Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

291-293

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Keil, Günther

Titel/Untertitel:

Glaubenslehre 1988

Rezensent:

Mildenberger, Friedrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

291

Theologische Literaturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 4

292

Tendenzen zur Anpassung an den religiösen Synkretismus der Gegenwart
entschlossen zu bekämpfen und zum genuin biblischen Gottesglauben
zurückzukehren. Die Expansion der westlichen Kultur habe
für das wahre Christentum ruinöse Folgen gehabt: In den letzten
Jahren seien die einstmals christlichen Länder Westeuropas zunehmend
von den Religionen des Ostens überflutet worden. Diese übten
in der großen Sinnkrise der Gegenwart vor allem auf die Jugend einen
äußerst unheilvollen Einfluß aus. Östliche Religiosität erschüttere die
Grundlagen unserer bisherigen Kultur, verfälsche Gott zu einem abstrakten
, weltimmanenten Wesen, das freier Persönlichkeit und
souveräner Fähigkeit zur liebenden Hingabe an seine Geschöpfe entbehre
, und bereite einem Menschenbild den Weg, in dem die Grundlage
wahrer Humanität, die innige Liebesgemeinschaft des Gläubigen
mit dem guten Weltenherrscher, durch eine diffuse mystische Selbstversenkung
des Individuums bzw. pseudoreligiöse Autoerotik ersetzt
sei.

M. führt deshalb einen apologetischen Kampf, wie er schon im
19. Jh. immer wieder gekämpft worden ist. Im ersten Kapitel verteidigt
er Gottes Souveränität und Persönlichkeit, indem er den Pantheismus
als unbiblisch widerlegt. In neun weiteren Kapiteln behandelt
er zunächst Grunderfahrungen wahren Glaubens wie Schöpfung,
Vorsehung und Wunder. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dann
dem Phänomen der Gebetserhörung. Schließlich wird erklärt, wie das
Böse in Gottes gute Welt gekommen ist, und das Verhältnis zwischen
"Moral Evil and Human Freedom" entfaltet. Weder der klassische
Theismus noch die modernistischen Religionslehren F. von Hügels
oder C. Hartshornes seien dem Problem des Verhältnisses zwischen
der Allmacht Gottes und der Faktizität des Bösen gerecht geworden.
M. löst dieses Problem durch den Hinweis auf solche Frommen, die
mit Blick auf ihre eigene Sündhaftigkeit die Erfahrung gemacht hätten
, daß Gott die Sünde gerade aus Liebe und Gnade zulasse: Sünde
diene dazu, uns vor falscher Selbstsicherheit zu bewahren und uns Tag
für Tag neu die Notwendigkeit eines heilsaktivistischen Kampfes zur
Stärkung unseres "moral character" vor Augen zu führen. Von der
unmittelbaren Gotteserfahrung der wahrhaft Frommen her werden
auch die schon erwähnten anderen Themen behandelt. So heißt es im
Kapitel über das Wunder, in dem die Möglichkeit supranaturaler Eingriffe
Gottes in den Naturverlauf erwiesen werden soll: "In the end, it
is by a miracle we are redeemed into an understanding of the mira-
culous. Only the one who has experienced a miracle can believe a
miracle." (103)

M. s evangelikale Theologie läßt sich als eine Erweckungstheologie
charakterisieren, die sich durch den Rekurs auf individuelle religiöse
Erfahrung gegen mögliche Kritik zu immunisieren sucht. Man täte
dem Autor Unrecht, wollte man dies als theologisch defizitär kritisieren
. Denn sein Buch wendet sich nicht an akademische Theologen,
sondern primär an seine Gesinnungsfreunde. Durch Beschwörung der
aus Asien drohenden religiösen Gefahren und ausführliche Widerlegung
religionsphilosophischer Kritik des alten Kirchenglaubens soll
deren anscheinend bedrohte religiöse Identität gestärkt werden.

München Friedrich-Wilhelm Graf

Systematische Theologie: Dogmatik

Keil, Günther: Glaubenslehre. Grundzüge christlicher Dogmatik.
Stuttgart-Berlin (West)-Köln-Mainz: Kohlhammer 1986. 212 S.
gr. 8 Kart. DM 38,-.

Als Glaubenslehre mit dem Untertitel „Grundzüge christlicher
Dogmatik" wird hier ein transzendentaltheologischer bzw.
-anthropologischer Entwurf vorgelegt, was zeigt, daß sich die transzendentale
Argumentationsweise anscheinend immer noch einiger
Beliebtheit erfreut. Inwiefern, wie das Vorwort behauptet, wissenschaftlich
ein Neuansatz gewagt wurde, ist mir nicht klar geworden. In
der Anlehnung an den späteren Fichte kann dieser Neuansatz doch

kaum liegen. Auch daß nicht die transzendentale, religionsphilosophische
Argumentation einer dann die Offenbarung und ihre kirchliche
Tradition interpretierenden Dogmatik bloß zuarbeitet, sondern
daß der transzendentale Entwurf mit der Interpretation der dogmatischen
Tradition in eins fällt, ist mir hier gewiß nicht zum ersten Mal
begegnet.

