleichtern, sind den Textauszügen
größtenteils „Kommentare" oder „Arbeitsanleitungen" hinzugefügt.
Das eigentliche Herz des Buches schlägt aber in Kap. 5 und 7, wo
„Wege zu evangelischer Schriftauslegung" vorgeschlagen und durch-
exerziert werden. D. Hühnlein stellt „Tendenzen der Hermeneutik
des Alten Testaments" (397-409) vor und verweist dabei vor allem
auf das Desiderat einer gesamtbiblischen Theologie. In ähnliche Richtung
verweist (). Michel auf „Die hebräischen Wurzeln des Neuen
Testaments" (410-415). Auf Grundlage von 1 Kor 1,18-2,16 geht
R. Riesner in „Der Christus-Offenbarung nach-denken" (416-423) speziell
der paulinischen Hermeneutik nach. Beachtlich ist auch der (nachgedruckte
) Aufsatz von R. SIenczka „Schrift - Tradition - Kontext"
(424-433), der die Problematik des Schriftprinzips im ökumenischen
Rahmen erörtert. Abschließend referiert J. Cochlovius in „Evangelische
Schriftauslcgung- Grundlage, Gelährdung, Praxis" (434-453) über die
Möglichkeil einer gezielt christologischen Hermeneutik.

Ein Buch ersetzt keine Bibliothek und eine „Arbeitsanleitung" kein
gründliches Quellenstudium. Es kann ja auch nur teilweise reflektiert
werden (so fehlen ganze Bereiche, wie z. B. die altprotestantische
Orthodoxie), und jede Auswahl trägt die Handschrift des Auswählenden
(wie die Hgg. selbst schreiben. 14). Aber diesen subjektiven und
partiellen Charakter beachtend, kann dieses Buch nicht mehr und
nicht weniger als einen sinnvollen Einstieg in die gebotene Reflexion
zum Fundament der Schrift für Glaube und Theologie bieten.

Leipzig Ralf Marschncr

Blattncr. Jürgen: Toleranz als Strukturprinzip. Ethische und psychologisch
« Studien zu einer christlichen Kultur der Beziehung. Frei-
burg-Basel-Wien: Herder 1985. 478 S. 8" = Freiburger theologische
Studien, 129. Kart. DM 58,-.

In einer Epoche, für die es entscheidend ist, ob sie eine Kultur des
Friedens zu finden vermag, ist es sinnvoll, die Idee der Toleranz, historisch
und systematisch aufzuarbeiten. Das ist nun in dieser Dissertation
, die in der Katholisch-Theologischen Albert-Ludwigs-Uni-
versität in Freiburg (Schweiz) entstanden ist (Betreuer: Bernhard
Stoecklc). in einem umfassenden Ansatz geschehen.

Die Untersuchung geht von etymologischen Erwägungen aus. und
sie zeigt dann die Bedeutungsbreite und den Bedeutungswandel des
Begriffs. Zum Verständnis sind die Querverbindungen zu Menschenrechten
, Sclbstfindung und Befreiung wichtig; damit meint der Begriff
nicht nur ein passives „Ertragen" und „Tolerieren", sondern es geht
auch um aktive Tugenden: das Leben durchstehen, dem Anderen
Räume verschallen. Einfühlung in den Anderen, Kultur der Beziehungen
usw. (S. 17-29).

Im Hauptteil 1 (Theologisch-philosophische Argumentation
S. 29-227) geht es um historische und systematische Gesichtspunkte.
Für das alte Christentum gibt es die charakteristische Spannung
zwischen der Forderung der Toleranz, für das zunächst verfolgte
Christentum und der Gewährung von Toleranz z. B. an Heiden.
Juden und Häretiker. Augustins Position ist zuerst vom Willen zur
überzeugenden Argumentation und von der Tugend der Geduld
bestimmt (S. 3411). Dann aber erfolgte die Wende zur Intoleranz, zur
Bejahung einer Politik des Zwangs und zur Inanspruchnahme staatlicher
Gesetzgebung gegen die Häresie (vgl. den Stellenwert des
„cogite intrare" nach Lk 14,23). Augustins Wende zur Intoleranz
hatte im Mittelalter eine umfassende und starke Wirkungsgeschichtc.
Nur dort, wo im Mittelalter Tendenzen zu einer Univcrsalreligion
oder zu einer natürlichen Religion vertreten wurden, deutete sich zugleich
das Toleranzprinzip an (S. 3911). Eine Bewegung für Irenik und