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Ausgabe:

1988

Spalte:

288-289

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schüßler, Werner

Titel/Untertitel:

Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs (1910-1933) 1988

Rezensent:

Glöckner, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 4

288

net die Darstellung Werkepochen nach (z. B. bei Schelling, Marx,
Husserl, Wittgenstein, Heidegger). Neben den schon erwähnten
„Klassikern" sind noch Spinoza und Hegel eigene Kapitel gewidmet.
Im ersten (= 3. durchgezählten) Abschnitt des Teilbandes sind Schelling
und Schleiermacher sinnvoll, Leibniz ist mit „verwandten Strömungen
" (z. B. dem Utilitarismus) ein wenig unglücklich zusammengefaßt
. Außerdem gibt es dort je ein Kapitel über die englische und die
französische Philosophie der Aufklärung. Im zweiten (=4.) Abschnitt
sind die Kapitel ausschließlich nach Strömungen benannt (§§23-28
über Idealisten, Materialisten, Positivisten und Empiristen, Volunta-
risten und Vitalisten, Existenzphilosophen sowie Phänomenologen).
Kennzeichnend nicht nur für diesen Teilband ist jedoch, daß es sich
auch hier nicht um Überblickskapitel handelt, sondern daß nun wiederum
fast alle Abschnitte einzelnen Denkern gewidmet sind. Das
setzt sich im § 24.4 („Der Neomarxismus") bis in die Untergliederung
fort (in der nach Bloch auch noch die Vertreter der „Frankfurter
Schule" je für sich gekennzeichnet werden), und selbst die stark systematisierenden
Unterabschnitte des §25 („Positivisten und Empiristen
") laufen aus in eine nach Werkepochen gegliederte Wittgenstein
-Darstellung.

Solche extreme Werknähe bedingt die Vorzüge und die Nachteile
dieser - daran sei hier erinnert - aus einer Vorlesung besonders für
Theologiestudenten hervorgegangenen Philosophiegeschichte, die
(wie es auch im Vorwort zum 2. Teilband heißt) „auf knappem Raum
bei möglichst guter Verständlichkeit möglichst tief in die wirkliche
philosophische Problematik einführen" will. Akzeptiert man die Auswahlkriterien
des Vf., so stimmen diesmal die Proportionen: Die
nachgezeichneten Gedankengänge können sich entfalten. Aber vor
allem für den intendierten Leserkreis (v. a. Schüler und Studenten)
lassen sich dennoch Verständnisschwierigkeiten mancherlei Art erwarten
. Das betrifft einmal das Darstellungsniveau. Nur bei der Nachzeichnung
der Gotteslehre Spinozas unterscheidet der Vf. zwischen
dem „mitdenkenden" und dem „flüchtigen Leser" und macht diesem
einen gesonderten Lektürevorschlag. Aber auch z. B. die Kant-
Darstellung erfordert eine äußerst intensive Nacharbeit. Nun ist dies
durch die Konzentration auf die Grundlagen des Kantschen Systems
und durch die mustergültig klare Darstellung für den Anfänger lohnend
und erfolgversprechend zugleich. Er wird eingeführt in ein
System, das er in seiner erkenntnistheoretischen Funktion und in seiner
Architektonik zu durchschauen lernt, so daß ihm dessen Entfaltungsschritte
nachvollziehbar sind. Leider ist dies nicht die Regel. Vor
allem bei den übrigen „Klassikern" und den „Idealisten" erwartet ihn
hinter fast jedem „denn", „also" und „folglich" die Einführung eines
völlig neuen Gesichtspunktes oder gar eines Gedankens, dem einer
der vorangegangenen Denker klar widersprochen hatte, ohne daß
auch nur ansatzweise Verbindungslinien gezogen oder tieferliegende
Vergleichs- und Beurteilungskategorien angeboten werden.

Vf. sieht hierin den Ausdruck einer „verstehendc(n) Philosophiegeschichte
. . ., die zwar die dargestellten Philosophien hermeneutisch
durchdringen, aber sie nicht von außen her beurteilen oder gar zensieren
will"(S. 9). Für den Lesertyp, der von den dadurch entstehenden
Schwierigkeiten des Nachvollzugs nicht in die Resignation getrieben
wird, bietet sich in der Tat eine Art narrative Einübung in die verschiedenen
philosophischen Systeme, die hinführen kann zu einem
verstehenden Einschwingen in jenes überwiegend historisch (und
auch hier zu 80% deutsch) bestimmte philosophische Standardparadigma
, das etwa die zeitgenössische Theologie noch weitgehend
bestimmt. Auch (und vielleicht vor allem) der Nicht-Anfänger kann
sich dabei in beiden Teilbänden einer Darstellung anvertrauen, die an
unmittelbarer und gleichmäßiger Quellenkenntnis ihresgleichen
sucht. Ob er freilich damit durchdringen wird zu einer eigenen und
heute noch tragfähigen philosophischen Position - das sei dahingestellt
(Vf. integriert z. B. Jaspers' „Philosophie der Weltanschauungen
" christlich, um im „rein philosophischen Zweck zu zeigen, wie ein
liebendes Verstehen die verschiedenen Denksysteme, ohne ihre Gegensätze
logisch aufzulösen, dennoch zusammenstehen sehen kann",

a. a. O.; vgl. den „Rückblick" und die entsprechenden Bemerkungen
im 1. Teilband).

