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Ausgabe:

1987

Spalte:

147-149

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hollenstein, Helmut

Titel/Untertitel:

Der schülerorientierte Bibelunterricht am Beispiel der Theodizeefrage 1987

Rezensent:

Kehnscherper, Günther

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147

Theologische Literatur/eitung I 12. Jahrgang 19X7 Nr. 2

148

S. I05IT); hierzu muß die Verbindlichkeit katholisch amtskirchlicher
Stellungnahmen relativiert (S. I 10) und die Differenz im Verständnis
der Ehe als Sakrament, der Ehescheidung und der Wiederverheiratung
überspielt werden (S. 1141"). Hingegen in der Eriedensthematik (hierzu
U.R. Reuter S. 1 19 IT) lassen sich angesichts der positioneilen Vielfalt
der Äußerungen in beiden Kirchen eher parallele Mcinungsdifferen-
zen innerhalb der Kirchen als ein Gegensatz /wischen ihnen konstatieren
. Im übrigen sind Selbstkorrekturen sowohl der katholischen
Ethik - z. B. in der Revision der traditionellen Ablehnung von Gewissens
- und Religionsfreiheit (J. Gründel S. 1001")-als auch in der evangelischen
Ethik, etwa im Blick auf eine Annäherung an natur- und
vernunftrechtliche Gedankengänge (M. Honecker S.2X2) zu beobachten
. Mithin mögen nach wie vor theologische Kontroverspunkte
zwischen den beiden Konfessionen bestehen. Dies betrifft vor
allem die Frage nach der kirchlichen Lehrautorität und die Ekklesio-
logie (M. Honecker S. 283ff, 2990. Gleichwohl weist der Sammelband
in seiner Gesa nutenden/ auf, daß sich Annäherungen sowohl im
Alltagsethos wie auch - stärker als bei den Amtskirchen allerdings im
Rahmen der akademischen Theologie - in der ethischen Theoriebildung
der Konfessionen ausprägen. In der Tat: Gerade in der Ethik
scheinen traditionelle Begründungsdifferenzen überbrückbar zu
werden, erfolgt gleicherweise eine Rezeption soziologischer und philosophischer
Überlegungen und wird die gemeinsame Herausforderung
durch Säkularisierung, gesellschaftliche Wertekrise und die
aktuellen ethischen Themen bedacht. Hierfür ist u. a. das von evangelischen
und katholischen Autoren verfaßte „Handbuch der christlichen
Ethik" (1978 ff) ein Beleg. Auch der Textband „Zwei Kirchen -
eine Moral?" verdeutlicht, daß aus der faktisch gewandelten soziologischen
und kulturellen Stellung von Kirche und Christentum nicht
unbedingt Einstimmigkeit und Uniformität. wohl aber Toleranz und
der Dialog zwischen evangelischer und katholischer Ethik resultieren
kann.

Wachtberg-Niederbachem Hartmut Krcß

Böckle, Franz: Normen und Gewissen (StZ III. 1986.291-302).

Ermccke. Gustav: Die natürlichen Seinsgrundlagen der christlichen Ethik.
2. Aufl. (Neuaufl. der Ausgabe Paderborn 1941). Paderborn-München-
Wien-Zürich: Schöningh 1986. X. 301 S.gr.8". Lw. DM 38.-.

Honecker. Martin: Verantwortung für die Zukunft. Die Ethik im Dialog der
Wissenschaften (EK 19. 1986,506-509).

Lenzen, Dieter: Zwischen Ethik. Mythos und Wissenschaft - Kulturkonflikte
um die In-vitro-Fcrtilisation (Univ. 41. 1986.699-710).

Planer-Friedrich, Götz: Christliche Ethik und Ökologie. Zu einer Konsultation
des Lutherischen Weltbundes (LM 25, 1986,247-249).

Schöpsdau. Walter: Die Wahrheit und das Gute. Moraltheologische Signale
ausRom(MdKl 37. 1986,48-49).

Seif. Klaus Philipp: Daten vor dem Gewissen. Die Brisanz der personen-
bezogenen Datenerfassung. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1986. 160 S. 8*.
Kart. DM 19.80.

Wogaman. J. Philip: Eeonomics and Ethics. A C hristian Inquiry. Philadelphia
. PA: Fortress Press 1986. XIII. 145 S.8

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Hollenstein. Helmut: Der schülerorientierte Bibelunterricht am Beispiel
der Theodizeefrage. Dissertation. Münster 1984. 707 S. 8° =
Religionspädagogik heute, 16. geb. DM 98,-.

Seit Jahrzehnten ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß
evangelische Theologie und Religionspädagogik sich viel zu wenig um
das Kind als Adressaten christlicher Erziehung, um seine Glaubensstruktur
und die Aspekte seiner religiösen Entwicklung und Erfahrung
gekümmert hat. Die wegweisenden Erkenntnisse von M. J. Langeveld
zur Anthropologie des Kindes fanden bisher kaum ansatzweise eine

Weiterlührung in einer „Theologie des Kindes". Das mag sicher
daran gelegen haben, daß ein von der Dialektischen Theologie her
konzipierter Glaubensbegriff Bedingungen voraussetzte und Entscheidungen
forderte, die kindlicher Glaube nicht zu erfüllen vermag.
Auch an Bultmann anknüpfender hermeneutischer Religionsunterricht
konnte nicht den rechten Zugang zur Glaubcnswelt und religiösen
Erfahrung des Kindes linden.

