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Ausgabe:

1988

Spalte:

352-354

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sellin, Gerhard

Titel/Untertitel:

Der Streit um die Auferstehung der Toten 1988

Rezensent:

Wolff, Christian

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 5

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neuen, einheitlichen Zitat zusammenzufügen (S. 188). Für die Zitat-
umgcstaltungen sieht K. bei P. theologisch-inhaltliche Gründe

(S. 197):.....diese Zitatunigestaltungen begegnen nicht zufallig dort,

wo Paulus im Zusammenhang mit zentralen theologischen Themen
. . . die Schrift heranzieht . . . Der neugewonnene Verstehens-
horizont führt nicht nur zu einer Umwertung grundlegender jüdischer
Überlieferungsinhalte, . . . sondern wirkt auch auf den Umgang mit
dem Wortlaut des Schrifttextes zurück, insbesondere dort, wo P. sein
neues Verständnis von Gesetz, Gerechtigkeit und Erwählung gerade
auch mit Hilfe der Schrift formulieren will." K. dürfte im Prinzip
recht haben; doch bin ich gerade im Blick aufsein Paradebeispiel
(Dtn 30,12-14 in Rom 10,6-8) sehr skeptisch.'

Von größtem Interesse dürfte auch der Abschnitt über die zeitgenössische
Schriftexegese im Blick auf das paulinische Schriftverständnis
sein. K. stellt hier mit Recht Divergenzen zwischen der jüdisch-
hellenistischen und rabbinischen Schriftauslegung einerseits und der
des P. andererseits fest. So gelangt er zu einem m. E. richtigen methodischen
Prinzip (S. 202): „Man ist daher hinsichtlich der für P. vorauszusetzenden
Methoden der Schriftauslegung auf Rückschlüsse aus
seinen eigenen Briefen angewiesen." Wiederum kann ich ihm aber in
so manchen Einzelfragen nicht folgen. Nur ein Beispiel:

K. macht in seiner Auslegung von I Kor 10 (S. 211 IT) Ernst mit dem unbestreitbaren
Tatbestand, daß P. hier auf vorgegebene Intcrpretalionsmuster zurückgreift
; er versucht, durch die Differenzierung von vorpaulinischem Substrat
und paulinischer Interpretation die Klassifizierung der Perikope als Allegorese
nachzuweisen. Vorgegeben ist sicherlich die auch bei Philo (leg all II. 86) begegnende
allegorische Interpretation des Felsens von Ex 17,1-7 als Weisheil.
Paulus dürfte dann durch seine christologischc Modifikation dieser Allegorese
selbst ein allegorisches Element innerhalb der Perikope bringen, die in der Regel
als Typologie charakterisiert wird. K. geht es jedoch darum, ihr den typo-
logischcn Charakter abzusprechen und sie insgesamt unter die Überschrift
..Allegorese" zu stellen. So gesteht er zwar dem vorpaulinischen Substrat die
..grundsätzliche typologischc Grundstruktur" zu, jedoch keinesfalls der pauli-
nischen Interpretation: denn P. werte die ..wahrscheinlich als traditionell vor-
ausgesetzt(e)" Sakramentstypologie in 10,1-5 gerade nicht typologisch aus.
Würden doch die damaligen biblischen Reltungswundcr ttl.s sakramentales (ie-
schehen interpretiert, ohne daß deren Verhältnis zu den gegenwärtigen Sakramenten
entfaltet würde.

Es bleibt aber der Sachverhalt, daß die - unbestreitbar schon interpretierten -
all. Ereignisse in Beziehung gesetzt sind zu dem, was jetzt in der Gegenwart des
P. geschieht. Faßt man Typologie als das In-Beziehung-Setzen von Geschehnissen
, nämlich einem typischen Geschehen der Vergangenheit zu seiner Entsprechung
in der Heilsgegenwart, und Allegorie als Auslegungsmcthodcrlür die
die Differenz von bloßer Aussage und eigentlich Gemeintem, nicht aber ollen
Gesagtem konstitutiv ist (so vor allem Leonhard Goppel! und Ulrich Luz). so
fällt es schwer, diese Perikope vornehmlich unter die Überschrift ..Allegorese"
zu stellen. Daß keine reine Typologie vorliegt, sei zugestanden, da die
paränetischc Intention, die als solche nicht gerade typisch für eine Typologie ist,
lür die Perikope grundlegend ist. Aber die Paränese in 1 Kor 10 ist doch in ihrer
Grundstruktur wesentlich mehr vom typologischen als vom allegorischen Denken
geprägt. Was K. uns jedoch hier zu bedenken gibt und was in der weiteren
Diskussion in der Tat bedacht werden muß. ist, wie das Verhältnis von bereits
interpretiertem Typös zum gegenwärtigen Geschehen im Rahmen des typologischen
Denkens auslegungstheoretisch /u beurteilen ist.

