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Ausgabe:

1988

Spalte:

295-297

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Neuer, Werner

Titel/Untertitel:

Der Zusammenhang von Dogmatik und Ethik bei Adolf Schlatter 1988

Rezensent:

Beintker, Horst

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 4

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die heutigen Strömungen um die Jesus-Frage, auch in solche, die sich
außerhalb der Kirche auftaten, ein. Beide Aufsätze sind auch als
selbständige Beiträge zur Frage nach Jesus Christus wichtig.

Was das Dokument bewirken mag, ist nicht vorherzusagen; seine
Rezeption wird nicht nur in den theologischen Lagern, sondern auch
in den Kontinenten unterschiedlich ausfallen. Doch sind möglicherweise
der Auswirkung des Textes durch die eigenartige Mischung aus
Information, vorsichtiger Wertung, Geltendmachen von kirchlicher
Tradition und einem nur sparsam verdeckten Lchranspruch durch
den Stil des „Ja-Aber" und das auffällige Synthese-Bedürfnis engere
Grenzen gezogen, als von den Autoren erwartet werden mag.

Leipzig Wolfgang Trilling

Systematische Theologie: Ethik

Neuer, Werner: Der Zusammenhang von Dogmatik und Kthik bei
Adolf Schlatter. Eine Untersuchung zur Grundlegung christlicher
Ethik. Gießen-Basel: Brunnen Verlag 1986. XIV, 413 S. 8" = TVG
Monographien und Studienbücher, 320. Kart. DM 39,-.

Kirche und Gesellschaft sind derzeitig von ethischen Krisen in
ihren sittlichen Urteilen verunsichert. Die supcrmoralische Gesetzlichkeit
treibt ebenso neue Blüten, wie die Liebesethik im Anschluß
an den neutestamentlichen Jesus zu wenig Gestalt und Gehör zu
finden vermag. Da ist die gründliche und umfassende Darstellung der
biblisch versuchten Ethik von Adolf Schlatter (1938/1952) eine Hilfe
zur Krisenbewältigung. Die von Carl Heinz Ratschow beratene und
hier in überarbeiteter Fassung vorliegende Marburger Dissertation
(1983) des in Heidelberg und Tübingen ausgebildeten Schlatterforschers
verdient wegen ihres intensiven Studienbezuges auch zu
unbekannten Manuskripten im Schiatterarchiv sorgsame Beachtung
.

Vier Teile, dazu ein ausführlicher Anmerkungsteil (31 1-395) und
ein Literaturverzeichnis (39611) mit A. Werke A. Schlattcrs, veröffentlichte
und unveröffentlichte (immerhin 12 z. T. umfangreiche Texte,
auch Briefe mit 7 Autoren werden aus dem Nachlaß zitiert), sowie B.
Sekundärliteratur (400-413) enthält die Arbeit. Teil I dient mit
„Problemskizze" der Einführung: Drei fundamentale Aspekte, „die
an die Fundamente christlicher Theologie rühren" (1): „nämlich die
Frage nach dem Zusammenhang von Dogmatik und Ethik als Frage
nach ihrer disziplinaren Zuordnung (1.), als Grundfrage christlichen
Cilaubens und christlicher Theologie (2.) und als Grundfrage jeder
(christlichen und nichtchristlichen) Ethik (3.). Am Ende dieser in drei
Schritten erfolgenden „Problemskizze" erörtert Vf. dann erst die
„Leitfragen und Ziele" seiner Arbeit. Immerhin horcht man auf und
erinnert sich des betonten Ausgehens von den natürlichen Gemeinschaften
bei Schlatter, die er darstellte, ehe er dem religiösen Zusammenhang
mit der vorauszusetzenden allgemeinen Wirklichkeit
seine Aufmerksamkeit widmete (vgl. H. Beintker, Die Christenheit
und das Recht bei A. Schlattcr, 1957, bzw. das Autorreferat in
ThLZ 82, 1957, 3890- Und Vf. zeigt in den prinzipiellen Darlegungen
, wie er selber gegen jede Isolierung allgemeiner von christlicher
Sittlichkeit steht: „auch jeder reflektierten nichtchristlichen Überzeugung
" stelle „sie die Frage nach dem Zusammenhang ihres Wirklichkeitsverständnisses
mit der Ethik" (15). Das sei im erweiterten
Sinne der begründete Verbund von Dogmatik und Ethik, er gelte für
jede Sittlichkeitsbemühung.

Welche weitgehenden Folgen das auch für die materialc Ethik hat,
bedenkt Vf. so: „die Frage nach dem Guten" könne zwar die christliche
Ethik „nur in ihrer theologischen Tiefendimension sachgemäß"
verhandeln, dies stehe aber „in keinem Widerspruch zum allgemeinen
Verständnis von Ethik"; auch die christliche Ethik sei von daher
„Ethik im allgemein üblichen Sinn, d. h. als Wissenschaft vom Sittlichen
zu verstehen" (314), wie Vf. mit Bonhoeffcr betont. Leider hat
Vf. den stärksten und s. Z. einsamen Theologen R. Hermann mit

seiner These der Sachlichkeit als ethischem Grundanliegen und
seinem Einordnen jeglicher christlichen Bemühung um Sittlichkeit
ins Humanum nicht beachtet. Seine Grundklürungen. bei denen gute
Information und weiterführende Denkarbeit fundamentaltheologische
Einsichten für evangelische Positionen in „Kombination von
theologiegeschichtlicher und systematischtheologischer Untersuchung
dar(bieten)" (19), sichern dem Werk schon damit eine bleibende
Bedeutung.

