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Ausgabe:

1988

Spalte:

298-301

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Herbst, Michael

Titel/Untertitel:

Missionarischer Gemeindeaufbau in der Volkskirche 1988

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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297 Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 4

Dogmatil und Ethik" (Exkurs 1: 7-14) findet in Sehlattcrs Denken
und in dessen Interpretation seitens Vf. eine überzeugende Fortsetzung
. Man wünscht diesem echten Zeugnis christlichen Glaubens
mit Verwirklichung einer „relativ selbständigen Ethik" (vgl. 30511")
aufmerksame I eser.

..Schlatters Grundthese, daß ein materieller Zusammenhang zwischen
dem Werk Gottes und dem Gebot Gottes besteht", die
„Bejahung von unbedingten Schöpfiingsordnungen (einschließlich
seiner Bejahung von Naturrecht und Sittengesetz) sei. d. h. eines allgemeingültigen
, mit der Schöpfung gegebenen Ethos" (304). so das
Gesamtergebnis, profilieren Schlatters Denken gut.zeigen aber auch
die bedenkliche Seile seines Entwurfs.

Jena Horst J E. Bcinlker

Mulack. Christa: Jesus - der Gesalbte der Krauen. Weiblichkeit als
Grundlage christlicher Ethik. Stuttgart: Kreuz Verlag 1987. 302 S.
8*. Kart. DM 29,80.

Nach der ..Weiblichkeit Gottes" (Matriarchalc Voraussetzungen
des Gottesbildcs, 1983) und der Mariologie als Präsentation der
Geheimen Gottin im Christentum" (1985) behandelt die renommierte
wie umstrittene feministische Theologin C hrista Mulack die
t hristologie im Rahmen der ..Weiblichkeit als Grundlage christlicher
Ethik" - eine bewußte Trilogie von Abba-Theo-logie, Maria-
PneumatO-logie (Maua als Geistin) und Jcsu-Iogie? Wenden wir uns
dem provokatorischen Versuch zu. Jesus als den Gesalbten der
Frauen und gerade nicht als den vom patriarchalen Männer-Gott
gesandten Messias vorzustellen.

Jesus hat sich ..von einem anfänglich patriarchalen Denksystem zu
einem matriarehalcn Anschauungsmuster hin entwickelt" (13.7911").
Das einschneidende Ereignis war eine Salbung durch Maria in
Bethanien (Mk 14.311"). die als Printerin einer eigenen matriarehalcn
Mystcricnschule in Bethanien den Mann aus Nazareth zum matriar-
ehalen Messias salbte und ihn so in diese Mysterienreligion aufnahm
"241"). ihn gleichzeitig zur Auferstehung salbte (denn Mk 14.3 ff leitet
ja die Passion ein), ihm die Weiblichkeit als Grundzug authentischen
Lebens vermittelte und ihn zum Apostel der Frauen für die im
Patriarchat befangenen Männer machte (8011"). So war Jesus ..in bezug
auf die Frau Lernender, in bezug auf den Mann hingegen Lehrer"
(|31). Die Erzählungen von der Syrophönizicrin (Mk 7.24ff) und der
Frau am Jakobsbrunnen besagen, daß Jesus ..nunmehr vom weiblichen
Geschlecht den offiziellen Auftrag erhält, mit der Autorität
eines Gesalbten seinen Geschlechtsgenossen die weibliche Weisheil
zu vermitteln" (131). Die Legitimation dieser Sendung wird durch den
"latnarchalen Mythos ..vom sterbenden und auferstehenden männlichen
Leben", von der Großen Mutter-Göttin und ihrem Heros-
Geliebten erzählt und plausibel gemacht (I lOff). Jesus selbst hat ..das
Bad des aktiv handelnden Weiblichen und des passiv erleidenden
Männlichen" vertreten (1 15); er selbst hat mit dem Beginn seiner
Öffentlichen Wirksamkeit nur noch weibliche Lebenshaltungen wie
Mitmenschhchkeit, Vergeben, Fürsorge, Teilen vertreten und nicht
rnehr die z. B. auch von Paulus hypostasierten patriarchalen Werte
W|e Gehorsam den Oberen gegenüber (1529). Deswegen verstand er
seinen Tod niemals hcilswirksam als stellvertretendes Sühnopfer (wie
der Patriarchalist Paulus es tat), sondern als Erfahrung konsequenten
Liebens (13.3ff). Anwendung: Wir männlichen Christen lernen einfach
nicht, daß ein solcher malriarehaler Lebensstil im Blick auf unser
Wirtschaftssystem gerade nicht einen Rückschriti bedeutet, sondern
daß endlich wieder echte, matriarchalc Bedürfnisse wie Liebe. Verbauen
, gemeinschaftliches Essen und Feiern usw. die Produktion
bestimmen würden - eine Überllußgcsellsehafl nicht an Waren des
Patriarchats, sondern am Wahren des Matriarchats! (175). So wird
-den Männern zugemutet, den Frauen Gehör und Glauben zu schenken
, und nicht umgekehrt. Die Auferstehungsbotschaft war nur um
den Preis des Hinhörens auf die Frauen zu haben" (268). So schließt
das Buch: „Als Trauernde über patriarchale Verkehrtheit, als phy-

298

sisch LJnfrucTitbare. die sich der Aufgabe der Reproduktion verweigern
oder aber aufhören, sich über ihr Mutlersein zu definieren,
entdecken wir Frauen unsere geistig-spirituelle Fruchtbarkeit und
werden zu unseren eigenen Verkünderinnen, bevor wir zu den Brüdern
gehen . . ."(288).

