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Ausgabe:

1988

Spalte:

229-231

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Nübold, Elmar

Titel/Untertitel:

Entstehung und Bewertung der neuen Perikopenordnung des römischen Ritus für die Meßfeier an Sonn- und Festtagen 1988

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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Theologische Litcraturzeitung I 13. Jahrgang 1988 Nr. 3

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Im Zentrum der Arbeit steht die Analyse der Sprechakte in der
Liturgie, freilich beschränkt auf diejenigen, die man normalerweise
für theologisch fundamental hält: Verkündigung {138fT), Gebet
(143ff), Segen (155ff), Bekennen (163ff). Eine grundlegende Schwierigkeit
bei der Rezeption linguistischer Konzepte in.die Liturgik
deutet sich darin an, daß die sakramentalen Sprechhandlungen nur in
einem Exkurs behandelt werden (161 ff). Bei der Beschreibung der einzelnen
Typen hält sich der Vf. durchweg an eine bestimmte Reihenfolge
: ,,theologische Charakterisierung des betreffenden Sprechakt-
typs; Sprecher und Adressat; lokutionärer, illokutionärer und perlo-
kutionärer Aspekt; die textliche Gestaltung bzw. das sprachliche
Material; der liturgische Ort; schließlich Bedingungen und Regeln
sowie - gelegentlich - verwandte Sprechakte" (137).

Schon darin wird sichtbar, daß die linguistischen Kategorien und
Fragestellungen hier sehr streng in einen theologisch-dogmatischen
Rahmen gerückt sind. Der Vf. selbst beklagt am Schluß die große
Divergenz zwischen theologischer und sprachwissenschaftlicher Begrifflichkeit
(184). Sicher bedürfen manche seiner Lösungsvorschläge
der weiteren Diskussion.

Das gilt vor allem für seine Aussagen über die Subjekte des gottesdienstlichen
Handelns. „Zusammenfassend kann als der Trägerkreis
der gottesdienstlichen Kommunikation genannt werden: der trinita-
rische Gott, der Vater, der Sohn Jesus Christus und der Heilige Geist,
als der transzendente Kommunikant; die Kirche bzw. das ganze Gottesvolk
; die konkrete Gottesdienstgemeinschaft; jeder einzelne in der
Versammlung; der Vorsteher bzw. Liturge; die verschiedenen liturgischen
Dienste" (61 0- Solche Sätze, die immer wieder erscheinen (z. B.
13, 55ff, 142), sind in einem theologisch-dogmatischen Kontext sinnvoll
und unverzichtbar, im sprachwissenschaftlichen Bereich aber
überflüssig, weil nicht verifizierbar. An manchen Stellen erfolgt die
Übernahme fremder Einsichten reichlich pauschalierend, etwa
wenn Schermann im Abschnitt über den festlichen Charakter des
Gottesdienstes die von G. M. Martin präsentierten Fest-Theoretiker
bunt durcheinandcrwürfelt, ohne auf die Unterschiede auch nur mit
einem Wort zu verweisen (71 f).

Schermann hat sein Buch, das durchaus neue Aspekte für das Verständnis
des Gottesdienstes freizulegen vermag, in systematischer
Absicht geschrieben (10) und sich infolgedessen nicht um die Einzelanalyse
von Texten bemüht. Es bleibt zu wünschen, daß seine Studie
weitere Forschungen en detail anregt, wie sie etwa K. H. Bieritz für
den Eröffnungsteil der Messe vorgelegt hat (in: R. Volp [Hg.],
Zeichen. Semiotik in Theologie und Gesellschaft, München/Mainz
1982, I95ff).

Göttingen Manfred Josuttis

Nübold, Elmar: Entstehung und Bewertung der neuen Perikopen-
ordnung des Römischen Ritus für die Meßfeier an Sonn- und Festtagen
. Paderborn: Bonifatius-Druckerei 1986. 451 S. gr. 8*. Kart.
DM 58,-.

Die neue römische Leseordnung, die hier - in ihrer Vorgeschichte,
'hrer Entstehung, ihren Grundsätzen, ihrem Bestand - vorgestellt
wird, ist ein Konstrukt, von Experten auf Konferenzen und an
Schreibtischen entworfen; sie hat keinen unmittelbaren Anhalt an der
Tradition. Das II. Vatikanische Konzil hatte gefordert, die neuen
liturgischen Formen sollten ,.aus den schon bestehenden gewissermaßen
organisch herauswachsen" (SC 23). Diese Maßgabe wurde im
Blick auf die neue Lescordnung nicht - oder doch nur in sehr mittelbarer
, gebrochener Weise - erfüllt. Der Vf. vorliegender Untersuchung
, die der Theologischen Fakultät Paderborn als Dissertation
vorgelegen hat, ist freilich anderer Meinung. Er sieht auch die neue
Ordnung im Zusammenhang der „sana traditio": „Die erneuerte Peri-
kopenordnung steht auf dem Boden der Tradition . . ." (386). Der
Grund: Wichtige Pcrikopenzuweisungcn der alten Ordnung sind im
ncuen Ordo wiederzufinden; für die Hochfeste charakteristische Pcri-
kopen sind erhalten geblieben; ältere Traditionen (zum Beispiel AT-

Lesung, Antwortpsalm, ältere Perikopenzuordnungen) wurden aufgenommen
.