Die Teile II und III sind neue Forschungsbeiträge im Blick auf
Schlatters Werke. Zuerst folgt im Anschluß an die Klärung des Forschungsstandes
, wie er durch „Das Interesse am systematisch-theologischen
Denken Adolf Schlatters" (§2 noch in Teil I) gebessert, freilich
noch längst nicht ausreichend gegenüber dem zu hebenden Schatz
ist, die Sichtung der beiden wichtigsten zeitgenössischen - was wohl
etwas selektiv genommen ist - ethischen Konzeptionen von Wilhelm
Herrmann und von Emil Brunner als Gegensatz dazu (32-42). Diese
Skizze gibt Anlaß zur Vertiefung des Dogmatik-Ethik-Zusammen-
hangs und Übersicht der Ethikansätze, Der Teil III stellt den ..Zusammenhang
von Dogmatik und Ethik bei Adolf Schlatter" heraus
und entfaltet die „Eigenart von Schlatters systematischem Denken"
(43-266), also der eigentlichen Buchthematik entsprechend.

Hier finden sich drei Unterteile (A-C) und 25 Paragraphen
(§§6-30), auch die Exkurse 3-9 zu Spezialthemen wie „Die Auswirkung
von Schlatters Verständnis der Liebe auf seine Staats- und
Gcsellschaftsethik" oder zum Verständnis „der geistigen Struktur der
Natur" (125-133), „der Ursünde" (174-194), „der Rechtfertigung
aus Glauben" (220-225), oder über „Das erneuernde Werk des Heiligen
Geistes" (209-21 I), oft mit folgendem Abschnitt „Konsequenzen
lür die Ethik". Jedenfalls liegt hier die bisher reichhaltigste Interpretation
der Anthropologie und der dogmatischen Voraussetzungen von
Schlatters Ethik mit der christozentrischen Mitte vor. Auch seine
Gedanken zur Gotteslehre, zur Schöpfungslehre, zum Geschichtsverständnis
und zu Soteriologie und Pneumatologie werden vorgetragen
. Man vermißt, was Schlatter in bezug auf Gottes Gericht nicht
unterließ hervorzuheben: den Kontext der Eschatologie. Es wird „das
eschatologische Werk der Vollendung" (228) zwar vollendet (im
Sinne des „schon" und des „noch nicht" im Blick auf den „wiederkommenden
Christus"). Doch die „Universalität des Bösen endet
nicht und kann nicht enden" (ebd.). Aber das ist nur eine Seite der
„Kontinuität zwischen dem alten und neuen Menschen", die zurücktritt
gegenüber der Betonung des Glaubens als „Willensakt" (219) und
der Sichtbarkeit der Geistesfrüchte, der Wahrnehmbarkeit des Wirkens
des Heiligen Geistes (207). Insofern hat Schlattcr "realised
cschatology" vorgedacht, und das sollte einmal herausgearbeitet
werden. - Die Zuordnung von Dogmatik und Ethik in III.c wird mit
dem erhellenden Exkurs „Schlatters theologische Entwicklung von
der Ablehnung zur Bejahung der Ethik als eigenständige Disziplin"
beschlossen (257-266). Daß man sich durch den dünnsten Reproduk-
tions- und den noch feineren Haarstrichdruck in den Exkursionen
schwer durcharbeitet, sei vermerkt. Die überaus häufige CD-Abkürzung
muß man erraten; im Abkürzungsverzeichnis fehlt sie.

Der IV. Teil hebt „Die bleibende Bedeutung von Sehlatters dogmatisch
-ethischem Denken für die Frage nach dem Zusammenhang von
Dogmatik und Ethik" auf ca. 50 Seiten heraus. Hier klingen die Ausführungen
bisweilen etwas pflichtmäßig, und die Hoffnung auf ein
Eingreifen der Position Schlatters in die gegenwärtige Diskussion
scheint vage. Öfter handelt Vf. eigene Lösungswege ab, die in eigene
systematische Vorschläge zur „Bedeutung der christlichen Dogmatik
für die Begründung der christlichen Ethik" (275f) münden. Dann ist
es ja nicht Schlattcrs bleibendes Wort. Aber für die dogmatische Begründung
christlicher Ethik durch Schlatter mit dem Gottesgedanken
und mit Gottes Werk haben wir dank der Analysen des Vf. von Gegenwartsproblematik
in Sachen Ethik und Schlatters biblisch-
neutcstamentlichem Ansatz sowohl für den Begründungszusammen-
hang wie für den Inhalt der Ethik einen gewichtigen Beitrag. „Das urchristliche
Taufbekenntnis .Herr ist Jesus' als Urgcstalt christlicher