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Ausgabe:

1988

Spalte:

268-269

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Religionsgeschichtliches Textbuch zum Neuen Testament 1988

Rezensent:

Reinmuth, Eckart

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Theologische Literaturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 4

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für eine jüdische Deutung der Lehre und Gestalt Jesu fruchtbar zu
machen suchte. Dabei hat er das von ihm herangezogene Material aus
der jüdischen Traditionsliteratur in einem eigenen Band Rabbinic
Literature and Gospel Tradition (1930) präsentiert. Es liegt nahe, daß
ein jüdischer Forscher, der heute vor einer ähnlichen Aufgabe steht,
sich auf dieses Vorbild beruft. Er hat freilich auch die ungleich größere
Wirkung vor Augen, die dem aus der älteren protestantischen Judai-
stik erwachsenen mehrbändigen Kommentarwerk von H. L. Strack
und P. Billerbeck beschieden war. Es schmälerte dessen Erfolg nicht,
daß man bald bemerkte, wie hier Parallelen von sehr unterschiedlicher
Relevanz und oft auch aus viel späteren Jh. zusammengetragen
wurden, und es dem Benutzer schwer werden mußte, älteres und
jüngeres Gut, Belangvolles und weit Herbeigeholtes voneinander zu
scheiden.

Wenn sich S. A. Lachs, Professor für Religionsgeschichte am
renommierten Bryn Mawr College, den Kritikern zugesellt, dann steht
für ihn die Arbeit unter dem Vorzeichen strikter Begrenzung des Um-
fangs und kritischer Musterung des Materials. Schon aus diesem
Grunde und auch wegen der Bedeutung des historischen Jesus für das
Judentum und andererseits des jüdischen Hintergrunds für seine Geschichte
und Verkündigung ergab sich die schon von C. G. Monte-
fiore geübte Beschränkung auf die synoptischen Evangelien. Daß es
sich bei dem Kommentator um einen für die Aufgabe hochqualifizierten
Autor handelt, war durch zahlreiche in Zeitschriften und
Sammelbänden veröffentlichte Beiträge, nicht zuletzt durch die
Studies in the Semitic Background to the Gospel of Matthew (JQR 67,
1970) deutlich geworden. Konnte man Billerbecks Werk gelegentlich
die Herkunft aus judenmissionarischer Apologetik anmerken, so steht
der Umgang von Lachs mit seinem Gegenstand im Zeichen gesteigerten
jüdischen Selbstbewußtseins, wie es nicht zuletzt im Urteil über
das ThWNT unter Verweis auf die geistig-politische Option seines
Hgs. Gerhard Kittel (XXVII)zum Ausdruck kommt.

Was schon an früheren Arbeiten des Autors auffiel, bestätigt sich im
vorliegenden Werk. Lachs teilt nicht die formkritische Skepsis der
neuen Judaistik Jacob Neusners und seiner Schule. Aus dieser Sicht
hätte man nur mit großem Vorbehalt Zeugnisse der rabbinischen Traditionsliteratur
zur Kommentierung der Evangelien heranziehen dürfen
oder gestützt auf sie Rückschlüsse auf die Zeit des 1. nachchristlichen
Jh. wagen können. Er ist davon überzeugt, daß auch späte
Kompilationen frühes Material enthalten. So zieht er neben Mischna
und Tosefta auch die Targume, die (tannaitischen) Midraschim und
die (Baraitha-Partien der) Talmude als aussagekräftige Zeugnisse für
schriftgelehrte Überlieferung und jüdisches Leben in Palästina zur
Zeit des Urchristentums heran. Daß in einem Rabbinic Commentary
auch die intertestamentarische einschließlich der qumranischen
Literatur und Josephus ihren Platz finden, entspricht der von den
Vorgängern geübten Praxis. Gelegentlich wird als Kontrast oder zur
Bestätigung auf hei lenistische A utoren zurückgegri ffen.

Der Stoff ist in 253 kleine Einheiten angeordnet, die der Abfolge in
den gebräuchlichen Synopsen gemäß mit der Kindheitsgeschichte
(erst Mt, dann Lk) beginngen und bis zu den Ostercrzählungen führen.
Den Leitfaden bildet die Mt-Akoluthie. Daß es dabei im Blick auf Lk
zu Überschneidungen kommt, wird schon daran sichtbar, daß The
Sermon on the Mount (67-202) und The Sermon on the Piain
(203-273) samt ihrer jeweiligen Umgebung je verschiedene Hauptabschnitte
der Auslegung bilden.

