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Ausgabe:

1988

Spalte:

370-371

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Dossier: Kreisauer Kreis 1988

Rezensent:

Meier, Kurt

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369 Theologische Litcraturzcitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 5

(24). Religion ist für B. „ein Inbegriff solcher Wahrheiten, die uns zu
Tugend und Glückseligkeit führen"'. Die Reden gehen davon aus.
daß unter allen positiven Religionen die recht verstandene katholische
diese Bedingung wie keine andere erfüllt, weil alle ihre ethischen
Aufstellungen hinsichtlich ihres normativen Gehaltes mit den Forderungen
des Sittengesetzes zusammenstimmen, was freilich auch heißt,
daß diese Grundsätze wahr bleiben müßten, „selbst wenn kein Gott
lebte" (36). Daß die positive Rekonstruktion der „Vernünftigkeit" des
t hristentums zugleich ein kritisches Prinzip ist, kommt deutlicher als
m den hier vorliegenden Reden in dem 1817 gehaltenen Zyklus „Von
den Mißbräuchen der Religion" heraus. Dort wird auch die von B. in
der Religionsphilosophie ausführlich entwickelte Theorie vom bildlichen
Charakter aller Rede von Gott als entscheidendes Argument
angeführt. Erst das erklärt, was die genannten „katholischen Theologen
" als so provokant empfunden haben. Es sei mit einigen Sätzen

aus diesen Reden belegt......man solle nichts, was sich nicht ohne die

1 ehren der Religion als gut und gemeinnützig erweisen läßt, durch sie
und wegen ihr dafür erklären", weil „alle unsere Begriffe von Gott nur
bildlich und eben deshalb unbrauchbar sind, um bestimmte Folgerungen
aus ihnen herzuleiten". Kurz gesagt: „Es stehe denn also
^schrieben, was da will, was nicht durch Gründe der Vernunft als
wahr oder doch ersprießlich dargetan werden kann, das können und
sollen wir nicht aus der Bibel folgern - oder wir mißbrauchen sie."
..Der Glaube an Gott und seine Offenbarung" gewährt zweierlei Vor-
te'le: „Er soll uns erstlich an unsere Pflichten erinnern, und wenn wir
Angesehen haben, daß etwas gut und gemeinnützig sei. bewirken, daß
w'r es auch tun. Er soll uns zweitens über alles, was uns zu ändern
nicht möglich ist. beruhigen und unser Herz mit guten Hoffnungen für
die Zukunft und mit erfreulichen Vorstellungen erfüllen."4 Damit hat
B. der Theologie seiner Zeit auf hohem Niveau das Problem einer
-autonomen Ethik" im religiösen Kontext gestellt, und er bleibt ein
Stachel in der Geschichte der Theologie, weil man ihm damals nicht
1,1 sachlicher Diskussion, sondern nur mit disziplinären Maßnahmen
entgegenzutreten vermochte.

Der zweite Band ist die mit liebevoller Akribie erarbeitete Dokumentation
aller von B. bekannter Porträts bis hin zu den Büsten.
Reliefs

und Medaillen, mit denen man den Philosophen zu seinem
-00. Geburtstag 1981 geehrt hat. Die wichtigsten Stücke sind im Bild-
•cil reproduziert, darunter auch der 1983 wiederaufgefundene originale
Abguß der Totenmaske, die das Urbild für die meisten neueren
Plastiken wurde. Als Anhang sind Bilder von Zeitgenossen, von wich-
"8en Plätzen der Biographie Bolzanos und einige Dokumente wiedergegeben
. Die Mühe, die Srsen aufgewendet hat. um viele Details der
Entstehung der frühen Porträts aufzuhellen, steht in schönster Entsprechung
zu den Bemühungen der Freunde Bolzanos. ein gültiges
und zur Verbreitung geeignetes Bild ihres Meisters schallen zu lassen,
^■e B. selbst - von dessen Beziehungen zur bildenden Kunst einleitend
berichtet wird - sahen sie im Porträt ein Mittel, um den Dar-
■Ntellten und seine Lehren bckannlzumachen. Weil diese Unternehmungen
immer wieder fehlschlugen, gibt es eine ungewöhnlich
große Zahl mehr oder weniger gelungener Versuche. Erst postum
*urde die Lithographie fertig, die nach dem Willen der Freunde die
weniger gelungenen verdrängen sollte. Das anspruchsvolle Gemälde
^on F. Horcicka ist heute leider verschollen. Srsen schließt seine
Zusammenfassung mit dem Zitat eines Zeitgenossen von B„ der un-
nuttelbar nach dessen Tode geschrieben hatte: „Man sprach auch von
der Errichtung eines Denkmals. - Das den Mann ehrendste wird das
Monument einer Gesamtausgabe seiner Werke immer bleiben" (88).
Daß sich dieser Wunsch nunmehr erfüllt, kann man Mitarbeitern und
Vertag nur danken.

Stolpe Traugott Vogel

Nachdruck in: H. Hol/ano. Ausgewählte Sehrilten, herausgegeben und cin-
■elehet von E. Winter (Texte zur Philosophie- und KeHgionianchichle), Berlin:
L;nion 1976. 55-107.

