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Ausgabe:

1988

Spalte:

355-357

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lapide, Pinchas

Titel/Untertitel:

Ist die Bibel richtig übersetzt? 1988

Rezensent:

Rohde, Joachim

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Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 5

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die sieben Sendschreiben durchgeht, sind: Der Symbolismus der
Sendschreiben wurden Lesern gut verstandlieh (S. 210). Insofern also
war die Apk kein dunkles Buch. Gegen J. A. T. Robinson erweist sich
eine Datierung der Apk in die Zeit Domitians (um 95 n. Chr.) als die
beste Möglichkeit (S. 3.5). Immer wieder kann Hemer frühere Ergebnisse
von William N. Ramsay bestätigen, auch wenn er sich mit ihm
kritisch auseinandersetzt (S. X und passim). Wieder und wieder zeigt
sich auch, daß der Verfasser der Apk intensiv über das AT „meditierte
" und es „kreativ" auf die kleinasiatischen Gemeinden anwandte
(vgl. z. B. die Stichwortc "meditating closcly" und "creatively"
S. 161). Der Benutzer des Buches von Hemer empfindet dabei eine
Spannung: Wie kann die Apk einerseits „Bericht von einer Vision"
sein, wenn ihr Vf. andrerseits „kreativ" damit umgeht bzw. einen Sinn
für die Anwendbarkeit auf lokale Verhältnisse entwickelt? Hemer
denkt aber nicht in sich ausschließenden Alternativen. Vielmehr
durchzieht sein ganzes Buch eine Denkstruktur, die verschiedene Annahmen
miteinander kombinieren kann. Typisch für ihn ist z. B. der
Satz: "The two views are not necessarily to be treated as exclusively
alternatives" (S. 162; vgl. S. 207). So kann er beim „Buch des Lebens"
nebeneinander jüdische und hellenistische Ursprünge bzw. Erklärungsweisen
gelten lassen (S. 148 ff).

Besonders eindrücklich und überzeugend sind m. E. die Anführungen
über den Baum des Lebens (S. 41 ff) sowie über Laodicca
(S. 178ff). Extreme Vorsicht beobachtet Hemer bez. Bileams und der
Nikolaiten (S. 87ff). Beachtenswert ist die Verteidigung der These von
Sir William Calder, daß die Ursprünge des Montanismus mit Philadelphia
und dem dahin gerichteten Sendschreiben zusammenhängen
(S. I07ff).

Nur selten geht die Deutung zu weit: so z. B. bei der Annahme, daß
Apk6,14ff;8,8; 11,13; 16.18 ff auf die Erdbeben-Katastrophe von 17
n.Chr. zurückgehen oder Apk 6.6 auf Hungersnöte unter Domitian
anspielt (S. 134.158). Ansonsten verhindert die systematische Vorsicht
Hemers, daß sich sein großes Wissen in gewagte Hypothesen verwandelt
. Die Fülle von Informationen, die methodische Sauberkeit,
die Balance der Argumentation und die Selbständigkeit des Urteils
machen Hemers Buch zu einem der besten Beiträge, die jemals zu
den Sendschreiben der Offenbarung erschienen sind.

Tübingen Gerhard Maicr

I.apide. Pinchas: Ist die Bibel richtig übersetzt? Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn 1986. 144 S. 8' = GTB. Siebenstern
1415. Kart. DM 14,80.

Der jüdische Neutestamentier P. Lapide, der bereits eine Reihe von
Veröffentlichungen über das Neue Testament und zum jüdisch-christlichen
Dialog verfaßt hat. setzt sich in dem vorliegenden Büchlein mit
Problemen um Jesus von Nazareth als historische Gestalt, seine Muttersprache
und den vermuteten ursprünglichen Wortlaut der zunächst
aramäischen Evangelientradition auseinander. Er führt weiter eine
Reihe von landläufigen Übersetzungsfehlern sowohl im Alten als
auch im Neuen Testament auf, die in Geschichte und Gegenwart zu
gravierenden Fehldeutungen und Mißverständnissen geführt
haben.

Lapide ist kein Wörtlich-Nchmer des biblischen Textes, der nach
dem Motto „Es steht geschrieben . . ." die Bibel zu einem .papierenen
Papst' herabwürdigen möchte, wohl aber ein Ernst-Nehmer, der den
Mut aufbringt, den Text zu hinterfragen, ihn kritisch zu erörtern, um
zu seiner ursprünglichen Aussage vorzustoßen. Ihm gilt als Grundregel
, daß jede Übersetzung Ersetzung übe und dabei den Urlaut und
Ursinn nieganz wiedergeben könne, weil keine zwei Sprachen in ihrer
Identität deckungsgleich seien (S. 12). Der idealste Übersetzer sei ein
Brückenbauer, der seine Pfeiler auf beiden Ufern habe, auf beiden
heimisch und mit ihnen vertraut sei. Dennoch bringe jeder Bibelübersetzer
seinem Text ein eigenes Vor-Verständnis. Vor-Urteil und

eigene Vor-Slellungen entgegen, biete also keine objektive oder wertfreie
Übersetzung. Daher sei auch die beste Übersetzung subjektiv,
gewissen außertextuellen Normen und Maßstäben unterworfen und
enthalte immer ein Stück Kommentar des jeweiligen Dolmetschers
(S. 15).

