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Ausgabe:

1988

Spalte:

231-233

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

May, Georg

Titel/Untertitel:

Einführung in die kirchenrechtliche Methode 1988

Rezensent:

Micskey, Koloman

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 3

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tisch unverbundene Texte nebeneinander her" laufen - ,,unter pastoralliturgischen
Gesichtspunkten" ein „großer Nachteil" (389). Solche
Kritik - wenn auch mehr beiläufig vorgetragen - betrifft freilich die
neue Ordnung in ihrem Kern. Die Liturgiekonstitution hatte gefordert
, bei der Reform solle „den Gläubigen der Tisch des Gotteswortes
reicher bereitet. . ., die Schatzkammer der Bibel weiter aufgetan"
werden (SC 51). Diese Maßgabe hat der neue Ordo vor allem unter
quantitativem Gesichtspunkt erfülll - zu Lasten eines qualitativen,
eindringenden und einübenden Umgangs mit der Schrift.

Zum Inhalt: Der I. Teil des Buches behandelt die Vorgeschichte der
Reform (einsetzend mit der Perikopcndiskussion im deutschen
Sprachraum von 1920-1950), den Konzilsbeschluß und seine Ausführung
. Der II. Teil stellt die neue Ordnung systematisch dar und
setzt sich mit ihr auseinander: Die Grundprinzipien der Reform werden
entwickelt, der Verzicht auf die Perikopenordnung von 1570 (und
die damit gegebene ökumenische Gemeinsamkeit) wird begründet.
Besonders materialreich sind die drei Kapitel, die sich mit den drei
Lesungen („Die Evangelienperikope als Höhepunkt des Wortgottesdienstes
", AT-Lcsung, Epistel) befassen: hier wird auch die oben
angedeutete Ordo-Kritik anhand konkreter Beispiele ausgeführt und
begründet (zu den Nachteilen der Bahnlesung: 367 ff). Das 6. Kapitel
des II. Teils behandelt die Auswahlmöglichkeiten, die das neue
Lektionar bietet; das 7. Kapitel liefert eine Zusammenfassung der Ergebnisse
. Es hält zugleich für alle, die der verlorenen ökumenischen
Gemeinsamkeit nachtrauern, einen Trost bereit: Die Perikopenordnung
berührt nicht die „Einheit im. Notwendigen"; hier können die
verschiedenen „liturgischen Riten" von ihrer Gestaltungsfreiheit Gebrauch
machen. Nach Meinung des Vf. ist es nicht wünschenswert,
daß alle Kirchen die neue römische Leseordnung übernehmen - so
„erfreulich" er auch die Rezeptionsbereitschaft nichtrömischer
nordamerikanischer Kirchen beurteilt. Er strebt eine „Ubereinstimmung
in der Verkündigung der Hochfeste und einiger markanter
Sonntage des liturgischen Jahres" an; sie wäre ihm „ein hinreichendes
Zeichen der Gemeinsamkeit in den sonst unterschiedlich gestalteten
Perikopenordnungen der christlichen Kirchen" (391; vgl. auch 183 film
ganzen gilt ihm die neue Ordnung ais „gelungen"; sie bleibt jedoch
„verbesserungs- und ergähzungsbedürftig": „Ordo lectionum Semper
reformandus"(391).

Berlin Karl-Heinrich Bieritz

Kirchenrecht

May, Georg, u. Anna Kgler: Kinführung in die kirchenrechtlichv
Methode. Regensburg: Pustet 1986. 272 S. gr. 8". Kart. DM 88,-.

Das Buch als Ganzes zeigt, daß die ökumenischen Bemühungen
und die allgemeinen Aggiornamento-Anstrengungen des II. Vatikanischen
Konzils im Bereich der konkreten Rechtspraxis und der
Kanonistik der röm.-kath. Kirche nicht überall Früchte tragen. Sicht
man von Hinweisen auf nachkonziliare Rechtsbestimmungen, vor
allem auf den CIC 1983 ab, so könnte das Buch als ein eindeutig vor-
konziliarer Text gelesen werden.

Es liegt außerhalb der Kompetenz dieser Rezension, die innerkatholische
Bedeutung und die didaktischen Verdienste des Buches zu
erörtern. Immerhin ist auf die Klarheit des Aufbaus und das reiche
Profil des Problembewußtseins hinzuweisen, wobei die Vff. den
formalen Dimensionen der Logik und der Hermeneutik bei der kano-
nistischen Rechtsfindung und Rechtsprechung die entscheidende
Rolle zumessen. Dementsprechend ist nach der allgemeinen wissenschaftstheoretischen
(1. Abschnitt) und wissenschaftshistorischen
(2. Abschnitt) Erörterung der gesamte weitere Stoff (die Abschnitte
3-7) formalen Problemen zugeordnet: der Rolle der klassischscholastischen
Logik und Hermeneutik in der Kanonistik (die Abschnitte
3 und 5), der Rechtsanalogie und verwandten Problemen
(6. Abschnitt) und der Frage der Rechtsanwendung (7. Abschnitt),

wobei die syllogistisch aufgebaute iudikative Subsumption die zentrale
Frage bildet. Der 4. Abschnitt ist der legistisch-juristischen Text-
beschaffung, der „Sammlung des Rechtsstoffes" gewidmet.

