Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

270-273

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pokorný, Petr

Titel/Untertitel:

Der Brief des Paulus an die Kolosser 1988

Rezensent:

Schweizer, Eduard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

269

Theologische Litcraturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 4

f

270

sehen Gesichtspunkte. In diesem Bezug gründet auch die verhältnismäßig
große Zahl pagancr Texte. Offenbar verstehen die Hgg. das
Textbuch u. a. in ergänzender Funktion zu der in der einschlägigen
Fachliteratur geleisteten religionsgeschichtlichen Arbeit (vgl. ebd. 1 c:
..Wiederholung von Bekanntem sollte vermieden werden.").

Die überwiegende Zahl der Vergleichstexte wurde neu übersetzt.
Das gilt auch für Qumnin-Tcxtc bzw. solche, die in der Reihe JSHRZ
bereits erschienen sind (erstmals in deutscher Sprache z. B. die Texte
unter Nr. 135.513).

Als ein im Blick auf die Zielsetzung des Buches bedauerlicher
Mangel hat sich das Fehlen eines Registers der beigebrachten Belegtexte
sowie einer Liste der benutzten Editionen herausgestellt. Damit
würde gerade der anvisierte weite Benutzerkreis noch besser in die
Lage versetzt, mit dem so verdienstvoll dargebotenen Material
selbständig zu arbeiten.

Insgesamt vermittelt das Buch wichtige Anstöße zur religionsgeschichtlichen
Arbeit; dabei ist hervorzuheben, daß im Einführungs-
teil die neu erarbeiteten Voraussetzungen für diese Aufgabe gebündelt
(vgl. unter den Vorarbeiten der Hgg. zu diesem Bereich bes. C. Colpe,
Theologie, Ideologie, Religionswissenschaft, München 1980,
278-288; K. Berger, Exegese des Neuen Testaments, Heidelberg
1984, 191-201) und in der Einzeldarbietung jeweils kommentarweise
ausgeführt werden. Das Buch wird auf dieser Grundlage zu einer*
unumgänglichen Arbeitshilfe, auch für die Frage nach der Identität
des Christlichen im Neuen Testament. Hier wird „Offenbarung befragt
im Horizont der Möglichkeiten der antiken Welt" (S. 12). In
diesem Sinn wird die - in weitem Sinn zu verstehende - Dialogsituation
, in der die neutestamentlichen Schriften entstanden, vielfältig
und einschlägig erhellt. Die Texte werden auf diese Weise vor interpretierender
Vereinnahmung bewahrt; zugleich wird ihre Fremdheit
und Eigenständigkeit besser sichtbar. Die von den Hgg. gebotene Anleitung
in der Einführung und in den Einzclkommcntaren befreien
von jeder apologetisch motivierten Engführung in der religionsgeschichtlichen
Arbeit.

Zugleich ist vor einer unkritischen Rezeption einer solchen Tcxt-
sammlung zu warnen. Das Buch wäre mißverstanden, wenn es als
griffiges rcligionsgeschichtliches Kompendium bewährter Belegtexte
aufgefaßt würde. Sowohl die Bclcgauswahl (s. o.) als auch die zu
ziehenden Schlußfolgerungen (vgl. die wichtige Bemerkung zum Verhältnis
von Exegese und Tcxtvergleich in Nr. 35!) bieten neue Bezüge
und Perspektiven, die eigene Weiterarbeit provozieren. Dem Buch ist
vielfältige kritische Erprobung zu wünschen.

Naumburg (Saale) Eckart Reinmuth

Brutscheck, Jutta: Die Maria-Marta-Erzählung. Eine redaktionskritische
Untersuchung zu Lk 10,38-42. Frankfurt/M.-Bonn: Hanstein
1986. XIV, 291 S. gr. 8°. = Bonner Biblische Beiträge, 64. geb.
DM 78,-.

Die Autorin, eine Schülerin von Heinz Schürmann, bietet eine
'Methodisch mustergültige Exegese dieses Textes aus dem lukanischen
Sondergut. In sechs Kapiteln werden die inzwischen bewährten
Methoden historisch-kritischer Exegese in einer systematisch überzeugenden
Schrittfolge angewendet: 1. „Textsicherung", 2. „individuelle
Form des Textes", 3. Kontext, 4. „sprachliche Formung. ..
durch den Evangelisten", 5. „inhaltliche Gestaltung... durch den
Evangelisten", 6. „Beobachtungen und Überlegungen zur vorlukani-
schen Tradition". Im Vordergrund steht zu Recht die „redaktionskritische
" Methode, und zwar primär unter synchronischem Aspekt.
Erst im 6. Kapitel kommen dann Traditions- und Gattungskritik ins
Spiel. Entscheidend ist dabei die textlinguistischc Ausgangsposition,
die zu einer neuen systematischeren Anordnungder Methoden führt-
wobei dann z. B. der Komplex ..Formgeschichte" in eine syntaktisch-
semantische Analyse des Einzcltextes (2. Kapitel) und eine „Gat-
lungskritik" mit Bestimmung des „Sitzes im Leben" (2. Hälfte des

6. Kapitels) aufgespalten wird. Zu Recht warnt die Vfn. jedoch vor
einer einseitig strukturalen Exegese, die den Text von seiner Situation
abstrahiert, und einer,einseitigen Redaktionskritik, die die bewußte
Intention des Textautors absolut setzt (2).

