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Ausgabe:

1988

Spalte:

284-285

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Heimerl, Hans

Titel/Untertitel:

Der Zölibat 1988

Rezensent:

Stein, Albert

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Theologische Litcraturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 4

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nach 1945 mit Begriffen wie „Tabula-rasa-Syndrom" (Franz Focke)
und „verdecktes Kapitalverhältnis" verständlich (S. 287(T): „Die
Komplementarität zwischen verdecktem Kapitalverhältnis und tabu-
la-rasa-Bewußtsein befreit von einem gewaltsamen interpretativen
Umgang mit unmittelbar gegensätzlich scheinenden Auslassungen
kirchlicher Repräsentanten" (S. 292), heißt es in einem seiner methodisch
-konzeptionellen Schlüssclsätzc. Fortschrittliche Postulate wie
„Mitbestimmung" und „Ertragsbeteiligung" seien ebensowenig wie
die im Corpus der Arbeit sonst beigebrachten sozialkritischcn Stellungnahmen
auf dem Hintergrund einer antisäkularistischen patriar-
chalen Grundhaltung des kirchlichen Establishments beschwichti-
gend-taktische Motive. Vielmehr habe der „Eindruck ubiquitärer Zertrümmerung
vormaliger Sachwerte und Strukturen" durch das
„Dritte Reich" gleichsam „kataklysmisch" eine sozialpsychologisch
wirksame Fiktion erzeugt, die den Blick für die unter der Oberfläche
von Vernichtung und Chaos intakt gebliebene kapitalistische Eigentumsordnung
verstellte. Es ist allerdings die Frage, ob die „Neigung,
den Zusammenbruch des Marktes mit dem Zusammenbruch des
Kapitalismus zu verwechseln", wirklich generell als zum aufgeklärten
politischen Allgemeingut des Nachkriegsprotestantismus gehörig
verifiziert werden kann, so sehr das Bewußtsein von der „Stunde
Null" grassierte, auf die der Begriff tabula-rasa-Bewußtscin hinweist
.

So erscheint dem Autor der umgangssprachlich abgeflachte Begriff
„Restauration" in keiner Weise mehr zureichend, um den auch
kirchlich vertretenen „sozialen Konservativismus" in Westdeutschland
nach 1945 korrekt zu beschreiben (S. 286). Der Protestantismus
habe sich in dieser Zeit vielmehr auch „gesellschaftspolitischen Positionen
zu öffnen begonnen, die in der sozialdemokratischen Tradition
beheimatet waren" (S. 286). Noormanns modifizierte Restaurationsthese
geht im ganzen neben der Illusion über die tatsächlichen Grundlagen
der westdeutschen Nachkriegsentwicklung durch das zeitgenössische
Bewußtsein besonders davon aus, daß gleichzeitig geistigautonome
Antriebskräfte der umfassend verstandenen „bürgerlichen
Kultur", die er nicht näher bestimmt oder erläutert, von der durch den
faschistischen Schock erzeugten „Flutwelle des Antirationalismus,
der.. . Offenheit gegenüber theologisch-metaphysischer Daseinsbewältigung
" (S. 292) suspendiert worden seien, wodurch es der Kirche
möglich wurde, ohne wesentliche Veränderung ihrer theologischen
Symbolik „störende Schalen" der „feudalen Herkunft" abzustreifen
und sich der bürgerlichen Welt anzupassen. Das kirchliche bereitwillige
„Ja zu Demokratie und zu mehr sozialer Gerechtigkeit" sei durch
antitotalitäre Reflexionen bedingt (S. 2920-

Die Frage, inwieweit solche Theorieansätze, die zunächst nur als
Gesprächsangebote zur Hypothesenbildung rezipiert werden können,
in der zeitgeschichtlichen Forschung Zustimmung finden, wird sicher
recht unterschiedlich beantwortet werden. Der mehr appendixartige
Konzeptualisierungsversuch hätte dem Corpus der Arbeit stärker
integriert und am dargebotenen Material verifiziert werden müssen.
Sicher werden manche Vorgänge des dargebotenen zeitgeschichtlichen
Spektrums der unmittelbaren Nachkriegszeit auch so gedeutet
werden können. Eine stimulierende Funktion bei der weiteren Forschungsentwicklung
wird darum die Publikation auch dort auslösen,
wo sich der Deutungsversuch - etwa theologiegeschichtlich - defizitär
oder gar unangemessen erweist. Wen die mir etwas unvermittelte Art
der zeithistorischen Problem- und Ercignisdarbietung und der kon-
zeptualisierenden Theorieerörterung, die sich indes als forschungsgeschichtlicher
Einordnungs- und Profilierungsversuch verstehen
mag, stört, wird aber trotzdem durch die im Quellenband verstärkte
zeitgeschichtliche Information, die auch der Grundriß bietet, bei der
Lektüre durchaus entschädigt.

