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Ausgabe:

1988

Spalte:

354-355

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hemer, Colin J.

Titel/Untertitel:

The letters to the seven churches of Asia in their local setting 1988

Rezensent:

Maier, Gerhard

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353 Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 5

sagen über das Wirken des Apollos in 3,5-9 und auch 16,12 sprechen
-trotz der Ausführungen auf S. 67-69 - eher dagegen.

Der religionsgeschichtlich orientierte Teil setzt bei 1 5.45fcin; diese
Verse versteht S. als „Schlüssel zum Verständnis des korinthischen
Pneumatikertums" (S. 71). Bei der Kontextbetrachtung wird gut herausgearbeitet
, daß es Paulus in der Betonung der Aufcrstehungsleib-
lichkeit um die neue Geschöpflichkeil des Menschen geht und Paulus
deshalb auf Gen 2,7 zurückgreift, um die zwei Arten der Leiblichkeit
aufzuzeigen. Die bereits anklingende Vermutung, daß der Apostel auf
eine in Korinth bekannte dualistische Auslegungstradition von
Gen 2.7 zurückgreift und sie korrigiert, wird im Folgenden detailliert
begründet, indem die religionsgcschichtlichcn Motive in V. 45f untersucht
werden. Für die Wendung „lebendigmachender Geist" wird einleuchtend
gezeigt, daß ihr eine alexandrinische allegorische Deutung
von Gen 2,7 zugrunde liegt, wonach die natürliche Seele (Psyche) des
Menschen vergänglich ist und erst durch die Inspiration mit dem göttlichen
Weishcitspncuma unsterblich wird; dadurch wird verständlieh,
daß Paulus in Gen 2,7 sowohl „Psyche" als auch „Pneuma" findet,
und auf diesem Hintergrund erklärt sich auch die Antithese „psychisch
- pneumatisch".

Die Adam-Christus-Typologie leitet S. ebenfalls aus alcxandri-
nisch-jüdischer Weisheitstradition her, d. h. aus Philons Lehre von
den modellhaft verstandenen beiden Urmenschen, die in einem ausführlichen
und instruktiven Exkurs in sehr differenzierter Weise dargestellt
wird und sich dahingehend zusammenfassen läßt, daß der
irdische Mensch von Gen 2,7 durch die Inspiration mit dem göttlichen
Weisheitspneuma zum vom Körper befreiten vollkommenen
Pneumatiker. zum himmlischen Menschen von Gen 1,27 und mit
dem Logos identisch wird. Die Erlösung ist demnach als vom Pneuma
bewirkte, totale, die Trennung von allem Körperlichen einschließende
Entwcltlichung und als Hinwendung zum Ewig-Seienden
Bedacht, S. kann schließlich /eigen, daß Philon mit dieser Soteriolo-
gie in alexandrinisch-jüdischer Tradition (SapSal und Aristobulos)
steht. Die Korrekturen, mit denen Paulus die Urmenschlehrc - vor
allem durch die Umkehrung der Reihenfolge (V. 46) und die Eschato-
logisierung der ontologischen Allcgorese - versieht, erweisen, daß er
nicht selbständig auf das hellenistische Gedankengut zurückgreift,
sondern an korinthische Vorstellungen anknüpft. Der religionsgeschichtliche
Hauptteil wird mit dem schlüssigen Nachweis beendet,
daß die korinthische Theologie nicht vom Gnostizismus beeinflußt ist
und daß Philons Urmenschlehrc nicht auf einen gnostischen Anthro-
Pos-Mythos. sondern auf die dualistische Weisheitstradition zurückgeht
.

Aus der gründlich durchgeführten und weithin überzeugenden Ein-
zelcxcgcse von I Kor 15 seien nur folgende Kontroverspunkte erwähnt
: In V. 51 f erblickt S. eine entscheidende Änderung gegenüber
IThcss 4,13ff, das Sterben sei jetzt als der Normalfäll verstanden.
Diese Sicht beruht auf der Deutung, daß Totenauferweckung und
Verwandlung in V. 52b identisch seien. Die dafür in Anspruch genommene
Parallelität mit V. 51 überzeugt jedoch nicht, da in V. 52b
'wischen den „Toten" und dem betonten „wir" unterschieden ist,
während das hervorgehobene „wir" in V.5I fehlt und statt dessen
• ■alle" akzentuiert ist. - Die Intention der Verse 1-1 I wird zu Recht
nicht als historische Absicherung des Auferstehungsglaubens benimmt
. Wenn S. aber meint, daß „die gegenwärtige Tatsache des
^hristseins der Korinther Erlährungsbasis für die Wirksamkeit des
Kerygmas" lei, das die künftige Auferweekung der C hristen impli-
/lc'c (S. 235). dann wird dem Unterschied zwischen der Aoristform
»SO seid ihr zum Glauben gekommen" und der Präsensform „so versündigen
wir" in V. I I nicht gebührend Rechnung getragen. - Den
Begriff ektroma, ZU dessen inhaltlicher Füllung umfangreiches und
''ufschlußicichcs Material beigetragen wird, versteht S. im Kontext
der weisheitlichen Tradition vom lebendigmachenden Pneuma: Paulus
wolle an seiner Person /eigen, daßder auferstandene Christus Tote
lebendig macht. Mit solch einem spiritualisicrtcn Auferstehungsver-
s'ändnis würde Paulus aber die Bedeutung des ihm wichtigen /<•//>-

