Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1988

Spalte:

217-220

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Feil, Ernst

Titel/Untertitel:

Antithetik neuzeitlicher Vernunft 1988

Rezensent:

Graf, Friedrich Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

217

Theologische Litcraturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 3

218

gegeben hat, zu deren besserer Bewahrung er sich empfiehlt"
(S. 353).

In Sachen Gotteabegriff hat dieses spekulative Selbstbewußtsein
jedoch kritische Folgen: „Die religiöse Vorstellung spricht dieses
Moment Geistigkeit einem göttlichen Subjekt als Selbstbewußtsein
zu" (S. 350), die damit allerdings nach Meinung des Vf. „den
Gedanken der absoluten Subjektivität verfehlt" (a. a. O.). Um diesen
Begriff" der Subjektivität geht es aber, wie der Vf. feststellt, in Hegels
„ganzer Philosophie": „Deshalb kann er dem von . . . abstrakten
Denken bedrohten Inhalt der Religion die Flucht in das . . . konkrete
Denken, in den Begriff, anraten" (S. 357). Das „Aufheben" der bloßen
Vorstellung in den Begriff wird dergestalt in einer linkshegelianisch-
kritisch verstandenen Interprctationslinie für Hegels Konzeption
vorausgesetzt. Deutlich wird das dann auch im letzten, IV. Teil im
„Streit um die spekulative Rcligionsphilosophie" (S. 361-410), in
dem nicht nur die verschiedenen Positionen und Interpretationen der
Hegeischen Schule, sondern auch die Anfragen der Gegner und
Kritiker Hegels mit profunder Kenntnis dargestellt werden. Man
spürt dabei des Vf. Bemühen, Hegels spekulative Philosophie als eine
echte, bleibende Möglichkeit für einen in sich konsistenten Zugang
zur Wirklichkeit der Religion anzusehen, auch in der nach wie vor
aktuellen Frage nach dem Zusammenhang von Idee und Geschichte.
Hegel wird auch in dieser Frage als durchaus auf den Schultern
Lessings stehend begriffen.

Was sind dann, um nur eine Konsequenz der spekulativen
Religionsphilosophie zu nennen, die Folgen für die Theologiegeschichte
? Mit David Friedrich Strauß' „Leben Jesu" sind sie für die
historisch-kritische Forschung tiefgreifend und weithin irreversibel;
in Richtung der Überwindung bloßer Reflcxions- (Verstandes)philo-
sophie oder auch von Vorstcllungsvcrhärtung wird bis heute Hegels
Religionsphilosophie kaum fortgeführt. Hegel wird allenfalls als
beliebtes Widerlegungsobjekt vorgeführt. Der Vf. beklagt diese Situation
. Daß aber Hegels „Versuch der Rückgewinnung des Gottesproblems
für die theoretische Philosophie" (S. I 7) für die philosophische
Situation in der Gegenwart fruchtbar werden könnte, so daß eine
..Revision der (in der Philosophicgcschichte) getroffenen Entscheidungen
erwartet oder erhofft werden dürfte" (S. 17), sieht er nicht.

Ist dann aber nicht vielleicht eher in einer Verlagerung der philosophischen
Theologie mit ihrer Rcligionsphilosophie in die Fachtheologie
hinein die realere Möglichkeit zu suchen'.' Ansätze dazu sind
unübersehbar (cf. das Werk Paul Tillichs). Vernunft ist sicher auch in
der Religion. Dieser Wirklichkeitsbefund wird auf Dauer wohl allen
Abschottungsversuchen zum Trotz sein Gewicht behalten - auch in
der Theologie - und damit immer wieder Rcligionsphilosophie
hervorbringen.

Dem Vf. ist es in tiefdringender Analyse und Darstellung gelungen,
das Anliegen der Rcligionsphilosophie. vor allem der Hegels, „Vernunft
in der Religion" zu erfassen, deutlich herauszuarbeiten. Die
Fachtheologie hat in ihrem Ringen um Universalität auch ohne alle
I luchttendenzen allen Anlaß, diesem Beitrag zu geistiger Klarheit
und historischer Sachlichkeit große Beachtung zu schenken.

Leipzig HansMorit/

Systematische Theologie: Aligemeines

Pell, Emst: Antithetik neuzeitlicher Vernunft. „Autonomie -
Heteronomie" und „rational - irrational". Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1987. 205 S. gr. 8" = Forschungen zur Kirchen-
und Dogmengeschichte, 39. Kart. DM 52,-.