Es kann nicht verschwiegen werden, daß im Buch Redewendungen
vorkommen, die für die Zukunft der Ökumene einen sehr negativen
Wert darstellen. Dazu gehört zuerst die Benennung der Reformation
als „sogenannte Reformation" (S. 69 und 73). Ich glaube, ich gehe
nicht fehl mit der Feststellung, daß dies eine sehr unhöfliche Art des
Redens ist. Diese Art erweckt den Eindruck, daß die Autoren sich
keine evangelischen Leser wünschen und so den vorkonziliaren
ekklesiologischen Solipsismus mit seiner negativen Bewertung der
ökumenischen Begegnung wiederherstellen möchten.

Der Rez. erwartet nun nicht, daß eine Methodenlchrc des römisch-
katholischen Kirchenrechts vor Freude über die reformatorische
Sendung Luthers, Zwingiis und C alvins überfließt. Eine kritische Auseinandersetzung
mit der Reformation ist jederzeit ein guter Beitrag
zur ökumenischen Begegnung. Aber eine solche Auseinandersetzung
-die hier völlig.untcrblcibt — muß ohne sprachliche Diffamierung vorgetragen
werden. Dann müßten auch Klischees, wie zum Beispiel
„Luthers Rechtsfeindlichkeit" (S. 72) unterbleiben, während der Hinweis
auf seine scharfe Ablehnung der päpstlichen Form des Kirchenrechtes
im Corpus Iuris Canonici durchaus sinnvoll ist. Ein weiteres
Klischee sehe ich auch in der Rede der Autoren von der „ursprünglichen
Aversion des Protestantismus gegen Normen" (S. 73). Gewiß
ist der Protestantismus seinem Wesen nach radikal normenkritisch,
aber es handelt sich hier nicht um Aversionen, sondern um Konsequenzen
der in den Ursprüngen der Reformation neu aufgebrochenen
Erfahrung der Freiheit des Glaubens in Jesus Christus. Daß diese Freiheit
der reformatorischen Ursprünge, begründet in der in den biblischen
Verheißungen „vermittelten Unmittelbarkeit" des Glaubens an
Jesus Christus, auch innerhalb des Protestantismus stets von Vergesetzlichung
und Verfremdung bedroht ist, ist natürlich kein
Geheimnis.

Durch den Gesamtcharakter des II. Vatikanischen Konzils ist auch
im Katholizismus der Weg offen geworden für ein Glaubensverstünd-
nis, das die Wirklichkeit des Glaubens primär in der Einheit der Verheißung
Gottes in Jesus Christus und des inneren Zeugnisses des
Heiligen Geistes zu erfassen sucht. Ich habe den Eindruck, daß den
Vff. dieses Buches ein solches Verständnis des Glaubens und dementsprechend
die Gestaltung der Methodik des Kirchenrechtes von
einem solchen Verständnis her fremd bleibt. Sie sehenMm Glauben
primär die Unterwerfung unter die „rechtmäßige Autorität", und
zwar so, daß dabei die Unterwerfung unter die Kirchenautorität als
Unterwerfung unter Gottes Autorität gesehen wird. Allzu unkritisch
und unbeschwert durch die schweren Verstöße gegen die Menschlichkeit
von Seiten der kirchlichen Autoritäten, wird in diesem Buch die
kirchliche Arbeit kurzschlüssig für den Begriff der Aufrichtung der
Gottesherrschaft in Anspruch genommen (Vgl. S. 221).

Gewiß hat dieses Verständnis seine lange Tradition, deren Überwindung
realistisch nicht von heute auf morgen zu erwarten ist.
Gewiß wird in dieser Tradition vorausgesetzt, daß „Recht stets der
Übereinstimmung mit der Sittlichkeit bedarf" (S. 14). Aber es wird
unkritisch vorausgesetzt, daß das eigene Rechtssystem diese Übereinstimmung
schon besitzt. Gewiß wird in dieser Tradition, gemäß
der biblischen Weisung, der hohe Wert der Menschlichkeit betont.
Aber die Abneigung gegen die Selbstkritik führte in der Geschichte zu
Ausbrüchen erschütternder Unmenschlichkeit durch die hier ins
Auge gefaßten Institutionen.

Es ist zu beachten, daß die Autoren die Unterscheidung zwischen
Gesetz und Willkür mit Ernst betonen: „Die Glieder der Kirche sind
lebhaft daran interessiert, daß die Gesetze richtig ausgelegt werden.
Denn sie sind zwar in der Regel grundsätzlich bereit, sich dem im
Gesetz zum Ausdruck kommenden Willen der Hirten zu beugen,
nicht aber willkürlichen Ansichten von Organen, die mit der Rechtsanwendung
betraut sind" (S. 190). Aber mit erstaunlicher Inkonsequenz
wird hier nicht bedacht und erörtert, daß gesellschaftliche und