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Ausgabe:

1987

Spalte:

136-138

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Picht, Georg

Titel/Untertitel:

Kants Religionsphilosophie 1987

Rezensent:

Schleiff, Hans

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 2

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Daseins ohne Erbsünde, unbefleckt empfangen ist", weil sie eben
Schoß des neuen Adams Christus und der Kirche, der neuen
Menschheit, ist, nämlich „sündlos" von Anfang an. Maria als
Personifikation der Kirche, deren Wesen es sei, ohne Erbsünde zu
sein, wird damit zum Garant für Christus und Gnade, "the
ImmaculateConception is a special, unrepeatable condition ofgrace"
(41). Die „unwiederholbare Bedingung der Gnade" soll also Marias
sündlose Geburt (als „Schlüssel" [23] für die verschiedenen Gleichsetzungen
von Maria und Kirche anbetrachts der Gnade) sein. Für
unser geschichtliches Denken eine seltsame Konstruktion!

An zweiter Stelle stand das Referat über mariologische Literatur
seit dem vorjährigen Konvent durch Eamon R. Caroll, Professor der
Loyola Universität Chicago. Die Übersicht über "a record number of
some 303 titles in Marian literature", meist in Englisch, aber auch
viele in den europäischen Hauptsprachen, informiert nicht nur zur
ökumenischen Diskussion, zu Lehramtsäußerungen und vielen Einzelfragen
, sondern auch über das Anschwellen der marianischen
Bewegung überhaupt (6. Internationaler Kongreß [April 1984] der
Ecumenical Society of the Blessed Virgin Mary in Dublin). -
Natürlich ist die Literatur unvollständig, nicht nur zum Thema
„Luther und Maria"; vielleicht ist typisch, daß kritische Diskussionsbeiträge
ungenannt bleiben, z. B. von Catharin M. Halkes und L. Boff
(der im Vorjahr noch als "extravagant" erwähnt wurde).

B. Buby's Referat "Mary, A Model of Ecclesia-Orans" (87-99)
versteht sich als exegetische Studie zu Apg 1,14. Im Vergleichen mit
Lukas und Johannes ist dem Anfang der Kirche „in der Heilsgeschichte
" nachgegangen. Im Evangelium benutzte Lukas das Wort
„ekklesia" noch nicht; seine Ekklesiologie sei weder systematisch
noch entwickelt, das wird zugestanden, aber er gibt Bilder des frühen
christlichen Lebens und Gottesdienstes (88) und von Apg 1,14 bzw.
dem Kontext d^zu sei Maria "an image of the ecclesia-orans in the
nascent Church" (97). - Hier wird der Geburt der Kirche durch das
Kommen des Hl. Geistes gedacht.

Über die geistlichen Gaben, wie "Divine Faith, Private Revelation,
Populär Devotion", referierte R. D. Lawler (100-110). Begrüßenswert
, wie hier Gottes eigentliche Offenbarung zum kritischen Maßstab
von solchen „speziellen Gaben Gottes" gesehen wird.

Es folgte noch ein größeres historisches Referat von J. P. Gaffney
"St. Louis Mary Grignion de Montfort and the Marian Consecration"
(111-156). Darin sind die bekannten Theologoumena von der einzigartigen
, beständigen Verwandtschaft Marias (relationship) mit den
Personen der Heiligen Trinität, von der Mutterschaft auch für alle
Glieder des mystischen Leibes Christi und deshalb „Herzenskönigin,
Muster für die ganze Menschheit, Jesus zu empfangen", "mediatrix to
the only Mediator" (vgl. 29), entfaltet. Patrick Gaffney erklärte von da
die „ehrliche Meinung" der Rede über „Sklaven von Jesus und
Maria"; Die Taufe habe uns zu Sklaven Jesu Christi gemacht. Durch
den Akt der marianischen Konsekration, die Montforts spekulative,
mystische Hauptsache ist, werde die Taufe vollkommen erneuert
(148). Das sei Marias Rolle in der Heilsgeschichte (149). Sie mache zu
Sklaven der Liebe (150). Es komme zur „theo.sis oder mehr intimen
Teilhabe am Leben Jesu und Mariae" (153), zur Gleichförmigkeit mit
den radikalen Forderungen des Evangeliums; "through this perfect
renewal of our Christian Iife of Baptism, we live in Mary, spending
our lives for others so as to transform the world into the Father's
glory"(154f).

Die Welle der marianischen Spekulation schwillt an, wie auch der
Finanz-Report (33) gegenüber dem Vorjahr den um ein Drittel
erhöhten Etat nachweist. Abgesehen von derart mit reformatorischer
Theologie und Bibelauslegung unvereinbaren religiösen Anschauungen
erschrickt man und fragt nach dem Urteil der amerikanischen
Bischöfe und dem päpstlichen Lehramt, welches Boff z. B. gegenüber
Schärfe anwendet und alle Stimmen totschweigt, die nicht als
konventsmäßig gelten.