Dennoch gilt: Im Unterschied zu zahlreichen anderen Entscheidungen
, die im Zusammenhang der nachkonziliarcn Liturgiereform fielen
, wurden bestehende ökumenische Gemeinsamkeiten hier nicht
vertieft, sondern aufgehoben. Katholischen, anglikanischen und
lutherischen Leseordnungen lag bis zur jüngsten Reform ein sehr altes
(in seinen Grundzügen noch vor 700 n. Chr., vielleicht schon im 5. Jh.
ausgebildetes) römisches Perikopensystcm zugrunde. Auch nach der
Reform dieser Ordnung durch Pius V. im Missale Romanum von
1570 blieben diese Gemeinsamkeiten (wenn auch nun an manchen
Sonntagen gegeneinander „verschoben") weitgehend bestehen. Der
Reform jetzt (der Ordo lectiottuttl Missae erschien 1969 in erster.
1981 in zweiter Auflage) sind nur wenige nichtrömische Kirchen -
darunter die Lutheraner Nordamerikas - gefolgt. Die Reformen in
anderen Kirchen (deutschsprachiger Raum: Abschluß 1978 mit dem
neuen Lektionar und Pcrikopenbuch) folgten anderen Prinzipien und
kamen zu anderen Ergebnissen.

Der neue Ordo verzeichnet die Leseperikopen für das Herrenjahr
(Proprium de tempore), für die Feiern der Heiligen, für die Meßfeiern
bei der Spendung von Sakramenten und Sakramentalien, die Messen
für besondere Anliegen, die Votivmessen und die Messen für Verstorbene
. Das vorliegende Buch beschränkt sich auf die Leseordnung
für die Sonn- und Festtage. Es ruft uns noch einmal die Grundsätze
der Reform in Erinnerung: drei Lesungen jeweils für die Meßfeiern an
den Sonn- und Festtagen, davon die erste in der Regel aus dem Alten
Testament, die zweite aus dem epistolischen Schrifttum des Neuen
Testaments, die dritte aus den Evangelien. Während der Osterzeit
wird die Lesung aus dem AT durch eine aus der Apostelgeschichte
ersetzt. Dazu kommt der Antwortgesang nach der ersten Lesung,
meist ein Psalm oder Psalmabschnitt. Dies alles in einem dreijährigen
Lesezyklus, so daß die meisten Perikopcn erst nach dem Ablauf von
drei Jahren wiederkehren und einem Sonn- bzw. Festtag in der Regel
jeweils neun Lesungen zugeordnet sind (nimmt man den Antwortgesang
aus). Deutlich hervorgehoben und verstärkt ist der Gedanke
der lectio semicontinua, der Bahnlesung (genauer: der laufenden
Schriftlesung in Auswahl): Den Sonntagen im Jahreskreis (außerhalb
des Weihnachts- und Osterfestkreises) wird jeweils eine Bahnlesung
aus den synoptischen Evangelien (Lesejahr A: Matthäus, B: Markus,
C: Lukas) verordnet. Lesungen aus dem Johannesevangelium bestimmen
weitgehend die Sonntage der Osterzeit. Die zweite Lesung
(Epistel) folgt während der Sonntage im Jahreskreis ebenfalls dem
Prinzip der Bahnlesung. Am 2.-7. Ostersonntag werden Texte aus
dem 1. Petrusbrief, dem 1. Johannesbrief und der Offenbarung gelesen
. Durchbrochen wird das Prinzip der lecüo semicontinua an den
Sonn- und Festtagen des Weihnachts- und Osterkreises; sie zeichnen
sich weithin „durch eine Konstanz der Verkündigungstexte" - sprich:
eine deutliche thematische Prägung - aus; das jeweilige Evangelium
(das „Gesicht der Sonn- und Festtage", 276 ff) spielt dabei eine bestimmende
Rolle. Ferner gilt: „Neben der primären Prägung der Sonntage
des Weihnachts- und Osterfestkreises durch die Botschaft der Evangelien
ist. . . auch die Prägung der Fasten- und Ostersonntage durch
die Sequenz der ersten Lesungen zu beachten" (388). Der „Grundsatz
der Zuordnung bzw. Abstimmung" - als solcher nur schwer zu vereinbaren
mit dem Prinzip der Bahnlesung - wird auch auf die Sonntage
im Jahreskreis angewendet: Die AT-Lesung ist stets auf das Evangelium
abgestimmt, so daß sich ein thematischer Bezug „zwischen
AT-Perikopc, Antwortpsalm, Halleluja'Ruf und Evangelium" ergibt,
der freiljch durch die Epistellesung unterbrochen wird. Prägende
Impulse gehen auch von der besonderen Thematik der jeweiligen Kirchenjahreszeit
sowie von der Thematik der Feste aus, so daß sich
manchmal „eine gewisse inhaltliche Abstimmung zwischen den drei
Perikopen der Meßfeier ergibt" (388). Der Vf. stellt jedoch als Nachteil
der neuen Ordnung die „fehlende Verkündigungseinheit" zwischen
Epistelreihe und Evangelienpcrikopcn heraus und bemerkt kritisch
im Blick auf die Sonntage der Osterzeit, daß hier „oft drei thema-