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Ausgabe:

1988

Spalte:

281-283

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Noormann, Harry

Titel/Untertitel:

Protestantismus und politisches Mandat 1945 - 1949 1988

Rezensent:

Meier, Kurt

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Theologische Literaturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 4

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gaards Weigerung, das Vermögen sündhaft anzulegen und Zinsen
bringen zu lassen und an dem Ernst, als vermögender Schriftsteller im
Sinne der „Ordre" von Gott zu arbeiten (vgl. Pap. X, 4 A 559), paßt
die angesetzte Skrupellosigkeit einfach nicht!

Die Textauswahl ist wohlüberlegt und gibt einen guten Einblick in
das Schaffen des Dänen. Sie beginnt mit der „Erbaulichen Rede" zu
dem „Ultimatum" von „Entweder-Oder" (1843, ab SV II, 312) und
fuhrt über wichtige Werkpassagen (drei Auszüge aus „Der Begriff
Angst", 1844, mit dem berühmten §5 des ersten Kapitels, SV IV,
313-316!), über zwei Tagebuchauszüge bis zum „Augenblick" (Nr. 2
vom Juni 1855, Fundslelle „14"-ab SV XIV, 129-138). Rätselhaft
bleibt, warum für die erste Fundstelle „1" wie die letzte „ 14" die veralteten
Übersetzungen der „Jenenser Ausgabe" von Kierkegaards
Werken durch Pfleiderer und Schrcmpf (Eugen Diedcrichs - Jena für
■ 1" 1922, für,.14" 1923) herangezogen worden sind.

Detmold Wolfdietrich von Kloeden

' Zitiert wird nach der ersten dänischen Ausgabe von S. Kierkegaards Sam-
ledc Vaerker (..SV"), hg. von Draehmann. Heiherg und Lange, Kopenhagen
1901 ll'mit nachgestellter Band- und Seitenangabe wie nach der ersten Ausgabe
der Papircr S. Kierkegaards („Pap "), hg. von Heiberg. Kühr und Torsting, Kopenhagen
1909-1948 mit der üblichen Band-und Stellenangabe.

Noormann, Harry: Protestantismus und politisches Mandat
1945-1949. I: Grundriß. 2: Dokumente und Kommentare. Gütersloh
: Gütersloher VcrlagshausGerd Mohn 1985. 317 S. u. 287 S.
8* Kart. DM je 48,-.

In den vergangenen Jahren hat die zeitgeschichtlich-politologische
Aufarbeitung der unmittelbaren Nachkriegszeit nach 1945 im Blick
auf evangelisches Kirchcntum einen spürbaren Aufschwung genommen
. Der früher im diplomatischen Dienst tätige Zeithistoriker Frederic
Spotts (Kirchen und Politik in Deutschland, Stuttgart 1976,
amerik. Ausg. 1973) hatte unter Verwendung aussagekräftigen Aktenmaterials
(u. a. des State Department in Washington) evangelische wie
katholische Kirche Westdeutschlands sogar bis 1972 instruktiv beschrieben
. Eine Reihe zeithistorischer Studien zu wichtigen Einzel-'
Problemen liegen vor (Kollcktivschuldfragc, Entnazifizierung, kirchliche
Reorganisation, Stellung zur Remilitarisierung, gesellschaftliche
Neuorientierung etc.). Armin Boyens hat in dem Band „Kirchen in
der Nachkriegszeit" (AK1Z B 8), in dem sich auch M. Greschat und

v. Thadden zu Fragen der unmittelbaren Nachkriegsentwicklung
in Deutschland äußern, malerialrcich die Kirchenpolitik deramerika-
nischen Besatzungsmacht in Deutschland von 1944-1946 vorgestellt
.

Die vorliegende Habilitationsschrift von Harry Noormann, tätig am
Seminar für Evang. Theologie und Rcligionspädagogik der TU
Braunschweig, Fachbereich Erziehungswissenschaften, versucht unter
pluriformcm Gesamtaspekt, das sozio-politische Einstellungs-
v'erhaltcn des evangelischen Kirchcntums in den Westzonen unter
zentraler Berücksichtigung der öffentlichen Stellungnahmen seiner
Führungsinstanzen vorzustellen. Der in sechs Kapitel gegliederte
material- und erörtcrungsreiche kritische Grundriß bietet in seiner
thematischen Pluralität weniger einen verlaufsgeschichtlichen Gesamtdurchblick
alri eine Ereigniskomplexc betrachtende Problem-
erörterung. die greichwohl zeithistorisch instruktive Einblicke vermit-
te't'- 1. Renaissance der Öfl'cntlichkcitswirkung protestantischer
Lehre und Diakonie; 2. Standortsuche: Der Protestantismus im poli-
t'schen Kräftefeld; 3. Protestantische Optionen zur wirtschaftlichen
Restabilisierung der Westzonen; 4. Der Protestantismus im Prozeß
^er politischen Spaltung Deutschlands; 5. Die Schulpolitik der evangelischen
Kirche; 6. Annäherungen an eine Theoriebildung über den
Charakter evangelischer Ethik in der Nachkriegsperiode. Das Projekt
versteht sich als „überblicksartige Skizze zur protestantischen Nachkriegsgeschichte
". Es verwertet neben Literatur und gedruckten

