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Ausgabe:

1988

Spalte:

301-303

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Mössinger, Richard

Titel/Untertitel:

Zur Lehre des christlichen Gebets 1988

Rezensent:

Schulz, Hansjürgen

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301 Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 4 302

solches Konzept vertritt keinen Pluralismus, der die Wahrheitsfrage
ausschaltet, sondern eine Pluralität, die auf einem gemeinsamen
Fundament verschiedene Formen gemeinsamen Bauens ermöglicht.
Das will auch Herbst, und so hoffe ich, mit ihm darin übereinzustimmen
, daß sein Konzept des missionarischen GAs eine gute, theologisch
fundierte und praktikable, aber nicht die einzige theologisch
legitime Möglichkeit ist, daß die Gemeinde Jesu Christi in der Volkskirche
und auch in der nach-volkskirchlichen Situation intensives
und extensives Wachstum erfahrt.

Halle (Saale) Eberhard Winklcr

Mössinger, Richard: Zur Lehre des christlichen Gebets. Gedanken
über ein vernachlässigtes Thema evangelischer Theologie. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1986. 298 S. gr. 8'= Forschungen
zur systematischen und ökumenischen Theologie, 53. Kart.
DM 68,-.

Richard Mössinger legt die überarbeitete Fassung seiner Dissertation
(Tübingen 1981) vor. Er geht von seiner Beunruhigung als
Württembergischer Pfarrer aus: Was ist Gebet? Wozu ermächtigt es?
"as hat es zu erwarten? Nach einer weiträumigen Einführung
(§§ I -2: (iebet als Wort und als Antwort) folgt der Hauptteü (§§ 3-7)
der Struktur von Rom 10.14-17: Wort (Christi) - Predigt - Hören -
Glauben - Antwort im (iebet.

§ 1 - Das Gebet als Wort (12-31): Gebet und beten, sprach-
gcschichtlich von „bitten" her entwickelt, werden als Sprachhandlung
beschrieben, genauer als das Reden eines betroffenen Menschen mit
Gott. Sprache wird als Voraussetzung und Medium menschlicher
Wirklichkeitserfährung und -bewältigung dargestellt. Zur Sprache
gehören in ..drcistrahligcr Grundstruktur" (23) stets der Sprechende,
der Angesprochene und das Besprochene. „Fehlt das angesprochene
Gegenüber, gibt es niemandem etwas zu sagen. Fehlt der gemeinsame
Weltbezug, hat man nichts zu sagen" (24). Die Sprache macht den
Menschen zur Person und hilft ihm zur Menschwerdung (28). Das
Gebet als Wort „ist das Medium, in dem der von Gottes Du provozierte
Mensch sich um die Wirklichkeit in ihrem Gesamtzusammenhang
und damit um seine und ihre Bestimmung bemüht" (30).

8 2 - Das Gebet als Antwort (32-48) ist überall verbreitete und
bestündige Art menschlicher Rede, provoziert durch Erfahrungen der
Bedürftigkeit und Grenze einerseits, durch Erfahrungen des im Endlichen
paradox erscheinenden Göttlichen andererseits. Diese doppelte
Provokation läßt (iebet spannungsvolle Rede sein: zugleich intim und
Weltoffen, redend und schweigend, aktiv und passiv. „Angesichts des
Göttlichen wird die für das Menschsein so konstitutive Bedürftigkeit
der Rede wert. . . Das Leben bleibt nicht in sich selbst verschlos-
Ser< v ." (48).

8 3- Das Helen im Allen Testament. Das Gebet als Antwort auf
Gott (49_79); Christliches Gebet ist „die Aussprache von Lebens- und
Weiterfährungen in bezug auf die bestimmte Offenbarung Gottes, von
der die Bibel redet" (50).

Da das christliche (iebet in einer vorgegebenen besonderen Tradition
wurzelt, muß seine Entwicklung aus dem Alten Testament sichtbar
bleiben. So werden die drei zentralen Merkmale des biblischen
Gottesverständnisscs. „das Handeln Gottes, das Reden Gottes und
Gott als Person" herausgearbeitet. Eine Analyse von Ps 30 ergibt, wie
Helen im Alten Testament - auf diesen Gott bezogen - Leben in seiner
Fülle antwortend vor Gott zur Sprache bringt. Das Vertrauen auf
Jahwe erhofft Änderungen und zukünftiges Heil.

§ 4 - Die besondere I 'oraussetiung lies christlichen Gebets: Die
**H>stoffenbarung Gottes in Jesus Chrisiiis (80-104). Die neutesta-
"Wntlichen Bekenntnisse zu Jesus von Nazarcth als dem gekreuzigten
Und auferstandenen Christus werden als die qualitative Erfüllung des
Handelns. Redens und Personseins Gottes interpretiert. In Jesus Chri-
s,us ließ Gott sich von Wcltwirklichkeit und Tod „vollständig betreffen
" (101). Gott „teilt Leben und Tod" - aus Liebe. Liebe ist „die
letzte Bestimmung dieser Welt" (102). Der christliche (ilaube nimmt

die von Gott gegebene Perspektive zum Heil der Well gerne an und
damit ernst (104).