Die Anlage der Einzelabschnitte ist übersichtlich und dem für die
angelsächsische Kommentarliteratur charakteristischen Standard angeglichen
. Voran steht jeweils die Übersetzung nach der in den amerikanischen
Kirchen gebräuchlichen Rcvised Standard Version. Darauf
folgt der versweise angeordnete eigentliche Kommentar, in dem unter
fast völligem Verzicht auf Literarkritik und formgeschichtliche
Analyse ("I leave theology to theologians") die Realien erläutert,
Wendungen und Begriffe von ihrem jüdischen Hintergrund beleuchtet
und wichtige Parallelen ganz oder auszugsweise zitiert werden. In den
nachgestellten Anmerkungen werden nicht nur die Belege (einschließlich
der in der rabbinischen Literatur häufigen Doppelüberlieferungen
) ausgewiesen, sondern auch weitere Stellen angeführt und Literatur
verzeichnet. Hier bestimmt freilich die amerikanische Perspektive
das Bild: Es sind vor allem die in englischer Sprache erschienenen
Zeitschriften und ins Englische übersetzte Werke, die man hier vorfindet
.

Es ist unmöglich, auf die vielen in der Kommentierung enthaltenen
wertvollen und gut belegten Hinweise im Einzelnen einzugchen: etwa
auf das zurückhaltende Urteil über die Beziehungen von Vaterunser
und Achtzehngebet und noch mehr zum Kaddisch (1 I8ff), auf die
Einordnung jüdischer Parallelen zum Gleichnis vom verlorenen Sohn
(306), auf den Nachweis, wie sehr die Forderung Jesu an den Reichen
(Jüngling) im Kontrast zu rabbinischer Ethik steht (331); auf die
Frage, ob im Selbstzeugnis Jesu Mk 14,62 Blasphemie vorliegt
(420).

Der Reserve gegenüber der Schule J. Neusners entspricht die besonders
bei der Kommentierung der Passionsgeschichte hervortretende
Vorliebe für S. Zeitlin, dessen Theorien (vgl. ThLZ 112.
1987, 345) ein deutliches Echo finden. Er darf als Lehrer des Autors
gelten, wie denn seine Veröffentlichungen in der umfangreichen
Bibliographie den breitesten Raum einnehmen. Die offenbar als
Korrektiv zu Zeitlin gedachte Heranziehung von J. Townsend. A
Liturgical Interpretation of Our Lord's Passion in Narrative Form
(1977) kann man als Frucht der Teilhabe des Vf. am christlichjüdischen
Gespräch in den USA werten.

Es liegt also mit diesem Kommentar entgegen dem ersten Augenschein
nicht eine Stoffsammlung vor, vielmehr ein von seinen Positionen
her klar profiliertes Werk. Es zeigt den Zugangsweg an, den ein
modernes, die Alternative von Traditionalismus und Liberalismus
hinter sich lassendes Judentum zu den Evangelien gewinnen kann.
Darin liegt seine Bedeutung, aber auch seine Begrenzung.

Leipzig/Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Neues Testament

Berger, Klaus, u. Carsten Colpe: Religionsgeschichtliches Textbuch
zum Neuen Testament. Göttingcn-Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht
1987. 328 S. gr. 8" = Texte zum Neuen Testament. NTD
Textreihe, 1. Kart. DM 48,-.

Mit dem vorliegenden Buch wird die auf vier Bände ausgelegte
Reihe „Texte zum Neuen Testament" im NTD eröffnet. Näherhin
versteht es sich als „das religionsgcschichtlichc Gegenstück" zu dem
von H. G. Kippenberg und G. A. Wewers herausgegebenen Textbuch
zur neutestamentlichen Zeitgeschichte (NTD Erg.-Reihe Bd. 8. Göttingen
1979). Damit stellt sich auch dieser Band der Aufgabe, ein
wichtiges exegetisches Hilfsmittel für Studierende, Lehrende und
Prediger zu sein. Dem dienen die übersichtliche Textgestaltung und
die instruktive Einführung in gleicher Weise.

Die Anordnung der Vergleichstexte ist an der Reihenfolge der neu-
testamentlichen Texte orientiert (für die Synoptiker: Markus und
Parallelen, Texte der Logienquelle, Sondergut des Matthäus sowie des
Lukas; Kol und Eph werden gemeinsam behandelt; für den Phlm wird
auf einen Verglcichstext zu Mt 6,25-34 par verwiesen; 2 u. 3 Joh erscheinen
nicht). Ein Kurzkommentar hinter jedem Vergleichstcxt
stellt das von den Hgg. jeweils Intendierte heraus; hier wird auf weitere
Belege bzw. Literatur verwiesen.

Die Einführung (9. 1 1-26) ist eine für den Gebrauch des Textbuches
unerläßliche Arbeitshilfe; vor allem ihr letzter Abschnitt
„Kategorien zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen frühchristlichen
Texten und solchen der Umwelt" muß als der entscheidende
Schlüssel zum sachgemäßen Umgang mit den beigebrachten Beleg-
texten gelten.

Ihre Auswahl erfolgte in bewußt exemplarischer Weise (vgl. S. 15),
vor allem im Blick auf die in der Einführung dargestellten methodi-