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Ausgabe:

1988

Spalte:

177-180

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Van Seters, John

Titel/Untertitel:

In search of history 1988

Rezensent:

Herrmann, Siegfried

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Seite 1, Seite 2

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177

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 3

'l78

nachdeuteronomistischer Redaktionstätigkeit führt J. Luytens
"Primeval and Eschatological Overtones in the Song of Moses
(Dt 32.1-43)" (S. 341-347), der das Lied erst einem nachdeuterono-
mistischen Verfasser zuschreiben will, dabei freilich zu der Annahme
genötigt ist, daß das überlieferte Lied ein älteres verdrängt habe. In
den Bereich der dtr Redaktion selbst führt H.-J. Fabrys ..Spuren des
Pentateuchredaktors in Jos 4,21 ff: Anmerkungen zur Deutcronomis-.
mus-Rczeption"(S. 351-356). Fabry weist die Kinderfrage in Jos 4,6f
dem ersten dtr Redaktor des JE, 4,19.21ffund 5,10-12 aber erst Rp
zu. Dem an Hand der letzten Kapitel des Königsbuches diskutierten
Problem, ob DtrG bzw. das dtr Königsbuch bereits eine vorexilische,
spätestens mit 2Kön 23.25 endende Fassung voraussetze, die dann
exilisch zu Ende geführt worden wäre, widmen sich G. Vanonis
..Beobachtungen zur deuteronomistischen Terminologie in 2Kön
23,25-25.30" (S. 357-362). um sich im oben genannten Sinne zu entscheiden
. J. W. Provan hat nebenbei in seiner 1986 in Cambridge vorgelegten
Dissertation aufgrund einer sorgfäl'igen terminologischen
Untersuchung ein ähnliches, in der Endfassung noch näher an
Vanonis „Beobachtungen" heranrückendes Ergebnis vorgelegt. Man
kann demgemäß derzeit wohl das doppelte Fazit ziehen, daß an der
Mehrschichtigkeit des Dcutcronomiums und des Deuteronomistischen
Geschiehtswcrkes nicht länger zu zweifeln ist, die Abstimmung
der unterschiedlichen Modelle aufeinander aber noch aussteht. So
möchte man auch hier Norbert Lohfinks Ermutigung aufnehmen:
Vivant sequentes!

Der Rez. bedauert, daß er nun die durchweg lesenswerten weiteren
Beiträge nur noch aufzählen kann; denn sie hätten alle auch an dieser
Stelle eine eingehendere Würdigung verdient, sei es, daß M. Weinfcld
erneut das Thema der geistigen Heimat der deuteronomischen Bewegung
aufgegriffen hat ("The Emergence of the Deuteronomic Movement
: The Historical Antccedcnts", S. 76-98), oder, daß A. Rofe auf
der monotheistischen Bearbeitung des Bundesformulars im Deute-
ronomium auf die längere Bekanntschaft Israels mit der Bundeskonzeption
aufmerksam macht ("The Covenant in the Land of Moab
[Dt 28,69-30,20]", S. 310-320).

Wer sich für die Fragen der Tcxtgcschichte interessiert, wird an den Aufsätzen
von L. Laberge «La Scplante de Dt 1-11: Pour unc etude du* text»
'S. 107-110) mit seinem Eintreten für eine M und G zugrunde liegende unterschiedliehe
Textentwicklung und M. Bogacrt «Les trois redactions conservees
ct la forme originale de Tcnvoi du C'antiquc de Moise (Dt 32,42)» (S. 329-340)
nicht vorübergehen. - Der Rcchtsgeschichtc und Rcchtssoziologic sind die Beiträge
von A. Amslcr «Loi oral et loi cerite dans le Dcutcronomc» (S. 51-54),

Halbe ..Gemeinschaft, die die Welt unterbricht: Grundfragen und -inhalte
deuteronomistiseher Theologie und Überlieferungsbildung im Lichte der
Ursprungsbedingungen alttcstamentlichen Rechts" (S. 55-75), H. Cazelle
«Droit public dans le Deuteronomc» (S. 99-106) und in gewisser Weise auch
der von C. Locher „Dcuteronomium 22,13-21: Vom Prozeßprotokoll zum
kasuistischen Gesetz" (S. 298-303) gewidmet. Weiterhin behandeln
C J. Labuschagne "Divine Speech in Deuteronomy" (S. 111-126).

L. Christensen "Form and Structurc in Deuteronomy 1-11" (S. 135-144),
'> van Goudoever "The Liturgical Significanee of the Datc in Dt 1,3"
(S- 145-148), A. D. H. Mayes "Deuteronomy 29, Joshua 9, and the Place ofthe
Gibconites in Israel" (S. 321-325) und W. L. Holladay"A Proposal for Reflec-
''ons in the Book of Jercmiah of the Scven-Year Recitation of the Law of
Deuteronomy (Deut 31,10-13)"(S. 326-328).

Ein Autorenverzeichnis und ein solches der Bibclstellen runden den
■nteressanten Band ab.

Marburg (Lahn) Otto Kaiser

Seters, John van: In Scarch of History. Historiography in the Ancient
World and the Origins of Biblical History. New Häven - London:
YaleUniversity Press 1983. XIII, 399 S. gr. 8". Lw. £ 27.-.