§ 5 - Das christliche Gehet als Antwort: sein Inhalt (105-141). Das
Spezifikum des christlichen Gebets zeigt sich nicht in der Übernahme
allgemeiner Traditionen (Anrede. Bitte, Dank), sondern „als Antwort
aufGoltes Selbstoffenbarung in Jesus Christus und geprägt durch den
Willen, die Anweisungen Jesu zum (iebet ernst zu nehmen" (108).

Am Vaterunser erläutert der Vf. wie Beten in der Nachfolge Jesu
durch Entgrenzung, Kürze und Orientierung an einem „durch Liebe
geprägten Gottesverhältnis" bestimmt ist (III). Dann wird der
Antwortcharakter des christlichen Betens nach den „Hauptstücken"
des Origcnes (De oralionc) - und in Auseinandersetzung mit dessen
Interpretation - entwickelt: Mit Anrede. Dank. Sündenbekenntnis.
Vergebungsbitte. Bitte. Fürbitte und abschließendem Lob Gottes
(119-139) behaftet der betende Christ Gott „auf seine volle Teilnahme
an Leben und Welt in Jesus von Nazarcth, um die Realisation
seiner schöpferischen Liebe in Jesus Christus zu erfahren" (140).
Christliches Gebet ist darum hoffnungsvolle Rede.

§ 6 - Das christliche Gehet als . intwort: Erhörung (142-167). Während
im Alten Testament im Blick auf die Gebetserhörung auch Unsicherheit
zu finden ist, herrscht im Neuen Testament „ganz eindeutig
ausgesprochene Erhörungsgewißhcit" (143). Der damit gegebene
Widerspruch zu Erfahrung und Denken ist deutlich herausgearbeitet:
An Origcnes und Schleicrmacher macht Mössinger verständlich, wie
dieser Widerspruch interpretiert wurde: Erhörung ist im strengen
Sinne nicht denkbar, sondern muß also Ergebung. Einstimmung und
innere Reifung in Gottes Willen begriffen und gelebt werden. Mit
H. Mulcrt unterscheidet Vf. dieses Gebetsverständnis als „resigniertes
". Ihm gegenüber müsse die realistische Auffassung des Bittgebets
(150) festgehalten werden, wie sie in der Bibel, bei M.Luther.
M. Kahler, K. Barth. F.. Fuchs und W. Pannenberg in unterschiedlichen
Begründungszusammenhängen zu finden ist. „Erwartung und
Ergebung gehören im christlichen Glauben, der sieh im Gebet ausspricht
, zusammen. Dabei hängt die Ergebung an der Erwartung!"
(160). Und „Erhörung ist Gottes Wirken in der Geschichte der Welt in
bezug auf deren Grund und deren Ziel in Jesus Christus" (163), also
„mehr als die konkrete Befriedigung eines aktuellen Anliegens . . ."

tj 7 - Das christliche Gebet als Antwort und der betende 4enseh als
Antwortender (168-186). Mössinger faßt zusammen: Christlicher
(ilaube ist orientiert an der „Offenbarung der schöpferischen Liebe
Gottes" und hat deswegen „Mensch und Welt in ihrer Ganzheit" zum
Thema (170). Christliches (iebet ist erwartungsvoll, „weil der von
(iott in Jesus Christus angesprochene Mensch sich nicht abfindet mit
der noch unvollendeten Schöpfung" (I 700. So wird die von Grenzen
und Routineerfahrung geprägte Wirklichkeit immer wieder betend
überschritten.

Passivität führt immer wieder zu Aktivität. Erfahrung wird durch
Erfahrungsüberschuß erweitert. „Beten ist Schweigen und Schreien
zugleich, vor (iott im Angesicht seines Wortes" (D. Bonhocffcr. 1 73).
„Intimste Äußerung und die Teilnahme an der Welt im ganzen lallen
in der Antwort des christlichen Gebets zusammen" (173). Gebet ist
also keine „Selbstbeschäftigung", wie L. Feuerbach meinte, sondern
Konzentration auf Gott (I 74). Mit der Terminologie des dialogischen
Personalismus beschreibt Vf. abschließend die Intensität des durch
Jesus Christus eröffneten Gottesverhältnisses.

Mössinger ist eine gründliehe Untersuchung gelungen, die nur
gelegentlich durch Wiederholungen ermüdend wirkt. Das ausführliche
Literaturverzeichnis schließt mit 1980 ab. Der Autor hat selbst
bedauert, daß er den weiten Horizont, den er mit den (j§ I und 2 angezeigt
hat. am Schluß nicht wieder aufnehmen konnte. Er hat damit
eine bleibende Aufgabe markiert. Außerdem hat der Vf. aus einer
systematischen Soteriologie eine Soll-Vorstellung christlichen Gebets
entwickelt, die das Gottesverständnis dem Gottesverhältnis nach
einem Theorie-Praxis-Folge-Schema vorausgehen läßt. Hier wäre -
im Anschluß an die Anfangsparagraphen des Buches - weiterzudenken
: Ist im Beten ein Verhältnis zu Gott, wie vorsichtig, tastend.