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Ausgabe:

1987

Spalte:

130-131

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Müller, Gerhard Ludwig

Titel/Untertitel:

Gemeinschaft und Verehrung der Heiligen 1987

Rezensent:

Beintker, Horst

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 2

f

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Grcifswald Hans Georg Thümmel

Jon 4. 13-42), deren Erklärung etwa die Hälfte des von Herakleon Eindruck, daß gegenüber der scharfen Analyse, die jedoch schon fer-

Erhaltenen ausmacht. tige Schemata an der Hand hat, vorsichtiges Fragen eher am Platz

Die Untersuchung gliedert sich in zwei Arbeitsgänge. Zunächst gewesen wäre. Gleichwohl: Wer eine gründliche Analyse der Argu-

w'rd die Auslegung des Herakleon mit der Aussage des Johannes ver- mentationen des Herakleon und des Origenes sucht: hier ist sie.
Blichen. Dann wird der Kommentar des Origenes analysiert und
Befragt, jn welcher Weise er sich gegen Herakleon richtet. Schon dieses

Vorgehen weckt Bedenken. Herakleon wird streng am Stand heutiger

expUf.i;o„u i»f LA u • /-» • ■ j i Muller. Gerhard Ludwig: Gemeinschaft und Verehrung der Heiligen,

^«-getischer Wissenschalt gemessen; bei Origenes wird zwar auch , . .... , . ,. , ' ,, . „ ■ , . .

jm ■ " Geschichtlich-systematische Grundlegung der Hagiologie. Frei-

mmer wieder vermerkt, daß er die Aussage des Johannes verfehle, im burg-Basel-Wien: Herder 1986. 368 S. gr. 8 Kärt. DM 95,-.
UDngen aber festgestellt, daß er in der Linie des Johannesevangeliums