Zwar sind das alles Erkenntnisse, die dem Fachexegeten geläufig
sind, doch die Art und Weise, wie der Vf. seine Thesen für Nichttheo-
logen vorträgt, ist faszinierend und liest sich interessant und spannend
. Sehr plastisch stellt er dar, wie Luther mit der Übersetzung des
Alten und Neuen Testaments in verständliches Deutsch gerungen hat.
Dabei geht es nicht nur um Luthers christozentrisches Verständnis des
Alten Testaments, sondern auch um die Schwierigkeiten bei der deutschen
Wiedergabe wichtiger hebräischer Begriffe, die sehr oft vieldeutig
sind. So bedeutet ja Schalom nicht nur Friede, sondern auch
Gedeihen, Unversehrhcit, Wohlergehen, Freude, Versöhnung, Wahrheit
, Gemeinschaft und Harmonie, sowie chässäd nicht nur Gerechtigkeit
, sondern auch Treue, Gnade, Liebesdienst, Zuneigung und
Rechtsverhalten (S. 21). Die Bedeutung ist jeweils vom Zusammenhang
innerhalb eines größeren Textgefüges abhängig. An mehreren
Beispielen zeigt er, wie Luthers Hebraeo-Germanismen aus seiner
Bibelübersetzung die deutsche Sprache durchdrungen haben. Nur folgende
seien aus einer Vielzahl genannt: der Mensch, ein Erdenkloß,
aus Fleisch und Blut oder Staub und Asche; der wahre Jakob; zu den
Stillen im Lande gehören; das goldene Kalb anbeten; von verbotener
Frucht essen; dem Mammon frönen; Wind säen und Sturm ernten;
seine Hände in Unschuld waschen; sich nach den Fletschtöpfen Ägyptens
sehnen; wie Spreu im Wind zerstreut werden; eine Hiobsbotschaft
erhalten (siehe S. 19-25).

Die Problematik von unterschiedlichen Übersetzungsmöglichkeiten
des hebräischen Urtextes in ein verständliches, der Sache angemessenes
Deutsch legt der Vf. durch Beispiele aus drei Übersetzungen
dar: von Rosenzweig/Buber, von Luther und von der katholischen
Einheitsübersetzung für die deutschsprachigen Länder
(S. 26-39), u. a. beim ersten Schöpfungsbericht. Ein Problem bei der
Übersetzung des Dekalogs war beispielsweise die richtige Wiedergabe
des hebräischen Wortes Razach beim Verbot des Tötens. Es meint
nicht jede beliebige Art des Tötens, sondern nur das Töten außerhalb
des Gesetzes und kann je nach dem Zusammenhang bedeuten „ermorden
", „unabsichtlich töten", auch „in Leidenschaft töten", wird
aber nicht für das Töten im Kriege oder die Hinrichtung verurteilter
Verbrecher gebraucht, so daß sich Gegner der Todesstrafe oder Wehrdienstgegner
nicht auf dieses Gebot berufen könnten. Eine sachgerechte
Übersetzung dieses Gebotes müsse also lauten: „Du sollst
nicht morden!" Sie allein disqualifiziere ein unerlaubtes Töten am
stärksten. . '<

Den größten Teil des Büchleins nehmen Fehlübersetzungen und
Unübersetzbarkeiten in der hebräischen Bibel (S. 40-59). Korrekturbedürftigkeiten
(S. 60—77) und mutmaßliche Übersetzungsfehler im
Neuen Testament (S. 90-130) ein. Daraus einige Beispiele: Ein
Prophet ist nach alttcstamcntlichem Verständnis nicht Wahrsager,
Weissager oder Vorauswisscr künftiger Ereignisse wie ein hellenistischer
Orakeldcuter von Delphi, sondern u. a. auch Mann kühner
Machtkritik und politischer Aktivität: Arnos mische sich in die
Sozialpolitik der Aristokratie seiner Zeit ein, Jesaja und Jeremia empfahlen
eine höchst unpopuläre Außenpolitik ihrer Könige, andere
Propheten geißelten die moralischen Mißstände in ihrem Lande mit
hemmungsloser Freimütigkeit. „Das waren weder fromme Sonntagspredigten
noch harmlose parlamentarische Oppositionsreden, sondern
theopol frische Kampfansagen, die in allen Fällen lebensgefährlich
waren." Daß das Schema in den Evangelien von prophetischer
Verheißung und Erfüllung in Jesus auf einer Fchldeutung des hebräischen
Künderamtes beruhe, wird an zahlreichen Beispielen gezeigt,
besonders an Einzelzügen bei der Gestaltung der Passionsgeschichte
(S. 51 IT). An der Umdcutung des Kainszeichens (Gen 4,18), das aus
einem göttlichen Schutzzeichen gegen weiteres Blutvergießen und
Lichtzeichen göttlicher Langmut zu einem Schandmal und Straf-