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Ausgabe:

1988

Spalte:

368-370

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Bolzano, Bernard

Titel/Untertitel:

Bernard Bolzano 1988

Rezensent:

Vogel, Traugott

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367

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 5

368

sehen Kirche A. u. H. B. in Österreich" vor 1918 lagen außerhalb des
heutigen Staatsgebietes) nicht adäquat dargestellt werden kann. Diese
unterbleibt - nur aus räumlichen Gründen? - leider in zu großem
Maß. Problematisch bleibt auch die Einebnung des lutherischen und
reformierten Propriums in einen protestantischen Oberbegriff, so daß
die Lutheraner Tauber, Käser-Kaiser und Christoph bzw. Dorothea
Jörger gleichsam den Rahmen für den Spiritualisten Bünderlin und
den Täuferführer Hubmaier (19-24) bilden können. Vermutungen -
etwa über Tauber (20 „Es ist sicher, daß er Schriften Luthers besaß; es
ist aber auch anzunehmen, daß er einiges, was in Wien an Werken des
Andreas Karlstadt gedruckt wurde, sein eigen nannte. So war seine
Haltung ein wenig abgeglitten, die sich damals am Rande der Reformation
breitmachten.") - tragen zu dieser Einebnung bei.

Die Kombination von Biographien und kurzen Querschnitten
macht den besonderen Reiz dieser lesenswerten Schrift aus. Freilich
ist das nicht ungefährlich. So wird etwa (in Kapitel IX) die Zeit
1918 bis 1945 mit einer Einstiegshilfe „Im neuen Österreich", dann
durch die Kurzbiographien Wolfgang Haases, einen Exkurs über das
Heim Salzerbad sowie durch die Kurzbiographien des Pressepioniers
Friedrich Ulrich und des Notbischofs Johannes Heinzelmann gewürdigt
(96-103), wobei Überschneidungen mit anderen Kapiteln unvermeidlich
waren. Hierbei wird vom Vf. sicher nichts bewußt
beschönigt. Aber die jeweils einsetzende Überleitung zur Kurzbiographie
macht eine ausführlichere Darstellung der zwar richtig, aber
allzu knapp angedeuteten „Nachtseiten" des evangelischen Versagens
etwa gegenüber Sozialismus oder Judentum (viele später als nichtarisch
verfolgte „Juden" waren praktizierende getaufte Christen) fast
vergessen. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht und das nötige
Hintergrundwissen besitzt, kann freilich erkennen, daß der Vf. auch
bei der liebe- und verständnisvollen Schilderung der Einzelbiographien
nicht ohne kenntnisreiches Wissen um diese Nachtseiten seine
taktvollen Formulierungen zu wählen wußte. Aber angesichts des nun
wirklich extrem hohen prozentualen Anteils der NSDAP-Mitglieder
unter der evangelischen Pfarrerschaft und des beschämenden Mangels
an mutiger Solidarität wären doch ausführlichere und vielleicht auch
emotionalere Aussagen hilfreich und wohl auch notwendig gewesen.
(Es genügt sicher nicht für die Zeit nach 1945 zu schreiben: „Daß
bestimmte Teile der Kirche vorher in hoher Affinität zum Nationalsozialismus
gestanden hatten, war weit weniger bedeutsam als die Tatsache
, daß sich diese Kirche nunmehr als Anwalt der Verfolgten und
Bedrückten in schweren Zeiten bewährt hatte." 104).

Die Kürze des hier zur Verfügung stehenden Raumes läßt eine ausführliche
Detailkritik dieses Werkes nicht zu. Der Vf., Superintendent
der evangelischen Diözese des Burgenlandes, hat sich durch eine sehr
große Anzahl kleinerer und größerer wissenschaftlicher Publikationen
mit guten Ansätzen verdient gemacht. So war die Erwartung sehr
groß, der Vf. werde - nach approbierter Sammelhabilitation Dozent
für Kirchenrecht an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität
Wien - nun den großen Wurf vorlegen, der in gleicher Weise
den Anforderungen der Fachwissenschaft, einer volkstümlichen Darstellung
und (in gutem Sinne) der Erbaulichkeit wie Kritik gerecht
wird. Diese Erwartung wurde leider enttäuscht. Der große Wurf steht
noch aus.

Wer aber eine erste Information über Vergangenheit und Gegenwart
der Evangelischen Kirche in Österreich bei fast völliger (dem
Anliegen .nach verständlicher, sachlich aber kaum haltbarer) Ausklammerung
der einst die Existenz wie Struktur dieser Kirche bestimmenden
Gebiete außerhalb des heutigen Staatsgebietes sucht, wird
mit großem Gewinn zu diesem Werk greifen können. Manche apodiktisch
geäußerten oder nur angedeuteten Aussagen müßten freilich
hinterfragt werden: Kann wirklich angesichts der extremen Diasporasituation
(freilich zumal in vom Vf. bewußt nicht berücksichtigten
Gebieten!) postuliert werden: „Das Diasporabewußtsein zeichnet
durch längere Zeit den österreichischen Protestantismus aus. Es ist
sicher nicht [!] verbunden mit den Wurzeln der Tolcranzgemcinden,
sondern geht zurück auf die Verbindung mit dem Gustav-Adolf-

Verein, die seit 1860 spürbar wird" (10). Ist es dem heutigen Stand
reformationshistorischer Forschung adäquat, von Luthers „Zwei-
Reiche-Lehre" (II) statt von einer „Zwei-Regimenten-Lehre" zu
sprechen oder die Flacianer nicht sehr eindeutig von den Gnesio-
lutheranern abzugrenzen (34)?