Nicht die Geschichte, sondern die Geschichtsschreibung ("historiography
") ist Thema dieses umfassend gedachten Werkes, das einem
Wort von J. Huizinga zu folgen versucht: "History is the intcllectual
form in which a civilization rendersaecount to itsclf of its past." Unter

der "intellectual form" versteht der Vf., was der Terminus „Geschichtsschreibung
" (history writing) meint, und wendet sich deshalb
in der ersten Hälfte seines Werkes einer breit angelegten Beschreibung
und Beurteilung der griechischen, mesopotamischen, hettitischen,
ägyptischen und altsyrischen Geschichtsqucllen und ihrer Darstellungsformen
zu. Besondere Aufmerksamkeit ist solchen Dokumenten
gewidmet, die in Form von Annalcn, Chroniken oder Listen größere
Geschichtsperioden zusammenfassen oder gar in erzählender Form

älteres Material zu Geschichtswcrkcn zusammenfassen, wie es die

-r

Geschichtsschreiber der Antike getan haben, vorab bei den Griechen
und dort in exemplarischer Weise Hcrodot, den van Seters zum Vergleich
mit den alttestamentlichcn Geschichtsbüchern heranzieht.

Das Ziel des ganzen Werkes und sein eigentliches Schwergewicht
liegt zweifellos in seinem zweiten Teil, der der "Israelite Historio--
graphy" gewidmet ist, und zwar in der Hauptsache dem die Bücher
Josuabis2. Könige umfassenden sogenannten „Deuteronomistischen
Geschichtswerk" (Dtr). Was gezeigt werden soll, ist. "that the first
Israelite historian, and the first known historian in Western civilization
truly to deservc this designation, was the Deuteronomistic historian
" (S. 362).

Nun hat bekanntlich schon vor Jahrzehnten der Althistoriker
Eduard Meyer die israelitische Geschichtsschreibung als diejenige
bezeichnet, die unter den antiken Geschichtsdarstellungen allein den
Vergleich mit der griechischen Geschichtsschreibung aushält. Er
stützte sich mit seinem Urteil hauptsächlich auf die Darstellung der
Davidzeit in den Samuelisbüchern. Es ist deshalb nicht zufällig, daß
auch van Seters diese Überlieferungen zum Ausgangspunkt seiner
Erörterungen macht. Freilich ist ihm die positive Perspektive, in der
das Königtum Davids in der Geschichte seines Aufstiegs (vornehmlich
ISam l6-2Sam 6) erscheint, unvereinbar mit der kritischen
Bewertung des Königs und seiner Taten in 2Sam 7-lKön2, der
sogenannten „Thronnachfolgegeschichte", wie sie seit L. Rost heißt.
Ein solcher Widerspruch könne nicht auf einen einzigen Autor
zurückgehen, der zugleich der Schöpfer eines einheitlich konzipierten
Werkes sei. Die Thronnachfolgegeschichte sei darum eine späte Erfindung
, die dem Dtr nachträglich hinzugefügt wurde, keineswegs
authentische Geschichtsdarstellung; sie entspreche der antimessiani-
schen Tendenz "in certain Jewish circlesat this time" (S. 2891).

Ausgehend von solchen Beobachtungen analysiert van Seters Dtr
auf eigenwillige Weise und macht seinen Verfasser für Geist und
Tendenz des gesamten Geschichtswerkes verantwortlich. Zwar hatte
schon Martin Noth in seinen „Überlieferungsgeschichtlichcn Studien
" von 1943 die Entstehung des Dtr einem einzigen Verfasser oder
Redaktor zugeschrieben, doch in dem Sinne, daß dieser quellenhafte
Stücke, die ihm aus den jeweiligen Epochen der Geschichte Israels
und Judas vorlagen, weitgehend in ihrer Originalgcstalt beließ; er
stellte sie lediglich in ein Rahmenwerk, das auf ihn selbst zurückging,
das sich unter anderem auf die chronologischen Angaben von Königslisten
stützte, das vor allem aber die aus dem Deuteronomium
bekannten Maßstäbe zur Geltung brachte, die ausschließliche Verehrung
des Einen Gottes, die eine Opferstätte und das gemeinsam auftretende
und handelnde Volk. Auch van Seters leugnet nicht das Vorhandensein
älterer Quellen, findet diese aber in Dtr nicht in ihrer
originalen Gestalt wieder, sondern in dtr Nacherzählung, was an der
Einheitlichkeit von Sprache, Stil und Denkweise des Gesamtwerkes
erkannt und nachgewiesen werden könne. Das Vorgehen von Dtr
beurteilt er in Parallele zu dem Werk Herodots. das ebenfalls nicht auf
der exakten Wiedergabe von Originalquellen beruhe, sondern sämtliche
Vorlagen und überkommenen Stoffe, die Herodot sammelte, in
dessen eigener Diktion bietet. So sei es die Eigenart ebenso der griechischen
wie der altorientalischen Historiographie, wo sie diesen Namen
verdient, nicht in erster Linie das tatsächliche Geschehen, sondern
seinen Reflex in der nachgcstaltenden Überlieferung wiederzugeben
.

Die meisten der altorientalischcn Quellen müssen jedoch mit der
Einschränkung gelesen und verstanden werden, daß sie jeweils einem