Daß K. die literarische Funktion der Schriftzitate und in diesem Zusammenhang
ihre Rolle in der Argumentation des P. und im Aulbau
der Briefe untersucht und hierbei klassifikatorisches Bemühen zeigt,
ist verdienstvoll. Ergreift damit eine Thematik auf, deren Behandlung
auch heute von anderen als dringendes Desiderat angesehen wird.4
Wiederum wird man dem Ergebnis des Autors zustimmen können: P.
hat die Mehrzahl seiner Zitate im Blick auf ihren thematischen und literarischen
Zusammenhang ausgewählt. ..Diese Schriftzitate sind damit
ein konstitutiver Bestandteil der Argumentation des P., die gar
nicht unter Absehung von den Zitaten erläßt werden kann. Besonders
deutlich wird dies an denjenigen Schriftzitaten, denen im Aulbau der
Briefe eine kompositorisch hervorgehobene Stellung zukommt."
(S. 284) Das ist in der Tat das punctum saliens für die Beurteilung des
theologischen Verhältnisses der beiden Testamente zueinander: Inwiefern
gehören die atl. Zitate - aber auch überhaupt die Verankerung

in atl. Vorstellungen und Gedanken - konstitutiv zur Theologie des
jeweiligen ntl. Autors, und zwar so, daß seine Theologie Essentielles
verlöre, wenn dieser atl. Bezug aus ihr herausgelöst würde? Genau
dies ist auch die alles entscheidende Frage für die im Augenblick teils
heftig geforderte, teils vehement bekämpfte Biblische Theologie (im
Sinne von gesamtbiblischer Theologie). Die Antwort lautet m. E.: Es
ist nach der Rezeption des AT im NT zu fragen und somit die Biblische
Theologie als Biblische Theologie des AT zu entwerfen. Für
diese noch nicht bewältigte Aufgabe hat K. hervorragende Vorarbeit
geleistet.

So schließen sich auch in sehr sinnvoller Weise an die Behandlung
der literarischen Funktion der Zitate Ausführungen über ihre thematische
Zuordnung und ihr Zeitverständnis in der paulinischen Verwendung
an. Dazu und über den zusammenfassenden Schlußabschnitt
von der Schrift als Zeuge des Evangeliums werde ich mich
dann, wie oben gesagt, später in Zustimmung und kritischen Anfragen
noch recht ausführlich äußern.

Alles in allem: ein unverzichtbares Buch, das die exegetische
Forschung bereichert und erheblich weiterführt! Dem Vf. gebührt
Dank im hohen Maße.

Göttingen Hans Hühner

' H. Hübner. Der vergessene Baruch, Zur Baruch-Rc/.eption durch I'. in
IKor 1.18-3l.StNTU 9(19X4). 161-173..-

" C. WollT. Jeremia im Frühjudentum und Urchristentum (TU 119). Berlin
1976, 1)7-139.

' Er nennt zwar S. 130, Anm. 49, meine entgegengesetzte Auflassung in
H. Hübner. Gottes Ich und Israel. Zum Schriftgebrauch des Paulus in
Rom 9-1 I (FRLANT 1.16). Göttingen 1984, 87-90. setzt sich aber mit meinen
Ciründen nicht auseinander.

4 So z.B. F. Sicgcrt. Argumentation bei Paulus gezeigt an Rom 9-11
(WUNT 34). Tübingen 19X5. dessen Darlegungen allerdings in manchen Punkten
unbefriedigend sind: dazu H. Hübner. KuD 33(1987); 168-175.

Sellin. Gerhard: Der Streit um die Auferstehung der Toten. Eine
religionsgeschichtliche und exegetische Untersuchung von I Korinther
15. Göttingen: Vandcnhoeck & Ruprecht 1986. 337 S.gr. 8'
= FRLANT, 138. Lw. DM 86.-.

Diese 1981 in Münster angenommene und inzwischen überarbeitete
Habilitationsschrift hat sich eine dreifache Aufgabe gestellt:
die Auferstehungsbestreitung in der korinthischen Gemeinde hinsichtlich
Inhalt und Veranlassung zu klären, den religionsgeschichtlichen
Hintergrund solcher Haltung zu untersuchen und auf dieser
Basis eine Exegese von I Kor 15 zu erarbeiten.

Die in' I Kor I 5.12b zitierte Position der Auferstehungsleugner bestimmt
S. als Ablehnung der Auferstehung auf Grund einer dualistischen
Anthropologie, in der die Leiblichkeit negativ gewettet wurde.
Die Vorstellung von einer bereits erfolgten Auferstehung bestreitet S.
nachdrücklich. Seine Auslührungen im religionsgeschichllichen Teil
zeigen immerhin, daß die Uberzeugung von der Präsenz des Heils
durch das lebendigmachende (!) Pneuma lür die Haltung der Korinther
bestimmend ist.

Die ablehnende Äußerung (I 5,1 2b) wird als Reaktion auf 6,14 verstanden
, wobei der Passus 6.12-20 als Teil des sog. Vorbriefs gilt.
Solch eine an litcrarkritische Hypothesen gebundene Kombination
wird jedoch dadurch in Frage gestellt, daß in 1 Kor I 5 nichts von dem
für 6.14 wichtigen Thema ..Unzucht" zu bemerken ist (vgl. bes.
15.32-34, wo solche Konkretionen nahegelegen hätten). Die sachliche
Verbindung zwischen 6,12-20 und I 5.12b wird jedoch zu Recht
darin gesehen, daß Paulus jeweils gegen Auswirkungen eines Soma-
Pnetima-Dualismus vorgeht. Die Wurzeln dieser Anthropologie lokalisiert
S. im weisheitlichen hellenistischen Judentum, wie es vor allem
von Philo« repräsentiert wird: Apollos habe sie nach Korinth gebracht
. Letzleres läßt sich nur schwer verifizieren, die positiven Aus-