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Ausgabe:

1988

Spalte:

198-199

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hauke, Rainer

Titel/Untertitel:

Trinität und Denken 1988

Rezensent:

Heidrich, Peter

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Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 3

*198

Richarzt Bernhard: Heilen, Pflegen, Töten. Zur Alltagsgeschichte einer
Heil- und Pflegeanstalt bis zum Ende des Nationalsozialismus. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht; Göttingen: Medizinische Psychologie
1987.217 S. m. 27 Tabellen gr. 8- Kart. DM 39,80.

Die Forschungen zu den NS-Krankenmorden sowie zu Theorie und
Praxis des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" haben
seit Ende der 70er Jahre einen erheblichen Aufschwung genommen.
Kirchen- und Diakoniegeschichtsschreibung sind an diesem Prozeß
beteiligt, obschon noch immer deutliche Erkenntnislücken bestehen,
z. B. bei regionalen und anstaltsgeschichtlichen Abläufen. Das Buch
von Richarz, eine überarbeitete medizinische Dissertation aus München
, berührt kirchlich-zeitgeschichtliche Aspekte nur peripher;
doch erläge man einem verkürzten Verständnis von Kirchen- und
Christentumsgeschichte, wollte man es deswegen an den Rand des
Interesses von Kirchenhistorikern, Theologen und Mitarbeitern der
Diakonie stellen.

Der Vf. bietet in fünf Kapiteln einen konzisen Überblick zur Geschichte
der oberbayrischen psychiatrischen Anstalten Eglfing und
Haar, die 1931 aus finanziellen Gründen zur Einrichtung Eglfing-
Haar mit mehr als 2300 Patienten vereint worden sind. Die Darstellung
gipfelt in der Schilderung der Sterilisationspraktiken (ca. 1 703
Patienten) und in der Verlegung und Ermordung von etwa 924 Patienten
im Zuge der „Aktion T 4". Des weiteren starben von 1943 bis
1945 429 Patienten in den „Hungerhäusern". Auch als Zwischenanstalt
für Patienten aus anderen oberbayrischen Anstalten nahm
Eglfing-Haar in der Logistik der Geisteskrankenmorde einen wichtigen
Platz ein. Schätzungsweise 776 Patienten erlebten die Anstalt als
Station auf dem Weg in die Gaskammer. Schließlich ist der Name dieser
Einrichtung dem Gedächtnis eingebrannt durch die Gestalt seines
berüchtigten Leiters, OMR Dr. Hermann Pfannmüller. Pfannmüller
>st bereits durch grauenerregende Augenzeugenberichte und eigene
Einlassungen in der Dokumentatiqn von A. Mitscherlich/F. Mielke:
Medizin ohne Menschlichkeit (mehrere Auflagen, zuletzt Frankfurt/
Main 1981) verewigt. Jenseits von metahistorischem Rigorismus, wie
er in einem Teil der einschlägigen, Literatur zum Schaden historischer
Aufklärung üblich geworden ist, jenseits auch von distanziertem Objektivitätsgebaren
schlägt der Vf. den anstaltsgeschichtlichen Bogen
von den Anfangen Eglfings (1905) und Haars wenige Jahre später bis
zur Anklage Pfannmüllers im Nürnberger Ärzteprozeß. Im Mikrokosmos
der oberbayrischen Einrichtung wird das Auf und Ab deutscher
Psychiatrie in Kaiserreich und Weimarer Republik, schließlich
die Überformung durch erbbiologischen Fundamentalismus und
Fatalismus sowie das Einmünden der Entwicklung in Fortpflanzungsausschluß
und Lebensvernichtung deutlich. In den einleitenden Kapiteln
bezieht sich der Vf., soweit es um übergreifende Entwicklungen
Seht, vorwiegend auf neuere Sekundärliteratur. Dabei folgt er manchem
mittlerweile allzu einseitig verfestigten Urteil. Die These, der
-Verlauf einer psychischen Erkrankung wurde um 1930 noch ebenso
a's nicht beeinflußbar angesehen wie in den Jahrzehnten zuvor" (43),
Wlrd so pauschal nicht aufrechtzuerhalten sein. Auch Fürsorge/offene
Eamilicnpflcgc besaßen vor 1933 eine stärkere Position im Spektrum
der Psychiatrie, als es der Vf. im Anschluß an Blasius u. a. zu sehen
scheint. Zur Arbeitstherapie und deren erstaunlichen Effekten, die vor
1933 in vielen Publikationen unterstrichen wurden, gilt Ähnliches.
E*er Umschwung von einer relativen Offenheit der psychiatrischen
Gesamtlage zur Praxis des Dritten Reiches wird dann um so eindrück-
'•cher. Zu Recht betont der Vf. den Zwiespalt zwischen Heilen und
Vernichten selbst noch bei einem Mann wie Pfannmüller. Interessant
lst der Aufweis von direkten und indirekten Widerständigkeiten des
Anstaltspersonals von Eglfing-Haar gegen die Vernichtung der
Patienten. Die Köchin, welche die zum Tode führenden „Hunger-
kost"-Anordnungen zu unterlaufen versuchte, war an ihnen ebenso
beteiligt wie Pfleger, Pflegerinnen und Ärzte.