Das Buch dient der Klärung der Frage: Wie verhalten sich christlicher
Glaube und moderne Vernunft zueinander? F. möchte insbesondere
den neuzeitlichen Vernunftabsolutismus mit seiner „dis-
junktive(n) Verhältnishcstimmung von .Glaube' und .Vernunft'"

(200) kritisch überprüfen. Die Neuzeit sei nur insoweit neue Zeit, als
sie das definitive Ende der alten Welt proklamiere. So sei moderne
Rationalität konstitutiv durch Abgrenzungsstrategjen bestimmt und
könne ihre behauptete Allgemeinheit nur durch Negation anderer
Bewußtseinspositionen rechtfertigen. Diese innere Antithctik neuzeitlicher
Vernunft lasse sich vor allem an den Begriffsgeschichten
spezifisch moderner Antithesen wie Autonomie/Heteronomie und
rational/irrational aufweisen. In Fortführung von Studien zum
RcligionsbegrilT(Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs
vom Frühchristentum bis zur Reformation. Göttingen 1986)
verfolgt F. dabei ein apologetisches Interesse: Weil neuzeitliche Vernunft
konstitutiv antithetisch sei, könne das vcrnunftabsolutistische
Credo, Glaube sei irrational und heteronom bestimmt, nur als unvernünftig
gelten.

Autonomie sei ursprünglich ein politisch-juristischer Begriff, der
weder Autarkie noch Souveränität, sondern relative Selbständigkeit
von Institutionen bzw. sozialen Gruppen im Rahmen umfassenderer
Bindungsverhältnisse meine. Erst Kant habe dem Begriff eine eigene
philosophische Bedeutung gegeben und Heteronomie als Gegenbegriff
verwendet oder geprägt. Auch für Kant sei Autonomie aber nicht
Autokratie oder absolute Selbstbestimmung, sondern „innere . . .
Selbstbestimmung im Rahmen eines übergeordneten Bereichs" (106).
Keineswegs sei ihm Unterwerfung unter Gottes Willen gleichbedeutend
mit Heteronomie. F. verlangt deshalb, „die gängige Kantrezeption
und -interpretation von .Autonomie' grundlegend zu korrigieren
" (108).

Vor allem sei die „Generalisicrung und Verabsolutierung von
.Autonomie'" (108) im späten 19. Jh. zu revidieren. Zu Zeiten Kants
sei dessen äußerst differenziertes Autonomiekonzept nicht oder nur
polemisch vergröbert rezipiert worden. Unter dem Eindruck der
Französischen Revolution hätten Antikantianer wie K. L. Rcinhold
und F. von Baader Autonomie als von aller Bindung abgelöste unbedingte
Selbstbestimmung des Menschen verstanden und für Gott als
Führer von Restauration und Gegenaufklärung „absolute Autonomie
" postuliert (87). Im 19. Jh. sei der Autonomiebegriff insgesamt
sehr viel weniger verbreitet als häufig vermutet. Dies gelte gerade für
die protestantische Ethik: In der zweiten Hälfte des Jh. habe sich hier
zunächst der Thconomiebegriff durchgesetzt, und „nur zögernd" sei
dann Autonomie in Theonomie mit einbezogen worden (100). Auch
ein pauschales Verständnis von Autonomie als emanzipatoriseher
Mündigkeit, die der Mensch sich gegen die alten feudalen Gewalten
einschließlich der Kirche erkämpft habe, habe sich erst unter dem
Einfluß W. Diltheys ca. 1890 durchgesetzt. Seitdem hätten Philosophen
jede Bindung, selbst die an Gott, als Heteronomie bezeichnet
und Autonomie als Äquivalent für eine inhaltsleer abstrakte Selbstbestimmung
verwendet.

Auch der heute dominierende polemisch abwertende Gebrauch
von irrational sei erstaunlich jungen Datums. Irrational sei ursprünglich
ein rein mathematischer Begriff für Zahlen gewesen, die nicht mit
endlicher Genauigkeit angegeben werden können. Ende des 18. Jh.
werde der Begriff erstmals auch unspezifisch verwendet. Zunehmend
sei er dann, vor allem durch die Wirkungen des Neukantianismus,
zum beliebig einsetzbaren Äquivalent für .vernunftlos', .unvernünftig"
und .übervernünftig", d. h. zu einem Gegenbegriff von rational
geworden, der unschwer auch die Denunziation Andersdenkender
ermögliche. R. Ottos These, die Gottesidcc sei irrational, müsse die
Theologie zurückweisen. Geboten sei kritische Verständigung über
den konkreten Aussagehalt des Begriffs: Nicht wer von anderen für
irrational erklärt werde, sondern wer andere als irrational bezeichne
(und damit kulturell stigmatisiere), sei hier begründungspflichtig.
Wenn moderne Rationalität transzendenzbezogenen Glauben generell
für irrational erkläre und so der Illusion ihrer autarken Selbstbegründung
verhaftet bleibe, schlage sie in das Gegenteil von
kritischer Vernunft um.

F.s Studie stellt einen bedeutsamen Fortschritt in der Rekonstruktion
der Begrilfsgeschichte von Autonomie/Heteronomie und ratio-