370

1 A.a.O.. 70.

Aus einer 1851 veröffentlichten Erbauungsrede, zitiert nach E. Herrmann.
Der religionsphilosophisehe Standpunkt Bernhard Bolzanos unter Berücksichtigung
seiner Semantik. Wisscnschaflstheoric und Moralphilosophic (Stu-
dia philosophiae religionis. 6). Lund: C'WK Gleerup 1977. 196: dort eine sorgfältige
Erörterung des Verhältnisses von Cilaube und Moral bei Bolzano.
.' Nachdruck bei E. Winter (s. Anm. I). 155-187; die Zitate I56f; 183;
162.

Bicistein. Roman [Hg.]: Dossier: Kreisaucr Kreis. Dokumente aus
dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus, hg. u. kommentiert
. Aus dem Nachlaß von Lothar König SJ. Frankfurt/M.:
Knecht 1987. 376 S. 8V geb. DM 58,-.

Die aus dem Nachlaß von Lothar König SJ (1906-1946) stammenden
Papiere, eine beim Umzug der Ordensgemeinschaft von Pullach
nach München wieder aufgefundene Sachaktc. dokumentieren die
Widerstandsaktivitäten des engagierten Jesuitenpaters, der zusammen
mit Pater Alfred Ddp (1907-1945) und Provinzial Augustin Rösch
(1883-1961) in enger Verbindung mit dem Kreisaucr Kreis stand,
obwohl er an den Kreisauer Gesprächen selbst nicht persönlich beteiligt
gewesen ist. König war dabei nicht nur als „Kurier", wie in der
Literatur sonst angenommen, sondern auch konzeptionell an Ausarbeitungen
des Kreises tätig. Schon in anderen Zusammenhängen bei
der Abwehr von Eingriffen in kirchlichen Besitzstand erfolgreich, sah
König seine Aufgabe im „Ausschuß für Ordcnsangclegenheitcn" seit
1941 darin, die Bischöfe zu einer härteren kirchenpolitischen Linie zu
bewegen. Beispiele für verschärfende Wendungen aus seiner Feder bei
Entwürfen von Hirtenbriefen 1941/1942 werden angeführt, so beim
..Menschenrechtshirtenbrief', der November 1941 zwar nicht veröffentlicht
wurde, aber einen Monat später in entscheidenden
Passagen in die Denkschrift an die Reichskanzlei einging (I8f). Die
Vita Königs, vom Editor, der schon über Dclp publiziert hat. auch
unter Bcizichung einschlägiger Literatur zum Kreisaucr Kreis im
Blick auf die Dokumentation und ihre Probleme kundig und anschaulich
gestaltet, sucht anhand des vielfältigen Widerstands der Jesuiten
gegen das NS-Rcgime die These vom rein persönlichen Widerstand
nur einzelner Katholiken, der nicht als Widerstand der kirchlichen
Institution zu verbuchen sei. nachhaltig zu relativieren (310. Kirchlicher
Widerstand wird nicht nur in der Überlcbcnsintention der
Kirche erblickt, sondern wird an dem jesuitischen l insatz auch in der
Dimension eines grundsätzlichen Dissensus zum NS-System men-
schcnrechtlich verifiziert. Pater Lothar König mußte nach dem
20. Juli 1944. um den er im voraus wußte, ähnlich wie Rösch untertauchen
, da nach ihm reichsweit gefahndet wurde. Fr starb ein Jahr
nach Kriegsende an einer Tumorerkrankung, die während seines Verstecks
nicht behandelt werden konnte. Die Edition setzt König, der
selbst über seine Aktivitäten im Widerstand vor und nach 1945 nicht
gesprochen oderetwas niedergeschrieben hat. ein Denkmal.

Die Dokumente sind nach den drei Kreisaucr Tagungen
(22.-25. Mai 1942: 16.-18. Oktober: 12.-14. Juni 1943) gegliedert
und terminlich zugeordnet. Sic enthalten auch Voraufgehendes
(Gespräche über Agrarfragen 1941 1942) und Nachfolgendes
(Grundsätze vom 9. August 1943 mit Korrekturen Delps usw.) sowie
einen Anhang mit Diversem (Korrespondenz Mollkes und Yorcks mit
München: Kalendarium Königs, das den Kontakt der Kreisaucr mit
den Bischöfen Preysing und Gröber und den Jesuiten festhält u. a.). In
Ergänzung der bereits anderenorts früher publizierten Texte kann
Bleistein auch das verloren geglaubte Papier über „Agrarfragen", dessen
Abschrift sich im Dossier Königs befand, beisteuern. So bietet der
Band ein Spektrum von Texten, die die Nachkriegsentwicklung nach
dem Sturz Hillers zu programmieren versuchen. In den Texten schlägt
sich „der Dialog zwischen den Kreisaucrn. der Prozeß der Verständigung
und Annäherung" nieder: „Aus dem Vergleich mit den Texten
zur Zuarbcit und mit den Entwürfen wird die Mühe und Chance der
Einigung sichtbar" (124).

Neben Fragen des Staatsaufbaus werden wirtschaftliche und kultu-