Hier set/t nun H. Hollenstein mit einer umfassenden theologischen
Studie ein, die zunächst einmal nachweisen will, daß eine Vernachlässigung
der Aspekte religiöser Erfahrung und eine entsprechende religionsdidaktische
Englührung nicht der radikalen Absage K. Barths an
die theologia naturalis angelastet werden darf. Ein falsches Nebeneinander
von Offenbarung und Geschichte, eine problemlose Addition
von Natur und Gnade, Gott und Welt, Glaube und Erfahrung hat
tiefere Ursachen. So bringt Kap. I (Einleitung - Probleme und Tendenzen
in der gegenwärtigen religionspädagogischen Diskussion/Perspektiven
zur Begründung und Aktualität der Thematik) wesentliches
Material zur Erhellung der theologiegeschichtlichen Entwicklungslinien
, soweit sie den Glaubensbegriff und den Umgang mit religiöser
Erfahrung in der Rcligionspädagogik betreffen, veranschaulicht an der
Theodizeeproblematik.

Kap. 2 (Analyse der Problcmausgangslagc) entfaltet in sorgfältigen
Unterrichtsbeobachtungen und -erhebungen verschiedene Modifikationen
derTheodizcefrage und ihrerdidaktischen Aufarbeitung in der
evangelischen Unterweisung. Hier konnte der Vf. praktisch auf
keinerlei Vorarbeiten zurückgreifen, was dann auch den ungewöhnlich
großen Umfang der Untersuchung einschließlich des vorgelegten
Quellenmaterials rechtfertigen könnte.

In einem dritten Kapitel (Ursprungssituationen der DilTcrenzerfah-
rung bzw. der Theodizeefrage) geht es dann zentral um die Frage der
religiösen Erfahrung der Schüler heute. Mit E. H. Erikson wird primäre
von sekundärer Sozialisation unterschieden und das schwierige
Unterfangen nicht umgangen, zu klaren Aussagen im Bereich von
Religion und Identität, Kontingenzerfahrung und Selbstkonzept und
den Bedingungen ihrer Veränderung zu gelangen. Bio-soziale Zusammenhänge
werden ebenso wie psycho-somatisehe Gegebenheiten
oder Bereiche schulischer Sozialisation mit einer Sorgfalt erörtert, die
das Wort „schülerorientiert" im Buchtitel tatsächlich rechtfertigt.

Religionspsychologische Gesichtspunkte bestimmen die Ausführungen
des 4. Kapitels (Dissonanzreduktion und Kompensationspraxis
). Dem Anliegen der Hermeneutik von H.-G. Heimbrock wird
der Vf. in seinen „Kritischen Anfragen" (207-214) allerdings kaum
gerecht. Unklar bleibt auch, warum der Vf. wegweisende Untersuchungen
gerade der namhaften Theologen. Religionspsychologen
und Religionspädagogen auf diesem Gebiet, wie F. Bargheer,
W. Jentsch, Chr. Bäumler, K. F. Daiber und H. J. Fraas. übergeht.

Für eine Aufarbeitung der Theodizeefrage zur Vorbereitung des
Religionsunterrichts wird vor allem Kap. 5 (Strukturen und Perspektiven
zur Theodizee aus der philosophischen Erörterung des Problems
) wichtig. Der Leser findet hier bedeutsame Stationen der philosophischen
Erörterung des Themas seit der Aufklärung festgehalten
(G. W. Leibnitz. R. Descartes. P. Bayle, I. Kant, F. Nietzsche, aber
auch E. Drewermann. E. Jüngel u. a.).

Kap. 6 (Strukturen und Perspektiven zur Theodizeethematik aus
dem theologischen Denken Luthers und Barths) ist der Erörterung der
Stellung der Theodizeefrage in der Theologie M. Luthers und
K. Barths gewidmet. Y. Spiegel (Glaube wie er leibt und lebt. Bd. 11.
60) faßt eine weit verbreitete Meinung zusammen, wenn er unter Berufung
auf KD 1/2 § 17 schreibt: Religion ist „bei Barth das Dumpf-
Gefühlsmäßige, ist die Kultur mit ihren freireligiösen Strömungen, ist
die menschliche Subjektivität, vielgestaltig und wenig greifbar, sind
Sehnsüchte und Bedürfnisse der Menschen. Religion ist Verlust an
Distanz und Konfrontation, ist Mystik und unsauberes Gemisch, ist
das freiflutende Innenleben, ist nichts, was außerhalb von uns ist..."
Der Vf. zeigt nun. daß man das Religionsverständnis bei K. Barth
doch differenzierter sehen muß und das Defizit im Hinblick auf den