Die Ergebnisse sind größtenteils überzeugend: (1) In der Textkritik
wird jeweils auch nach inneren Kriterien entschieden, so daß nicht
einfach der Text von p" und B oder Nestle-Aland26 übernommen
wird. (2) Die formale Analyse führt u. a. zu dem Ergebnis, daß es auf
der redaktionellen Ebene nicht um eine relative Gewichtung zweier
Verhaltensweisen (Hören ist wichtiger als Dienen) geht, sondern um
eine Opposition (Hören versus Sorgen). (3) Für besonders gelungen
halte ich die Kontextanalyse, die erstmals genauer die kompositio-
nelle Funktion der Perikope im Reisebericht aufzeigt. Vor allem die
traditionelle in Lk 10,25-11,13 gefundene Reihung von tätiger
Nächstenliebe, Hören, Beten wird als falsche Deutung abgewiesen.
Das Wort, das es zu hören gilt, ist nichts anderes als das in 10,25-37
vorgestellte Liebesgebot (54). Als korrespondierendes Pendant
kommt Lk 19,1-10 in den Blick. Mit 10,38ff soll das in 10,1 „angekündigte
Kommen Jesu selbst narrativ" aufgefangen werden (60). (4
und 5) Wortlaut und inhaltliche Themen werden nach Redaktion und
Tradition geschieden. Dieser Arbeitsschritt dient zugleich dem
6. Kapitel als Vorbereitung. Das Ergebnis (extensive und intensive
redaktionelle Gestaltung in Wortlaut und Motivik) überrascht
nicht.

Allerdings tauchen hier Fragen auf. die dann vor allem das
6. Kapitel betreffen. Ein in der Methode implizit postulierter vor-
lukanischer Wortlaut setzt ja eine wörtlich fixierte Gestalt der Tradition
voraus. Die Vfn. kann aber unter der starken redaktionellen
„Sprachdecke" neben den beiden Eigennamen nur „einige Wörter,
Wendungen und Spracheigentümlichkeiten" als (keineswegs zwingende
) Indizien für eine Vorlage ausmachen. Nicht besser steht es um
die Motive, die entweder im ganzen lukanischen Sondergut häufig
(z. B. „Jesus zu Gast") oder nicht gerade typisch lukanisch sind (z. B.
„das Dienen"). Gewichtiger sind da schon die Bezüge zu
Joh 11,1-12,3. Doch deutet die Vfn. hier selber die Möglichkeit literarischer
„Abhängigkeit des vierten vom dritten Evangelisten" an
(150). So bleibt es leider eine Tatsache, daß sich hinter dem lukanischen
Sondergut insgesamt weder eine literarische Quelle noch
irgendwie fixierter mündlicher Traditionsstoff positiv nachweisen
läßt.

Die nun folgende „Gattungskritik" leidet yerständlicherweise an
dem gegenwärtigen Grundlagenproblem der „Formgeschichte". Doch
scheint mir die Autorin hier einen Ansatz zu verfolgen, der weiterführen
kann: eine Differenzierung in eine stärker formale Gattungstheorie
(R. C. Tannehill), die nicht an der Frage nach mündlicher
Tradition oder schriftstellerischer Kompetenz eines Autors hängt
(hier wäre die Kategorie „Sitz im Leben" eher im Sinne einer sprachlich
-sozialen Funktion der Gattung aufzufassen), und in eine stärker
thematisch-inhaltliche sozahistorische „Formgeschichte" (hier wäre
die Kategorie „Sitz im Leben" eher auf die thematische Welt und die
Situation des Einzeltextes zu beziehen). Für den zweiten Bereich
bietet die Vfn. eine recht plausible These: „Sitz im Leben" der Tradition
sei die Thematik „Aufnahme christlicher Wanderpropheten".
Dementsprechend postuliert sie auch eine andere Pointe: eine nur
relative Gewichtung. Das Bewirten von Wanderpropheten wird kritisch
eingeschränkt (161). Doch dafür läßt sich, wie gesagt, kein Indiz
auf textlicher Basis mehr feststellen.

Oldenburg Gerhard Sellin

Pokorny, Petr: Der Brief des Paulus an die Kolosser. Berlin: Evang.
Verlagsanstalt 1987. XXI, I76S. gr. 8' = ThHKNT, X/l. Lw.
M 12,-.

Wer ein Buch P. Pokornys öffnet, der erwartet eine gediegene, theologisch
durchdachte und zugleich auf unsere Situation ausgerichtete