Quellen vorrangig Archivalien aus dem Evangelischen Zentralarchiv
in Berlin, das auch Dokumentationsmaterial aus den einzelnen Landeskirchen
enthält, die deren regionale Konflikte in überregional virulenten
Problemfeldern aufhellen können. Da die steuernde Hand der
EKD-Spitze bei den behandelten Problemfeldern („Entnazifizierungskampagne
", Hilfswerkaktivitäten, „oidnungspolitische Eckdaten
in Wirtschaft und Politik, in der Deutschland- und Schulfrage")
sichtbar werde, hält es der Autor für legitim, die „Wahrnehmung des
politischen Mandats" durch dön landeskirchlich geprägten Protestantismus
„im Spiegel der Handlungsweisen seiner führenden Amtsträger
zu beleuchten" (220. Auf etwaige Impulse der Ökumenischen Bewegung
wie auf vergleichende Aspekte mit der Sozialethik der katholischen
Kirche muß dabei fast durchweg verzichtet werden: „Selbst
die Berücksichtigung der durchaus andersartig profilierten politischen
Stellungnahmen in den Landeskirchen der Sowjetischen Besatzungszone
hätte den Rahmen der Darstellung gesprengt." (S. 23) Gelegentliche
Bezugnahmen sind indes da, wo die ostdeutsche gesellschaftliche
Entwicklung das politische Mandat der westzonalen Kirche mit
beeinflußt hat. Besonders im Dokumentenband findet sich dazu einiges
(vgl. Bd. 2, S. 102ff: Die Entnazifizierungspolitik der Besatzungsmächte
; auch S. 126ff, 152f u. ö„ wo das Gespräch Marxismus und
Christentum bzw. Kirchliche Stimmen zur Bodenreform [S. 184ff]
exemplarisch dokumentiert werden). Die Kommentare des Autors
vorden ausgewählten Quellenkomplexen dienen in ihrer Kürze lediglich
einer kontextualen Einordnung des exemplarisch ausgewählten
Materials; die Disposition des Dokumentenbandes folgt im wesentlichen
der thematischen Systematik des monographischen Darstellungsbandes
. Die dargebotenen Quellen wollen ebenso wie der
„Grundriß" selbst einen „überblicksartigen Gesamteinblick in das
Spektrum politischer und sozialethischcr Selbstäußerungen der
evang. Kirche vermitteln" (Bd. 2, S. 15) und „beispielhaft typische
Auffassungen oder Minderheitenpositionen" beleuchten, sind also
dem Belegzweck analog schon selektiert. Das „Prinzip der Exemplari-
lät" schloß also eine „repräsentative Auswahl der Quellen von vornherein
aus". Dem Dokumentenband ist auch eine Überprüfungsfunktion
im Blick aufdie Ergebnisse des Grundrisses zugedacht.

Im „Grundriß" selbst dienen Einleitung und mehr noch das
Schlußkapitcl dazu, den eigenen Konzcptualisicrungsbeitrag des
Autors vorzustellen. Durch erst kürzlich einsetzende stärkere Öffnung
kirchlicher Archive für die unmittelbare Nachkricgsgeschichte des
deutschen Protestantismus wird den bisherigen Publikationen zu diesem
Fragekomplex „merkliche Zurückhaltung hinsichtlich umgreifender
Theoricbilduiigen" (S. 17) attestiert. Etwas selbstbewußt wird
der eigene Forschungsbeitrag mit bisher vorliegenden „noch fragmentarisch
-unfertigen Forschungshypothesen" verglichen. Bisheriger
Forschung eigne die Tendenz, die politische Relevanz des Protestantismus
nach 1945 „aus einem koinzidierenden Prozeß zwischen allgemeinpolitischen
Restaurationsbestrebungen und kirchlich dominanten
ordnungspolitischen Leitbildern heraus zu deuten." (S. 17) Resümierende
forschungsgeschichtliche Notizen zu Studien von Hans-
Gerhard Fischer, W. Jochmann, K. Scholder, F. Spotts, M. Greschat
wie auch zu Reinhard Scheerer (Evang. Kirche und Politik
1945-1949, Köln 1981) konstatieren, daß hier durchweg das Interpretationsmodell
der Restaurationsthese dominiere, bei der die „epochale
Zäsur in der Geschichte protestantischer Ethik vor und nach
1945" verkannt werde. Der Kontinuitätsaspekt werde lediglich personell
, theologisch, politisch, weltanschaulich und institutionell akzentuiert
(S. 278). Mit Bezugnahme auf Walter Dirks wird der Restaurationsbegriff
im originären Sinn als Integrationsbegriff verstanden, der
im Unterschied zu Reaktion auch Neues impliziere, so daß die Signatur
des unmittelbaren Nachkriegsprotestantismus wie der Jahre nach
1945 überhaupt als „Dialektik von Bruch und Kontinuität" zu verstehen
sei, während sich eine alternative Sichtweisc von Umbruch und
Kontinuität fürdiese Geschichtszäsur verbiete.

In diesem Zusammenhang macht der Autor die nicht selten
erstaunlich sozialkritischcn Töne auch konservativer Kirchenlührer