Die These des Buches isl klar: Jesu durch Maria besiegelte
Wandlung vom patriarchalischen zum matriarchalischen Lehensstil
wird und wurde von den meisten Frauen ohnehin schon gelebt und
muß nun -von uns Männern flachvollzogen werden. Diese I hese
provoziert kritische Anfragen, z. B. die exegetischen Rückfragen nach
der Bedeutung der Taufe Jesu durch Johannes, nach weiblich eingestellten
Männern in Gleichnissen Jesu, nach der Relevanz von
Sühnopfervorstellungen im Judentum und im entstehenden ('hristen-
tum, nach Mariaals Mystagogin von Bethanien oder daß alle Mahn-.
Gerichts- und Nachfolgereden Jesu ausschließlich an Männer adressiert
waren. Dann die Frage nach der kulturgeschichtlichen, ethischen
usw. Prävalcnz des Weiblichen: „Frauen sind nicht von Natur aus
besser" (D. Solle in: Unicum - Studentenzeitschrift 5/1987:
Ci. Sichtcrmann: Wer ist wie? Über den Unterschied der Geschlechter
, 1987). Frauen und Männer müssen sich doch wohl beide ändern
in der Transformation unserer Gesellschaft, wie z. B. die Theologinnen
Halkcs, Moltmann-Wendel. Schottroff annehmen. Weiter:
Inwiefern soll das Pattern von Muttergöttin und Heros die f ülle des
Göttlichen erscheinen lassen, wenn umgekehrt die Unfruchtbare (und
die Jungfrau Maria) als Prototyp der selbständigen, sich nicht mehr
über Gebären und Mütterlichkeit oder sonst eine Abhängigkeit vom
Mann definierenden Frau auftreten? Bleibt die Gottheit-Vorstellung
hier nicht unkritisch-theistisch, was Frauen wie D. Solle (etwa in
ihrem Buch über Stellvertretung) zu Rech! alsein letztlich patriarchalisches
Herrschaftsmodell für das Göttliche ablehnen? Das bedeutet
umgekehrt gerade nicht, daß es in der feminisierlen Gesellschaft
weder Herrschaft noch Aggressivität, weder Schuldigwerden noch
Vergeben gäbe. Von hier aus ist dann nochmals e lernen tar-christolo-
gisch nach der Bedeutung von Kreuz und Auferstehung zu fragen, die
sich beide gleichsam als christliche Hilfssymbole in das Postulat von
„Weiblichkeit" verflüchtigen. Ob die vorliegende Neuinterpretation
der Gestalt und Lehre Jesu aus geschlechtsspezitisch-feministischer
Sicht die chrislologische Diskussion einen Schritt voranzubringen
vermag, wird sieh zeigen müssen.

DarmsUidt UweGerbcr

Praktische Theologie: Allgemeines

Herbst. Michael: Missionarischer Gemeindeaufbau in der Volkskirche
. Stuttgart: Calwer 1987.477 S. 8°. Kart. DM 48.-.

Bald nach C. Möllers „Lehre vom Gemeindeautbau" (=GA) Bd. I
(vgl. ThLZ I 12, 1987, 625-627) erschien diese bei M. Seitz erarbeitete
Dissertation. Sic ist klar gegliedert. Weit ausholend wird im
I. Teil ,,GA als Problem der Prakt. Theologie" erörtert. Nach einem
Streifzug durch ihre Geschichte bestimmt Herbst sie als Wissenschart
vom GA, die am reformatorisch ausgelegten Evangelium zu orientieren
ist. GA ist „ein planmäßiges Handeln im Auftrag Jesu Chrisli
mit dem Ziel, dem Zusammenkommen. Gestaltgewinnen und Gesandtwerden
der .Gemeinde von Brüdern' zu dienen. GA geschieht
also in theonomer Reziprozität: Jesus Christus ist das erste Subjekt
des GAs; ihm entspricht aber ein entschiedenes und gezieltes
menschliches Mit-Tun" (66f). Das aus Barmen III übernommene
Motiv „Gemeinde von Brüdern" zieht sich durch das Buch (und soll
nach Herbst nicht sexistisch mißverstanden werden, was freilich einen
sprachlichen Mangel an dieser Stelle nicht aufhebt), Die Ekklesiologic
von Barmen ist für Herbst wichtig. Kriterien, Arbeitshilfen und Verheißungen
für den GA sind ohne ein gesetzliches Kopieren dem Neuen
Testament zu entnehmen. Deshalb gibt der Vf. einen Überblick über die
neutestamentlichen Aussagen zum Bau der Gemeinde.