oder doch in kirchlichen Bahnen bleibe und oft genug auch durch das Diese gewichtige Habilitationsschrift, die im Sommer 1985 von der
Eingehen auf Herakleon abgelenkt werde. Das mag zwar im ganzen Theologischen Fakultät der Freiburger Universität für das Fach Dog-
nchtig sein, läßt aber das Ergebnis nicht als vorurteilsfrei erscheinen. matik und Ökumenische Theologie angenommen wurde, widmet sich
Oft wird die spezielle Aussage des Herakleon von seinem „System" ,.im Hinblick auf eine ökumenische Einigung der Christen" (15) der
J^er erklärt. Das System scheint hier eine unabhängige Größe zu sein, Aufarbeitung einer alten Kontroverslehre. Zum Ziel der Unterann
aber doch nur aus den Fragmenten im Johanneskommentar des suchung genommen ist. ..im Rahmen der dogmatischen Theologie ein
■"'genes gewonnen werden. Ständig wird bei Herakleon „Gnosti- Grundverständnis .der Heiligen'zu entwickeln, durch das ihre Bedcu-
sches festgestellt, während bei Origenes entschuldigend zugegeben tung für Glauben und Kirche" verstanden und angenommen wird.
Wlrd, daß auch er seinen Tribut an Alexandrien in Form von Piatonis- Dabei erhofft sich der Vf., daß „das Spezifische des katholischen Ver-
en zahlen mußte. Wenn schließlich auch die häufige Verwendung ständnisses von Christentum im ökumenischen Dialog Konturen
v°n „Soter" für Christus Gnostisches signalisieren soll, so mag auch gewinnt" (24). Mit zwei Schritten, der theologiegeschichtlichen
^as stimmen, aber Origenes, der übrigens ebenfalls gern „Soter" Erschließung und einer systematischen Darstellung „einer Theologie
nutzt. hat das nicht empfunden. Das Verfahren ist unfehlbar: Wird der Heiligen in verschiedenen Perspektiven", wird die Aufgabe zu
Jedes Detail bei einem Gnostiker gnostisch gedeutet, ist das schwer zu meistern gesucht. Mit der Krise der Heiligenverehrung infolge Luthers
streiten. Einspruch, Verschärfung der Kritik mit Zwingiis und Calvins Position
Eragt man nach dem Ergebnis, zu dem Poffet kommt, dann ist Ori- und den Antworten darauf bis zum Trienter Konzil ist geschichtlich
genes stärker am Text orientiert, den er aber auch biblisch, vor allem eingesetzt; die Stellungnahme von M.Chemnitz beschließt den
m" Paulus, kommentiert, und er bindet das Christusgeschehen in die ersten Gang der Auseinandersetzung. Auf die Sicht der östlichen
AT herkommende Heilsgeschichte ein. Die Samariterin ist ihm orthodoxen Kirche wird knapp eingegangen (78-85). Mit der Ent-
le Häretikerin. die Sünderin. Herakleon ist freier gegenüber dem wicklung des Themas zur klassischen Kontroverslehre durch die
xt- ohne Sinn für das Historische, das er ontologisch deutet, das AT Gegenüberstellung Bellarmin/J. Gerhard verbindet M. „Schultheolo-
überwunden. Die Frau ist die Verlorene, die zur Gnosis kommt. gische Begriffserklärungen von religio, adoratio. veneratio" bei
'n Dualismus ist grundlegend. (Zurückhaltender möchte man gegen- F. Suärez und G. Väzquez. Von der Kontroverse bis zu ihrer Ab-
^ cr dem Urteil stehen, bei Origenes stünde Christus im Mittelpunkt. Schwächung in der Aufklärungstheologie Führt der Weg an dem über-
ei Herakleon die Frau.) Das alles ist nicht unbedingt neu, Poffet raschend konvergenten Dialog J. B. Bossuets mit Leibniz vorbei zum
gründet es in großer Breite mit vielen Wiederholungen, die durch neuen Aufbruch von Theologie der Heiligen bei J. S. Drey und
1CI encore». «une Ibis de plus», «de nouveau» u. ä. angezeigt sind. J. A. Möhler - und so später (aus der Ekklesiologie der Tübinger
en sonst kann sich P. auf eine Reihe illustrer Vorgänger berufen. Schule) auch zum Aufbruch bei J. H. Newman. Bei W. Löhe und
'ebis in die Gegenwart reicht. Vilmar tritt dem Bemühen, die Heiligen von einer erneuerten Frage
Doch kommt dabei nicht recht in den Blick, daß jede aktualisie- nach der Kirche her zu verstehen, ein lutherisches Pendant gegenüber.
rendc Rezeption auch (verändernde) Interpretation ist und daß es In dem zeitlichen Zusammenhang dieser Versuche des 19. Jh. geht M.
^Uen h'er in der Kirche Verschiedenes gibt. Wenn Herakleon den dann auf „Religionsgcschichtliche Reduktionen und die Verkümmernden
die Samariterin stehenläßt (Jon 4, 28). als ihre Empfängnis- rung der dogmatischen Hagiologie" (165-184) ein. Hegels. Burck-
■"eitschaft für das Leben und ihr Wissen um die Macht des Heilandes hards sowie E. Lucius' kultur- und religionsgeschichtliche Bewertun-
utet und sie den Krug bei ihm stehenläßt, um das lebendige Wasser gen des Katholizismus im Sinne des wiederkehrenden Polytheismus
^ emPfangen, und wenn Herakleon ihr Eilen zur Stadt als Gang in die werden zurückgewiesen, gestützt auf die umfassende Widerlegung
I e'1 deutet, der nun die Parusie Christi verkündet wird, dann ist es dieser historischen Argumentation, die der Bollandist H. Delehaye
e,cht fijr Origenes zu zeigen, daß das so nicht bei Johannes steht, und geführt hat. Allerdings behauptete sich bis weit ins 20. Jh. die Polemik
eicht Tür Poffet zu zeigen, was dahinter an Gnostischem steht von Hases und „die populäre Vorstellung vom katholischen Heiligen-
k - 69-74) Aber die Frage bleibt, ob dieselbe Auslegung nicht auch kult im evangelischen Kirchenvolk" (178). Erst im ökumenischen
1 einem orthodoxen Autor stehen könnte und inwieweit die Aus- Dialog zeigen sich Wege zu einem möglichen Konsens: an katholi-
BUng des Origenes, die Frau eile, ihren Mitbürgern Christus zu ver- scher Erneuerung aus zentralen Ideen bei K. Adam. P. Molinari wie
nden, und der abgesetzte Krug bedeute ihre frühere Überzeugung, im II. Vatikanischen Konzil; am Rückgriff auf lutherische Bekennt-
16 s'e abgelegt hat, da sie nun in einem besseren Gefäß schon den nisschriften und die Hagiologie der Brüder von Taize, an Konturen
lang des Wassers des Lebens empfangen hat (S. 213-215). „kirch- des nachkonziliaren Dialogs sowie an den lutherischen und reformier-
ner' ist. Die Kirchenväter mußten Grenzen ziehen, schon da es um ten Stellungnahmen dazu. Freilich notiert M. die „Symptome einer
Verschicdene Gemeinschaften ging. Sie haben sich dabei vor allem der Krise", z. B. „aus dem Wandel des Ideals" (204), der „Gleichgültig-
j>nostischen Hypostasenlehre bedient. Hier waren die Verhältnisse keit gegenüber den Toten" (2060 'und einer „mehr theologisch
ar. Doch die Hypostasenlchre scheint bei den Valentiniancrn keine geprägten subjektiven Erfahrung ... des schweigenden Gottes" (208).
* Zu große Rolle gespielt zu haben. Und es wäre ja doch auch denk- Dagegen überhaupt zur Anwendung von Bauelementen aus der Hl.

r- daß eine Auslegung nicht bekämpft wurde, weil man sie als Schrift und der Patristik gilt der „Blutzeuge" als „Märtyrer Christi"
^"ostisch empfand, sondern weil sie von einem Gnostiker stammte. in „Nachahmung Jesu". Ihn stellt M. als die „Grundfigur des christ-
^denfalls hat Poffet mehr Gnostisches bei Herakleon gefunden als liehen Heiligen" vor. In „der Idee der Communio/Koinonia" der
r'genes. Aus zeitlichem Abstand erscheinen Gegner immer einander alten Kirche (236-264) liege der Heilige sowohl „als Inbegriff christnaher
, als sie selbst glaubten. Die gleiche Problemstellung, das gleiche licher Anthropologie" (344), so aus K. Rahncr entwickelt (265-286).
8eistige Milieu („Alexandrien") wird wirksam. So hat man oft den wie als Schößling des „trinitarischen Ur-Mysteriums" - nach H. U. v.