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Ausgabe:

1988

Spalte:

236

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Kunz, Stefan U.

Titel/Untertitel:

Zeit und Ewigkeit bei Meister Eckhart 1988

Rezensent:

Kunz, Stefan

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 3

236

gleich zu Beginn das jähe Entsetzen, das den Gottessohn hier überfallt
und mit der bisher fraglosen Gewißheit seines Weges ins Leiden
schwer zu vereinbaren ist. Alles Frühere scheint ausgelöscht - selbst
der in den Leidensweissagungen und noch eben beim Abendmahl so
klar erkannte und bejahte Wille Gottes wird zur Anfechtung: „Abba,
Vater, alles ist dir möglich. Laß diesen Kelch an mir vorübergehen."
Doch das Gebet bleibt ohne Antwort. Mit geradezu anstößiger Sachlichkeit
berichtet der Text von Jesu Rückkehr zu den schlafenden
Jüngern und deren Ermahnung, von seinem zweiten Gebet und dem
erneuten Auffinden der schlafenden Gefährten, und noch ein drittes
Mal wiederholt sich diese Bewegung zwischen einem verschlossenen
Himmel und den unbegreiflich teilnahmslos schlafenden Gefährten:
ein Hin- und Herirren zwischen zwei Mauern des Schweigens, beendet
erst beim Kommen des die Häscher anführenden „Verräters"
Judas. Dennoch endet die Erzählung nicht in Trostlosigkeit. Unvermittelt
steht der Menschen- und Gottverlassenheit Jesu dessen Ja zu
diesem Weg in den Tod als Ja zu Gottes Wille gegenüber. Die Eingangsszene
zur eigentlichen Markuspassion schließt mit der Gewißheit
, daß auch der Triumph der Finsternis nach dem Willen des
Vaters geschieht und deshalb - wenn auch in erschreckender Weise
sub contrario - der Vollendung der Welt dienen muß.

(2) Es geht nicht an, sich hier mit dem Verweis auf Jesu „Menschlichkeit
" zu begnügen oder die Auslegung auf einen bestimmten,
meist paränetischen Aspekt zu beschränken. Es ist auch nicht legitim,
den Anstoß des Textes vom „Ergebnis" des Gebetsringens her zu
überspielen. Gegen solche, in der Exegese bis heute dominierenden
Verharmlosungen der Krisis von Gethsemane sind vielmehr die den
Text prägenden Spannungen auszuhatten und auszulegen, so daß verständlich
wird, wie diese Anfechtung des Gottessohnes zu dem
Gottesgewißheit begründenden Evangelium dazugehört.

(3) Die Arbeit hat vier Hauptteile:

(a) Die z. T. sehr unterschiedlichen Fassungen der Gethsemaneperi-
kope bei den Synoptikern sowie entsprechende Anspielungen im
Johannesevangelium und im Hebräerbrief haben immer wieder die
Frage nach der Quelle bzw. den Quellen dieser Uberlieferung aufgeworfen
. Bis heute werden darauf die unterschiedlichsten Antworten
gegeben. Im Rahmen der eingeschränkten Möglichkeiten eines unmittelbaren
Textvergleiches wird dieser Frage nachgegangen. Dabei zeigt
sich, daß eine von Markus unabhängige Tradition nicht nachgewiesen
werden kann. Eher am Rande wird auf den überjieferungsgeschicht-
lichen Ort der verschiedenen Fassungen von „Gethsemane" eingegangen
.

(b) Der zweite Hauptteil behandelt in erster Linie literarkritische
und formgeschichtliche Aspekte der märkinischen Gethsemaneperi-
kope. Von vielen Auslegern wird Mk 14,32-42 geradezu als Paradebeispiel
für die Notwendigkeit literarkritischer Dekomposition bzw.
Quellenscheidung angesehen. Die ausführliche Auseinandersetzung
mit den dabei vorgebrachten Argumenten zeigt jedoch, daß diese Kritik
weitgehend auf unangemessenen Voraussetzungen beruht. In
einem zweiten Teil wird dann positiv die Eigenart dieser Erzählung
aus den bei ihrer Überlieferung bestimmenden Gesetzmäßigkeiten
verständlich gemacht und dabei auch der gute Sinn scheinbarer Unebenheiten
und Unstimmigkeiten aufgezeigt. In diesem Zusammenhang
wird auch in einem Exkurs zur Frage der Historizität Stellung
genommen.

(c) Der dritte und ausführlichste Teil dieser Arbeit erhellt durch
begriffs- und motivgeschichtliche Untersuchungen den traditionsgeschichtlichen
Hintergrund der Perikope Mk 14,32-42. Entgegen
der geläufigen Deutung dieser Erzählung als „hellenistisch" geprägt
oder gar gebildet zeigt sich dabei, daß sie ausschließlich auf dem
Hintergrund des AT und des palästinischen Judentums zu verstehen
ist. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Motivkomplex Gericht-
Gotteszorn - Verwerfung-Tod zu.