Die Glaubenslehre Keils ist in drei Hauptteile gegliedert: Geist,
Glaube, Gott. Die Abhandlung über den Geist vertritt die sonst üblichen
dogmatischen Prolcgomena (Vf. schreibt „Prolegomenen", dafür
dann „Themata"). Vf. macht es dem Leser nicht ganz einfach, dahinterzukommen
hinter das, was er nun genau unter Geist versteht.
Denn dieser Geist kann näher bestimmt werden als christlicher Geist,
er wird mit Gesinnung und Glaube promiscue gebraucht, gerade in
den einleitenden Passagen. Doch ist die Grundbedeutung wohl am
ehesten als „Subjekt des Denkens" zu bestimmen, wobei dann wieder
die Denkakte, Noesen, von den Gedanken, den Nocmata zu unterscheiden
sind. Kennzeichnend für die Bestimmung des Geistes im
christlichen Sinne - es stellt sich dann natürlich heraus, daß das der
Geist im eigentlichen Sinne ist - ist, daß er aufgrund der Feindesliebe
als diese ganze Glaubenslehre strukturierendes Prinzip des Christlichen
dialektisch ist: Er kann die ihm entgegenstehenden Argumente
verstehend gelten lassen, um sie eben damit aufzunehmen und auf
einer höheren Ebene mit sich zu vereinen.

Geist ist dabei auf Einheit aus, eben damit aber religiös. Denn die
Einheit des Bewußtseins fordert ja eine einheitliche Weltdeutung.
Eine solche „einheitliche Grundüberzeugung" ist nach der Definition
, die Keil gibt, Religion. Dabei wird dano der religiöse Geist
zugleich als Tätigkeit und Gnade bestimmt. Tätigkeit ist er in seinen
Noesen; aber das diesen zugrundeliegende subjektive Prinzip kann
selbst nicht geleistet werden, ist vielmehr reine Gnade. Indem Geist
auf eine letzte Einheit aus sein muß, zeigt sich solche Einheit als
Wahrheitskriterium (Vf. sieht sein Wahrheitsverständnis in der Nähe
der Kohärenztheorie). Mit der üblichen transzendentalen Argumentationsmethode
werden Gegenargumente entkräftet: Der Skeptiker,
der die Wahrheit behauptet, daß es keine letzte Wahrheit gebe, hat damit
schon vorausgesetzt, was er bestreitet. Auch „alle Konsensustheorien
der Wahrheit sind ein Widerspruch in sich, eine Selbstlüge, denn
sie nehmen für ihre eigene Theorie einen Wahrheitsbegriff in Anspruch
(sie wollen schlechthin gültig sein), der sich mit ihrer eigenen
Wahrheitstheorie bloß konsensusbedingter Wahrheit nicht deckt"
(57). Aber tun sie, was Vf. ihnen unterstellt? Und wo bleibt da seine
Feindesliebe? Oder ist diese bloß ein verkapptes Instrument intellektueller
Herrschaft? In einem Abschnitt über Geist und Wort, der als
Wort Gottes eine transzendentale Ursprache behauptet, die weder
lügen noch irren kann, wird die Christologie präludiert. Das Fleisch
gewordene Wort Gottes ist zwar nicht dieses ursprüngliche Wort Gottes
, aber doch der Weg zu ihm.

Merkwürdigerweise beschließt ein Abschnitt über Leiden und
Freude des Geistes diese Prolegomena, der Versuch, eine Konfession
Jeremias zu exegesieren. Was hier schon Schwierigkeiten macht -
nicht das Denken, sondern der leibhafte Mensch in seiner Zeit leidet
und freut sich -, kehrt wieder im 2. Teil „Der Glaube". Darunter will
Vf. den Geist in seinem konkreten Vollzug und unter den Bedingungen
der sündigen Sprache verstehen. Indem der Glaube im Vollzug
Rechtfertigung ist, kommt damit dann die Anthropologie zur Sprache
. Das Wesen des Glaubens ist einerseits Demut und daraus folgender
Transzendenzbezug, sofern hier die notwendige Begrenztheit des
Geistes bejaht wird, andererseits dankbare Freude, sofern er sich in
seiner Relativität im absoluten Gott verankert weiß. Gegenüber diesem
subjektiven Glauben wird öffentliche Religion abgewertet, denn
die Transzendenzbeziehung ist Sache der ureigensten glaubenden
Individualität.

Rechtfertigungsglaube ist dieser Glaube, sofern er in die Feindcs-
liebe Christi aufgenommen ist, und sich damit in die „Stre^betendenz
der Fcindesliebc" eingegliedert sieht, die alle begrenzten Objekte und
also auch das begrenzte Objekt, sei es das des Menschen, aufs Ganze