Jena Horst Beintker

Philosophie, Religionsphilosophie

Picht, Georg: Kants Religionsphilosophie. Mit einer Einführung von
E. Rudolph. Stuttgart: Klett-Cotta 1985. XXI, 638 S. 8* = Georg
Picht Vorlesungen und Schriften. Lw. DM 68,-.

Dieses Buch enthält zwei Vorlesungen, die Georg Picht unter demselben
Titel in zwei aufeinanderfolgenden Semestern der Jahre
1965/66 vor_ Theologiestudenten in Heidelberg gehalten hat. Er
wollte darin nicht, wie der Titel vielleicht vermuten läßt, ein Spezialgebiet
der Philosophie Kants vorstellen, das oftmals nur für ein
Appendix der Moralphilosophie Kants oder gar für seine Privatmeinung
gehalten wurde.' Auch wollte er nicht wie Albert
Schweitzer2 Kants Religionsphilosophie als im Grunde genommen
unvereinbar mit Kants Kritizismus darstellen, und ebensowenig
wollte er wie Josef Bohatec3 einen Kommentar zu Kants Religionsschrift
bieten. Seine Absicht war vielmehr, die gesamte Philosophie
Immanuel Kants als Religionsphilosophie zu interpretieren. Die
Frage nach dem Sinn, der Möglichkeit und den Grenzen des Satzes
„Gott ist" wird als die zentrale Frage der Philosophie Kants und als
der innerste Antrieb seines Denkens verstanden. In jedem ihrer Teile,
in der Erkenntnistheorie ebenso wie in der Moralphilosophie und der
Ästhetik, sei Kants Philosophie letzten Endes Religionsphilosophie
gewesen. Weit entfernt davon, wie die Neukantianer in Kant den Zerstörer
der Metaphysik zu sehen, stellt Picht ihn in relativer Nähe zu
Heimsoeth" und Heidegger5 als den kritischen Neubegründer der
Metaphysik dar.

Im Vergleich mit Parmenides, Plato und Aristoteles, mit Locke und
Leibniz zeigt er in teilweise minutiösen Textinterpretationen, wie bei
Kant aus der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis
eine Metaphysik der überlieferten Metaphysik entsteht. Die
Vernunft reflektiert sich selbst und entdeckt ihr eigenes Vermögen.
Gott bleibt nicht länger das Subjekt der vom Menschen erkannten
Wahrheiten, dafür aber wird ein neuer Begriff der menschlichen Freiheit
gewonnen. Die Vernunft des Menschen wird der Grund für die
Kategorien, mit denen der Verstand sich seine Welt zusammenfügt.
Das transzendentale Ich steht hinter allem Denken und begleitet es
und kann nicht mit der dem objektivierenden Denken zugehörigen
Kategorie der Substanz erfaßt werden. Erst recht darf es nicht mit der
empirisch aufweisbaren Individualität verwechselt werden. Es
realisiert seine Freiheit in jedem Denkakt, indem es das Allgemeine
zur Geltung bringt. Weil es dies tut, kann es mit Fichte auch als das
absolute Ich oder als Gott bezeichnet werden. Eine neue Möglichkeit,
Gott zur Sprache zu bringen, taucht hierauf. Um die Seinsweise dieses
transkategorialen Seins zu bestimmen, ist Kant genötigt, die
Kategorien „Einheit", „Möglichkeit", „Notwendigkeit", „Grund"
und (als Gegenbegriff zur „Substanz") „Subjekt" in einer Weise zu
gebrauchen, die sich von den Kategorien des objektivierenden
Denkens unterscheidet. Durch diese Unterscheidung bekommen jene
Begriffe ihren bestimmten Sinngehalt, und damit ist offenkundig, daß
es bei Kant eine Ontologie des göttlichen Seins gibt. „Nachdem wir
nun gesehen haben, daß Kant das transzendentale Subjekt als ,das
Wesen selbst' bezeichnet, ist die These gerechtfertigt, daß es sich bei
diesen transkategorialen Begriffen um ontologische Begriffe handelt;
denn der Begriff ,das Wesen selbst' ist eine reine Seinsbestimmung;
und durch das Wort .selbst' wird zum Ausdruck gebracht, daß diese
Seinsbestimmung, im Unterschied zu den auf Erscheinung eingeschränkten
Bestimmungen der Existenz, "das Sein im primären Sinne
erfaßt. Es gibt also bei Kant, wie wir im Widerspruch zur herrschenden
Kant-Interpretation feststellen müssen, so etwa wie eine transzendentale
Ontologie." (480)

Im Anschluß an KrV B 770, wo Kant „ein höchstes Wesen ... das
in uns denkende Subject" nennt, sagte Picht in seiner Vorlesung:
„Weil Gott in uns denkt, während wir denken, deshalb erstrahlt -
gleichsam im Rücken unserer Vernunft - das Licht, das uns erkennen
läßt, was uns im endlichen Horizont unseres Denkens als Erscheinung