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Ausgabe:

1988

Spalte:

335-336

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

An den Grenzen kirchlicher Praxis 1988

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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335

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 5

336

Stein. Edith: Verborgenes Leben. Hagiographische Essays, Meditationen
, geistliche Texte. Freiburg-Basel-Wien: Herder; Druten:
De Maas & Walcr 1987. XXVII, 181 S., 4 Taf. 8" = Edith Steins
Werke, XL Lw. DM 48,-.

Der elfte, vorerst abschließende Band der Edith-Stcin-Werkaus-
gabc, erschienen im Jahr ihrer Seligsprechung, läßt in bislang kaum
zugänglichen Zeugnissen das Persönlichkeitsbild der jüdisch-christlichen
Philosophin und Märtyrerin vor uns erstehen. Rückschauend
kann man mit dem Hg. von einer ungewöhnlichen Synthese zwischen
der Philosophie Thomas von Aquins und der Phänomenologie
Husserls, zwischen Altem und Neuem Bund, zwischen erzieherischer
und kontemplativer Lebensform sprechen.

Was hier als Nachlese vorgelegt wird, sind Wiederveröffentlichungen
von an entlegenen Orten erschienenen Aufsätzen aus den frühen
dreißiger Jahren und Erstdrucke von Manuskripten aus der Zeit von
1936 bis 1942. Stärker als zuvor tritt die musische Komponente der
von Edith Stein gelebtcn karmelitischcn Spiritualität hervor, wie denn
auch die von ihr zu geistigen Führern gewählten und in psychologisch
einfühlsamen Darstellungen gewürdigten Ordensreformatoren Therese
von Avila und Johannes vom Kreuz ihren Platz in der Geschichte
der spanischen Dichtung haben. Die hagiographischen Essays gelten
mit Ausnahme Elisabeth von Thüringens (bereits 1931 verläßt)
Frauengestalten aus der eigenen Ordensfamilie. Ein nur einem kleinen
Kreis zugänglicher Beitrag über das Gebet der Kirche (10-25)
zeigt, wie sie der damaligen liturgischen Bewegung den Geist alttesta-
menllich-jüdisehcn Betens hätte erschließen können.

Die Ansprachen aus den letzten Jahren vor dem Martyrium, unter
ihnen allein drei zum Fest der Kreuzerhöhung, sind Zeugnisse der
Kreuzesmystik, die ihren Kommentar im eigenen Lebensweg fanden.
Von den Dichtungen (als Gclcgenheilswerke entstandene Dialoge in
gebundener Sprache und Gedichte aus den Jahren im Karmcl) berührt
am tiefsten die 1941 entstandene Nächtliche Zwiesprache zwischen
der ,,Mutter" und Ester, wo jüdisches Schicksal in der Spannung
zwischen Verfolgung und endzeitlicher Annahme zum Thema wird:
weniger Poesie als document humain, wie die Einheit von jüdischer
Herkunft und christlicher Berufung in der Autorin Gestalt gewonnen
hat.

Leipzig/Halle (Saale) Wollgang Wiefel

[Krusehe, Peter:] An den Grenzen kirchlicher Praxis. Mit einer
Zueignung von C. Bäumler. Hg. von P. Stolt. Eine Freundesgabe
für Peter Krusehe. Hamburg: Agentur des Rauhen Hauses; München
: Claudius 1986.254 S.. 1 Taf. 8'. Kart. DM 29,80.

Dieser Band entstand 1983 anläßlich des 60. Geburtstages des
Bischofs der Hamburger evang.-luth. Kirche, der vorher Professor für
Prakt. Theologie in München war. Sein Amtsvorgänger Wölber fordert
die Theologen auf, sich um ein neues „Existenzwissen" zu
bemühen. ..Kirche der Seelsorge - ein vergessener Traum?", fragt
R. Riess. J. Schroer bedenkt Ergebnisse einer Visitation aus der Ökumene
. Das Thema der Festschrift kommt besonders in den Überlegungen
von W. Döbrich zur Evang. Studentengemeinde und von
C. Bäumler zur offenen Jugendarbeit zur Geltung. Beispiele Für
„Gemeindeaufbau durch gemeindepädagogisches Handeln" erläutern

G. Ebbrecht und G. Hegele. J. Kleemann zieht Lehren aus einem
österlichen Fernsehgottesdienst in der Diasporagemeinde Venedig.

H. -J. Fraas interpretiert den Kindergottesdienst als Grenzfall des
Gottesdienstes. Geistliches Leben im Pfarrhaus und die Pfarrersehe
sind die Themen von P. Stolt bzw. W. Steck. K. Lubkoll und
H. Schröer würdigen in einem Briefwechsel P. Krusehe als Anwalt
von E. Lange in der Auseinandersetzung mit R. Bohren. Y. Spiegel
berichtet über Erfahrungen mit dem Diakoniepraktikum. Die Freundesgabe
beschließt J. Scharfenberg: ..Die Bedeutung von Mythos und
Symbol in pastoralpsychologischcr Sicht". Wie manche anderen Beiträge
zeigt auch dieser, daß sich „an den Grenzen kirchlicher Praxis"

die Notwendigkeit einer Neuorientierung auf die religiöse Sinn mitte
hin nicht übersehen läßt.