(d) Die Arbeit wird abgeschlossen durch eine relativ ausführliche,
versweise Auslegung des Textes, die in Auseinandersetzung mit den
eingangs aufgeworfenen Fragen das Erarbeitete für eine theologische

Gesamtauslegung fruchtbar macht. Im deutenden Nachvollzug der
Bewegung des Textes als Teil des gesamten Evangeliums werden dabei
gerade auch seine Spannungen und Härten als konstitutiv für seine
Aussage gedeutet.

Kunz, Stefan: Zeit und Kwigkeit bei Meister Fkkhart. Diss. Tübingen
1985.209 S.

Die Kernthese unserer Arbeit lautet: Die Zeit-Ewigkeits-Transzendenz
bildet den verborgenen Mittelpunkt des Eckhartschen
Denkens. Sie hat bei ihm eine dreifache Gestalt, die den drei
Dimensionen seines Denkens, nämlich Theologie, Philosophie und
Mystik, entspricht und aus der Überlagerung dreier verschiedener und
nicht aufeinander zurückfuhrbarer Zeit-Transzendenzen erwächst,
nämlich der jüdisch-christlichen, metaphysisch-griechischen und
mystischen.

Entsprechend dieser These ist die Arbeit aufgebaut:
In der Einleitung wird zunächst die Geschichte der Erforschung
Eckharts als Geschichte der unterschiedlichen Ausblendung jeweils
einer oder zweier der genannten Dimensionen (Theologie, Philosophie
, Mystik) skizziert, dann wird das Gefüge der drei Dimensionen
in ihrer Eigenart und ihrem Zusammenhang im Umriß dargestellt und
schließlich die zentrale Bedeutung der Zeit-Ewigkeits-Transzendenz
in diesem Gefüge nachgewiesen.

Im ersten, phänomenologischen Hauptteil werden Zeit und Ewigkeit
bei Eckhart in der Dimension der mystischen Erfahrung
untersucht. Die Untersuchung folgt der mystischen Bewegung (Hinreise
-Gottesgeburt-Rückreise), die jedoch nicht im zeitlichen Nacheinander
verstanden werden darf. Sie geht aus von den üblichen
Vorwürfen gegen Eckharts Mystik, sie verachte die Zeit, predige die
Zeitflucht, habe einen zeit-losen (also negativen) Ewigkeitsbegriff und
ende im Quietismus, und erweist die Unhaltbarkeit dieser Vorwürfe,
indem sie den Reichtum und die Radikalität der Eckhartschen Rede
von Zeit und Ewigkeit entfaltet und auf ihren Erfahrungshintergrund,
d. h. vor allem ihren soziokulturellen Hintergrund, hin betrachtet.

Im zweiten, analytischen Hauptteil werden Zeit und Ewigkeit in der
Dimension der philosophischen Begründung untersucht. Dieser Teil
steht in strenger Korrespondenz zum phänomenologischen Teil: Er
weist Zug um Zug nach, daß die mystische Rede von Zeit und Ewigkeit
auf einem präzisen spekulativ-philosophischen Grundriß sich
entfaltet und daß dieser Grundriß in bisher weithin untersehätztem
Maße aristotelisch geprägt ist.

Im dritten, systematischen Hauptteil werden Zeit und Ewigkeit in
der Dimension des theologischen Systems betrachtet. Hier wird
gezeigt, wie biblische Offenbarung und Heilsgeschichte von Eckhart
im Lichte seiner mystischen und philosophischen Zeit-Ewigkeits-
Auffassung neu interpretiert, transformiert und in ein eigentümliches
theologisches „System" gebracht werden. Die spezifischen
Konturen der Eckhartschen Theologie werden von seinem Zeit-
Ewigkeits-Verständnis her plausibel gemacht.

Der vierte, typologische Teil zieht Bilanz, indem er die dreifache
Gestalt der Zeit-Ewigkeits-Transzendenz bei Eckhart im Vergleich
herausarbeitet: Eckhart ist der jüdisch-christlichen Transzendenz
stärker verpflichtet, als oft vermutet wurde, wie ein Vergleich mit der
Bibel zeigt; er ist tief beeinflußt von der metaphysischen Transzendenz
, wie ein Vergleich mit der griechischen Philosophie zeigt,
und er steht in erstaunlicher Geistesverwandtschaft zu derjenigen
Transzendenzform, die im Zen-Buddhismus ans Licht getreten ist,
wie ein angedeuteter Vergleich zeigt.

Besonders in diesem letzten Abschnitt wird deutlich, daß Eckharts
radikales Denken über Zeit und Ewigkeit für eine jede „nachmetaphysische
" Theologie und Philosophie von schwer zu überschätzender
Bedeutung sein dürfte.