Der sog. Euthanasie-Stop erfolgte nicht am 23. 8. 1941, wie der Vf.
""rtümlich angibt, sondern einen Tag später. Die Monographie von
Gisela Bock: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Opladen

1986 fehlt im Literaturverzeichnis. Zum Schicksal jüdischer psychiatrischer
Patienten, dem bislang nicht systematisch nachgegangen
wurde - beim Vf. finden sich in diesem Zusammenhang einige
Zahlenangaben, z. B. S. 169 -, sei hingewiesen auf den soeben erschienenen
Aufsatz von Henry Friedlander: Jüdische Anstaltspatienten
in NS-Deutschland. In: Götz Aly (Hg.); Aktion T 4.
1939-1945. Berlin (West) 1987,34-44.

Insgesamt hat der Vf. eine solide und lebendig geschriebene Studie
vorgelegt. Sie fuhrt die verdienstvolle Arbeit von Gerhard Schmidt:
Selektion in der Heilanstalt. Stuttgart 1965 weiter und vermittelt eine
Fülle beachtlicher Informationen. Gewiß wird sie einen Platz im vorderen
Feld der anstaltsgeschichtlichen Arbeiten einnehmen.

Leipzig Kurt Nowak

Besier, Gerhard: Zur ekklesiologischen Problematik von „Dahlem" (1934)
und „Darmstadt" (1947). Historisch-theologische Überlegungen, ausgehend
von einer These Klaus Scholders (KuD 33,1987, 179-191).

Haacker, Klaus: Der Holocaust als Datum der Theologiegeschichte (ZdZ 41,
1987,266-270).

Klan, Werner: Selbständige evangelisch-lutherische Kirchen im „Dritten
Reich". Versuch einer Zwischenbilanz (LThK 11, 1987,43-87).

Klart, Gerd: Das Darmstädter Wort 1947, 1977 und 1987. Zur kirchen-und
theologiegeschichtlichen Bedeutung des Darmstädter Wortes (JK 48, 1987,
546-558).

Labrousse, Elisabeth: Conviction et tolerance (ETR 62,1987,41 -57).
Neuser, Wilhelm: Die Hugenotten in Deutschland (JHKGV 37, 1986,
155-1970).

Seitz, Manfred: Hermann Bezzel. Theologie, Darstellung, Form seiner Verkündigung
. 2. Aufl. Wuppertal: Brockhaus 1987. 244 S. 8" = TVG Monographien
und Studienbücher, 328. Kart. DM 24,80. (s. Bespr. in ThLZ 96,
1961,441).

Dogmen- und Theologiegeschichte

Hauke, Rainer: Trinität und Denken. Die Unterscheidung der Einheit
von Gott und Mensch bei Meisler Eckhart. Frankfurt/M.-Bern-
New York: Lang 1986. 350 S. 8" = Kontexte. Neue Beiträge zur
Historischen und Systematischen Theologie, 3. Kart, sfr 68.-.

„Gott hat uns des Seinen nichts verhüllt. Dies dünkt manche Leute
eine schwere Rede. Deshalb aber soll niemand verzweifeln." Mit diesem
Eckhart-Zitat beginnt diese Studie, der eine Dissertation
zugrunde liegt. Die Arbeit ist zuverlässig und materialreich. Zusammenfassungen
nach den einzelnen Abschnitten erleichtern dem Leser
die Lektüre.

Vf. geht von der spezifischen „Nähe" von Theologie und Anthropologie
bei Eckhart aus. Er versteht Eckhart aus den beiden Perspektiven
Einheit und Differenz, die der Trinitätsgedanke integriert.
„Theologisch geht es um die Möglichkeit, die göttliche Trinität derart
auf das Denken zu beziehen, daß der dreieine Gott selbst als Denken
gedacht wird, der Mensch sich mit diesem Gott eins weiß - und doch
die Differenz des Schöpfers vom Geschöpf erhalten bleibt. Dies wäre
eine Alternative zum herrschenden (und in die Krise gekommenen!)
Trinitätsmodell", heißt es auf S. 20f. Vf. verfolgt also ein systematisches
Anliegen.

4 Kapitel enthält der Hauptteil der Arbeit, nachdem die Einleitung
die These und die Situation der Eckhart-Forschung darstellte. Unter
der Überschrift „Differenz von Schöpfer und Geschöpf werden Eck-
harts Modelle vorgestellt. So Eckharts Begriff des esse und esse hoc,
seine Deutung der creatio und der Zeit, die Analogie bei Eckhart wird
erörtert, in Auseinandersetzung etwa mit Hof. Das 2. Kapitel geht der
Einheit von Gott und Mensch nach. Der Mensch ist nicht eins mit
Gott, er wird es, durch Gottes Tun. Das berühmte unum in anima, die
Abgeschiedenheit, imago, Gottesgeburt, das Verhältnis von iustitia
und iustus sind hier die Themen, die im Zusammenhang mit der Literatur
ihre Erörterung finden.