E.W.

Religionswissenschaft

Hoffmeier, James Karl: Sacred in the Vocabulary of Allelen! Egypt.

The Term DSR, with special Reference to Dynasties l-XX. Frei-
burg'Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1985. XV. 281 S. m. 24 Abb. auf Taf. gr. 8° = Orbis
Biblicus et Orientalis. 59.

Hoffmeier legt einen beachtenswerten Versuch vor, den sehr wichtigen
Begriff der ägyptischen Religionsgeschichte (/v/aufalle möglichen
Arten zu erfassen und durch die Jahrhunderte bis in die 20. Dynastie
zu verfolgen. Es geht darum, die Wurzel dsr, im Wörterbuch Band V
609-617 unter verschiedenen Wörtern analytisch vorgestellt, in ihrer
semantischen Einheit und Differenziertheit synthetisch zusammenzustellen
. Die Aufgabe ist an sich nicht leicht und von schweren Vorurteilen
belastet. Hoffmeicr weist auch sofort in der Einleitung auf
diese Vorbelastungen hin, die sich aus Rudolf Ottos Buch Das Heilige
ergeben: "No historian of religion or theologian alter Otto could write
on the subject of 'the holy' without referring to Das Heilige."
(S. VII)

Hoffmeier bezieht sich natürlicherweise darauf und übernimmt das
Vokabular Ottos, das jedem Studenten der Religionsgeschichte geläufig
sein dürfte. Fiine weitere Stufe bilden die Arbeilen Gerardus van
der Leeuws voc allem mit der Phänomenologie der Religion. Es gibt
jedoch einen kleinen Unterschied zwischen Ottos das ganz andere
und van der Leeuws Kußer ordentlichem. Aus der Schule van der
Leeuws wird noch Kristensen als Zeuge aufgerufen, und natürlich
bilden auch die Arbeiten Mircea Eliades eine gesunde Basis für
Holl'meier.

Nach Eliade gehört zum Sakrilikationsprozeß die vorangegangene
Epiphanie oder Kratophanie. Das Heilige ist für Eliade wie Otto
machtgcladcn und gefährlich, wofür im ägyptischen Kulturbereich
Beispiele ziemlich häufig anzutreffen sind. Morenz war nach Meinung
Hoffmeiers der erste Agyptologe, der sich über den Begrilf „heilig"
und seine zahlreichen Nebenformen grundlegende Fragen gestellt hat.

Zunächst sucht Hoffmeier den Stamm dsr abzugrenzen, der mit drei
Determinativen verbunden sein kann: mit den laufenden Beinen als
Zeichen der Bewegung, mit dem Arm, der einen Stock hält, als Zeichen
der Kraft, und mit einem Arm, der ein Szepter hält, als
möglicherweise originales Ideogramm der Wurzel.

Hoffmeier kann bis zum Mittleren Reich eine semantische Entwicklung
wahrscheinlich machen, die von der leichten Bewegung
ohne sichtbaren Grund - etwa beim Rudern - über das Reinigen/Läutern
eines Weges, das gegeneinander Abgrenzen, das vollständige
Absondern bis zum Heiligen selbst führt. Das alles kann mit einer
Wurzel ausgedrückt werden, zeigt aber die Vielschichtigkeit der
Auffassung im Ägyptischen. Auch für das Wirken des Heiligen findet
Hoffmeier in Sinuhe B (252)-(256) und im Schiffbrüchigen (56)-(76)
entsprechend illustrative Stellen. Für den Rez. bedeutet die Breite des
Spektrums mehr einen Gegenbeweis gegen Ottos das ganz andere:
denn schließlich handelt es sich um einen Stamm, der eine so breit
gefächerte, wenn auch in sich konsequente semantische Aufgliederung
zeigt. Hoffmeier ist es zweifellos gelungen, vom Stamm cfar einige
nicht dazu gehörige Bedeutungen auszugrenzen.

Die im Alten Reich gefundenen Ergebnisse kann Hoffmeier am
Material der Ersten Zwischenzeit und des Mittleren Reiches weiter
verfolgen. Sicher ist nun die Bedeutung „heilig" zu fassen, so wie sie
sich entsprechend der religionswissenschaftlichen Grundlagen ausgrenzen
läßt. Hier taucht beim Leser die Frage auf, warum wohl das
Material unter dem Blickwinkel Ottos und Eliades geordnet wurde
und nicht rcligionswisscnschaftlichcn Ergebnissen untergeordnet