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liehen Aspekts der Totenauferstehung beeinträchtigen. - V. 20-28
deutet S. zutreffend als Entfaltung der kosmischen Dimension der
Auferstehung Christi gegenüber einer Haltung, „die das Heil auf den
nous in seiner Beziehung zum Pneuma einschränkt und die Welt sich
letztlich selbst überläßt, genauer gesagt: die sich in seinem sOma-Sein
ausdrückende Wcltbezogenhcit des Christen (Geschöpf) ausklammert
" (S. 269). Jedoch läßt sich angesichts der akzentuierten temporalen
Aussagen in V.22bffcine zugleich antienthusiastische Tendenz
kaum bestreiten.

S.s Untersuchung ist ein wichtiger Beitrag zur Erhellung der Theologie
der korinthischen Gemeinde, zur Interpretation der Theologie
des hellenistischen Judentums (insbesondere Philons) und zur Auslegung
von IKor 15. Der Einfluß hellenistisch-jüdischen Denkens in
der Gemeinde von Korinth (ob er wirklich durch Apollos vermittelt
wurde, bleibt recht unsicher; man wird eher an Kontakte mit der
Synagoge zu denken haben) wird plausibel nachgewiesen und somit
der Hintergrund des Streits um die Auferstehung der Toten in eindrucksvoller
Weise profiliert.

Berlin Christian Wollt'

Hemer, Colin J.: The Ixtters to the Seven Churches of Asia in their
local Setting. Sheffield: JSOT Press 1986. XIV, 338 S. 8" = Journal
for the Study ofthe New Testament. Suppl.Scries 1 I. Kart.£ 10.50:
Lw.£ 22.50.

Colin Hemer ist am 14. 6. 1987 überraschend verstorben. Wer das
Privileg hatte, ihn zu kennen, findet manchen Zug seines Wesens in
dem hier angezeigten Buch wieder: seine vornehme Art z. B„ die sich
zu keiner Polemik und auch zu keinem verletzenden Spott hinreißen
ließ; seine Offenheit im Hören auf die Argumente verschiedener
Seiten; seine abwägende, vorsichtige Bedachtsamkeit, die sich mit
einem Instinkt für weiterführende Spuren verband. Der Epilog enthält
sein wissenschaftliches Bekenntnis und zugleich das Ideal dieses durch
und durch englischen Forschers, der eng mit dem Tyndale House
(Cambridge) verbunden war: "rigorous and balanced historical
study" ist sein Ziel (S. 210).

Die sieben Sendschreiben der Apokalypse auf ihre zeitgeschichtliche
Situation zu beziehen und sie so zu hören, wie sie ihre ersten
Adressaten aufgrund ihrer Situation hören mußten: das will Hemer
mit seinem Buch ermöglichen. Ein wenig anders als wir im deutschen
Sprachgebrauch nennt er das den '"Sitz im Leben' in the local
communities" aufspüren (S. 1). Gelingt dieses Vorhaben, dann ist
zugleich die Geschichte der Kirche in den Jahren 70-100 n. Chr. in
jenem graeco-anatolischen Gebiet, das nach dem Fall Jerusalems zum
christlichen Zentrum wurde, ein wenig aufgehellt (S. 2).

In Hemers Buch sind 40 von 338 Seiten dem Index gewidmet
(S. 298-338). 14 der ausgewählten Literatur (S. 284-297) und 70 den
Anmerkungen (S. 213-283). Auf den w issenschaftlichen Apparat im
engeren Sinne entfallen also 126 Seiten = rund 40 Prozent. Das ist
schon ein Fingerzeig bezüglich der Akkuratesse, die in diesem Buch
waltet.

Ganz neu ist es freilich nicht. Vielmehr handelt es sich um die Neufassung
einer PhD thesis. die der Vf. 1969 unter F. F. Bruce anfertigte
(S. IX). Immerhin ist das Literaturverzeichnis bis auf das Jahr 1981
weitergeführt.

Jeder, der sich mit der Apk beschäftigt, muß bestimmte Voraussetzungen
machen, die ein Verstehen überhaupt erst ermöglichen.
Hemer hält sich auch dabei sehr zurück. Er nimmt aber an. daß der
Verlässer der Apk ein Jude sei (S. 2) und die Apk eine literarische und
historische Einheit darstelle (S. 3). Die Apk sei nicht einfach
„apokalyptisch". "If apocalyptic. i( is apocalyptic with a difference"
(S. 12): sie stünde näher beim AT als bei der sog. apokalyptischen
Literatur (S. I 3). Sie sei der „Bericht von einer Vision" ("record of a
vision", ebd.). wie sie es ja selbst beanspruche.

Einige wichtige Ergebnisse der Untersuchung Hemers, die nach der
Einleitung und einigen Bemerkungen über den Patmos-Hintergrund