Hamburg Wolfgang Nelhöfel

Schüßler, Werner: Der philosophische Gottesgedanke im Krühwerk
Paul Tillichs (1910-1933). Darstellung und Interpretation seiner
Gedanken und Quellen. Mit einem Geleitwort von R. Albrccht.
Würzburg: Königshausen + Neumann 1986. XVII, 260 S. 8* = Epi-
stemata. Reihe Philosophie, 22. DM 68,-.

Unter denen, die sich konstruktiv und kritisch mit dem Werk Paul
Tillichs beschäftigen, verdient Werner Schüßler zunehmende Beachtung
. Bemerkenswert ist die vorliegende Analyse, weil sie sich konzentriert
auf die für Tillich grundlegende frühe Schaffenszeit und sich
auseinandersetzt mit der göttlichen Grundoffenbarung, einem „zentralen
Begriff Tillichschen Denkens, mit dem seine symbolische Metaphysik
steht und fällt" (S. 113).

Die Arbeit besticht durch knapp gefaßte, logisch zügige Darstellung
anhand von sorgfältigen und umfassenden Begriffsanalysen, gegliedert
in klaren Sinnabschnitten. Besonders erfreulich ist, die Verankerung
vieler Gedanken und Begriffe Tillichs in der Geschichte der europäischen
Philosophie und Theologie so häufig und kenntnisreich
nachgewiesen zu sehen. So finden sich aufschlußreiche Aussagevergleiche
z. B. zu Fichte (S. 1 15), zu Cassirer (S. 750 und in einem
zweiten Teil des Buches ab S. 148 zu Plotin, Schelling, R. Otto und
K. Barth. Auf diese Weise will Schüßler „nicht nur die Verwurzelung
Tillichs in der Tradition sichtbar machen", sondern auch die eigene
Interpretation stützen (S. 147).

Schüßlers Interpretation zielt ausgesprochenermaßen ab auf die
philosophische Grundlage Tillichs, so daß der philosophische Gottesgedanke
als Prüfstein seiner Philosophie im Mittelpunkt des Interesses
steht nach folgenden vier Fragen:

(1) Gibt es einen philosophischen Erkenntnisweg des Menschen zu
Gott?

(2) Kann man über Gott Aussagen machen?

(3) Wie ist das Verhältnis des Unbedingten zum Bedingten aufzufassen
?

(4) Wo ist das Dämonische einzuordnen? (S. 147)

Vorab versucht Schüßler zu klären, „ob Tillich primär als Theologe
, Religionsphilosoph oder Metaphysiker zu verstehen ist" (S. 5),
und leitet dabei ein in die historisch komplizierte Entwicklung der Religionsphilosophie
. Tillichs „metalogische" Methode, welche das
„Moment des Vcrstehens hincinnimmt und den Gehalt in den bedingten
Sinnformen zu erfassen sucht", (S. 21) veranlaßt Schüßler zu
einer großen Bemühung, den bei Tillich nicht eindeutig gefaßten und
verwendeten Komplex von Gehalt und Form zu erfassen und in seiner
Bedeutung zu bestimmen.

Dann aber ist der Weg offen für die zentralen Fragen nach der
menschlichen Aufnahmefähigkeit für die göttliche Grundoffenbarung
und der menschlichen Aussagefähigkeit darüber in Symbol und Mythos
nach den Frühwerken Tillichs (vor allem „Religionsphilosophie
" von 1925 und „Das Dämonische" von 1926). Der „Gottesgedanke
" Tillichs wird dabei untersucht nach seinem Vermögen, die
Einheit in aller Vielfalt der Welt anzusprechen, zielgenauer als Pantheismus
oder Agnostizismus; alles Bedingte in der Vielfalt der Welt
wird in seiner Transparenz für das „Unbedingte" hinterfragt; das Dämonische
- also die gegenschöpferische Kraft - wird auf seine Eigenständigkeit
hin durchgesehen. So erweist sich der Gottesgedanke als
Kern einer philosophischen Sicht, so wird er bei Till ich untersucht.

Eine lange Liste von Quellen und von Literatur, ein umfangreiches
Personen- und Sachregister geben Auskunft über die Sorgfalt der
Arbeit, welche in ihrer ersten Gestalt 1983 an der Universität Trier als
Dissertation angenommen wurde.

Im Geleitwort bedauert Frau Renate Albrecht - Hgn. der Gesammelten
Werke Paul Tillichs - „warum Paul Tillich in der Evangelischen
Kirche Deutschlands wenig bekannt, zumindest ohne wesent-