Das gut gewählte Bildmaterial und viele lesenswerte Kurzbiographien
machen das Werk Reingrabners zu einer ansprechenden Einstiegslektüre
, die der Leser mit Interesse zur Hand nehmen wird.

Wien Peter F. Barton

Bolzano, Bernard: Erbauungsreden für Akademiker, hg. von J. Louzil.
Stuttgart - Bad Cannstatt: Frommann 1985. 227 S. gr. 8"= Bernard
Bolzano-Gesamtausgabc. Reihe l: Schriften, Bd. 2.

-: Bildnisse Bolzanos. Von L. Srsen mit Photographien von D. Lan-
dovä. Übers, von J. Ji'Ikovä u. P. M. Schenkel. Stuttgart-Bad Cannstatt
: Frommann 1986. 282 S. m. 130 Taf. z.T. färb,
gr. 8' = Bemard Bolzano - Gesamtausgabe, Reihe IV: Dokumente,
Bd. 1: Bilder und Dokumente zur Lebensgeschichte Bolzanos,
1. Teil.

1969 eröffnete Eduard Winter, der sich wie kein anderer in der letzten
Generation um die Erforschung Bolzanos und seines Lebenskreises
verdient gemacht hat, die großangelegte Gesamtausgabe mit
einem Lebensbild des Prager Gelehrten. Seitdem sind von den angekündigten
64 Bänden 22 Bände und Teilbände erschienen. Die Ausgabe
gliedert sich in Einleitungsbände, u. a. mit einer bis zum Jubiläumsjahr
1981 fortgeführten Bibliographie, und 4 Reihen: I. Schriften
; II. Nachlaß, unterteilt in A. Nachgelassene Schriften und B. Wissenschaftliche
Tagebücher; III. Briefwechsel und IV. Dokumente.

Der erste hier vorzustellende Band ist der Neudruck der 16 von B.
1813 zum Druck gegebenen „Erbauungsreden". Dieses merkwürdige
Genre erklärt sich aus dem Lehrauftrag, den B. mit 23 Jahren bekam,
als der Kaiser verfügt hatte, daß an allen Universitäten ein „Religionslehrer
" anzustellen sei, der neben einem dreijährigen Kursus in der
katholischen Religion und der seelsorgerlichen Begleitung der Studierenden
an den Sonn- und Festtagen des Schuljahres „religiöse Vorträge
" zu halten habe, „welche die Stelle der Predigten bey Akademikern
vertreten sollen" (19). Anschaulich beschreibt B. in seiner
Autobiographic' Umstände und Wirkungen dieses Amtes, die 1819
zu seiner Absetzung und zu dem jahrelangen Prozeß führten, nach
welchem er bis zum Lebensende nur noch als Privatgelehrtcr unter
Polizeiaufsicht arbeiten konnte. 577 solcher „Exhorten" hat man bisher
nachgewiesen, 443 sind teils in Autographen, teils in Nachschriften
erhalten und davon nur etwa die Hälfte bisher veröffentlicht.
Es liegt auf der Hand, daß diese Reden „einen wichtigen Eigenkommentar
" zu den theoretischen Schriften bilden, wie der Hg. in der
Einleitung schreibt (7). Auszüge aus den gedruckten Exhorten, mehr
aber noch Nachschriften, die man bei Schülern gefunden hatte, spielten
eine entscheidende Rolle bei dem Prozeß. Der Band wurde 1828
indiziert. Liest man die Reden heute, so drängen sich vor allem der
Ernst und der Eifer des „jungen unbärtigen Lehrers"2 auf, der überzeugt
war, daß er die Gewißheit von der Vernünftigkeit der katholischen
Religion, die er selbst gewonnen hatte, auch anderen mitteilen
könne, und man versteht, daß die Hörer, wie ein Zeitgenosse berichtet
, geradezu „berauscht" waren und sich unter ihnen der in allen
späteren Verfolgungen treue Freundeskreis bildete. Die meisten Exhorten
erörtern im Anschluß an die von B. selbst übersetzten Bibeltexte
ethische Grundsätze und Tugenden. Sehr typisch für B. ist der
Zyklus „Uibcrdas stete Fortschreiten des Menschengeschlechts in der
Vollkommenheit", theologisch am interessantesten sind die beiden
Reden unter der Leitfrage „Von welcher Beschaffenheit die Beweise
einer wahren Offenbarung in Rücksicht auf ihre Überzeugungskraft
seyn müssen". In der Vorrede nimmt B. schon Bezug darauf, „daß
gewisse katholische Theologen nicht wohl zufrieden mit mir sind",
aber er versichert - wie es immer seine Ansicht blieb -, nicht in der
Sache, „nur in Betreff der Mittel sind wir verschiedener Meinung"