Leipzig Kurt Meier

Graf, Friedrich W., u. Klaus Tanner: Protestantische Staatsgesinnung. Zwischen
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Klatt, Heinz Günther: Ein politischer Mensch war er nicht. Murahrens verstand
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Wirth, Günter: Orthodoxe Kirche in Berlin nach 1945 (Stundpunki 15. 1987.
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Kirchen- und Konfessionskunde

Heimcrl, Hans: Der Zölibat. Recht und Gerechtigkeit. Wien - New
York: Springer-Verlag 1985. IX. 92 S. gr. 8'. Kart. ö. S. 245.-.

Der Ehestand der Priester war schon lange als eine Grundforderung
der Reformation bekannt, ein Schibboleth der Unterscheidung kano-
nistischen und evangelischen Kirchenrechtsdenkens (vgl. CA XXIII).
Trotz und vielleicht sogar ein wenig wegen dieses Widerspruches ist
die römische Kurie bis heute auf der Zölibatsforderung beharrt, auch
wenn in einem gewandelten Umfeld der eigene theologische Nachwuchs
ihr weithin nicht mehr zu folgen bereit ist und die priesterloscn
Gemeinden sich mehren. Um so mehr Aufmerksamkeit verdient es,
daß ein prominenter österreichischer Kanonist (er legte erst 1983 zusammen
mit Helmut Pree im gleichen Verlag ein Kurzlehrbuch des
neuen katholischen Kirchen rechtes vor) die Zölibatsfrage zum Thema
einer Monographie macht. Weder eine Lobrede noch eine Polemik
will er bieten, sondern eine objektive Darstellung des geltenden
Rechtes der lateinischen Kirche soll den gegenwärtigen rechtlichen
Stand nach dem neuen kirchlichen Gesetzbuch (CJC/I983) interpretierend
erheben (1).

Die einleitende Grundlegung kennzeichnet den Klcrikcrzölibal als
eine den Ursprüngen gegenüber spätere Entwicklung (2), die erst in
der gregorianischen Reform des II. u. 12. Jh. energisch durchgesetzt
wurde (3). Kritik erhob sich in der Reformation wie in der Aufklärung
, aber auch neuerdings im Zusammenhang mit den Folgen des
Zweiten Vatikanischen Konzils (4). Gegenüber anderer Praxis sowohl
in den katholischen Ostkirchen wie in der von Rom getrennten Christenheit
(8) ist der Zölibat wesentlich eine Rechtsfrage, die durch lateinisch
-katholische Rechtsordnung bestimmt und, wenn überhaupt,
nur durch sie aufzuheben (9) ist.

Nach kurzer Erörterung der Beziehungen des Problems zu den
innerkirchlichen Grundrechten (I0ff) stellt der Vf. klar, daß nach
jetzigem Kirchenrecht der Zölibat sich als Verpflichtung zur Ehelosigkeit
(190 kraft Gesetzes durch die Weihe zum Diakon, Priester oder
Bischof ergibt, wobei die feierliche Übernahme der Zölibatsverpllich-
tung nicht konstitutiv ist (23f). Ausgenommen von dieser Pflicht sind
Diakone, die als Verheiratete die Weihen empfangen, für die Dauer
dieser Ehe (22) und die seltenen Fälle von Sonderregelungen, wie sie
etwa bei Konversion verheirateter protestantischer Theologen vorgekommen
sind (220- Nurder im Ordensgelübde übernommene Zölibat
wird als göttliches Recht verstanden (29).

Rechtlich durchzusetzen bemüht sich das katholische Kirchenrecht
die Zölibatsverpflichtung vor allem durch seine Wertung als Ehehindernis
, wodurch eine allfälligc Ehe ungültig wird; die Dispensmöglichkeit
hiervon ist auf die rigoroseste Weise eingeschränkt (300-
Versuchte Eheschließung eines Zölibatärs ist ein schwereres kirchliches
Delikt als etwa Scxualdelikte im engeren Sinne (43). Die dem
Papst vorbehaltene Dispens von der Zölibatspllicht ist nach einigem
Schwanken (54ff)nun von äußerster Strenge und gibt nach den derzei-