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Ausgabe:

1987

Spalte:

915-917

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bayer, Oswald

Titel/Untertitel:

Schöpfung als Anrede 1987

Rezensent:

Kühn, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 12

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ist und die Opfergewalt von Christus ausgeht, die Dialogergebnisse
verstehen sie als effektives Gedächtnis und das kirchliche Lehramt als
sakramentales Opfer durch den Priester in persona Christi. Sieht
Trient den Priester so, daß seine Gewalt von Christus ausgeht, so daß
er ein Werkzeug und öffentlicher Diener der Kirche ist, so sehen die
Lehrgesprächspapiere ihn als Vorsitzenden der kirchlichen Feier,
Johannes Paul II. sieht ihn „in persona Christi" (wie übrigens, worauf
Rez. hinweisen möchte, die Konkordienformel auch: SD VII, 76)
usw. Die Verschiebungen werden anhand des Schemas recht deutlich.
P. meint (136, 161), daß sowohl die Dialogergebnisse als auch die
jüngsten Erklärungen des Lehramtes allerlei Versuche darstellen, die
tridentinische Lehre vom Meßopfer in den neuen kirchlichen Kontext
einzubauen. „Eine solche Interpretation ist ein Versuch, beides - die
Historizität und die Wahrheit des Dogmas - ernst zu nehmen. Vier
Aspekte des Dogmas haben daher aufmerksam betrachtet zu werden
in Beziehung zur Definition des Dogmas vom Opfercharakter der
Messe, nämlich: Dogma als Bedeutung (meaning), als Gottesdienst,
als historisch bedingte Ausdrucksweise und als historisch bedingter
Ausdruck der Forderungen (imperatives) des Glaubens. Die zumeist
ernst zu nehmenden Ergebnisse folgen so aus der Interpretation, so
daß für die katholische Kirche die Notwendigkeit besteht, die Rolle
des Priesters und die Sprache vom Opfer auf der einen Seite und die
Möglichkeit, dies in einem historischen Zusammenhang mit Trient zu
tun, wobei zu differenzieren ist, auf der anderen Seite." P. weiß, daß
„das Herz der Kontroverse des 16. Jahrhunderts und das Herz dertri-
dentinischen Verteidigung des katholischen Systems in der Praxis
liegt". Ihm ist deutlich, daß die Redeweise vom propitiatorischen
Opfer und die von der effektiven Repraesentation und Anamhesis
nicht miteinander harmonieren.

P. schließt seine Untersuchung mit der Feststellung (186-188), der
röm.-kath. Vorschlag im Gespräch mit den Lutheranern (als einzig
akzeptables Verständnis vom Opfer), daß die Kirche Christus opfert,
stehe nicht in Übereinstimmung mit dem, was das Tridentinum über
die Messe als Opfer zu sagen hat. Nur eine Untersuchung des traditionellen
Gebrauchs der Opfersprache seitens der Kirche könne darüber
entscheiden, ob der Vorschlag akzeptabel ist. P. will das in einer
anderen Studie tun; sie wird, das ist schon jetzt deutlich, nur ein Nein
ergeben.

Mag das Ergebnis viele enttäuschen und als ein Rückschlag im
ökumenischen Dialog erscheinen, solche Untersuchungen sind nötig,
weil sie das Gespräch mit der eigenen Lehrtradition führen. Die Überzeugung
, daß die Lehrunterschiede nicht (mehr) kirchentrennend
sind, wird eben nicht von allen Theologen (auf beiden Seiten jeweils)
geteilt. Nicht ein Überspielen der Gegensätze und Unterschiede ist geboten
, sondern ein ehrliches Bemühen umeinander. Freilich - und da
muß Rez. P. widersprechen - kann nicht nur eine Untersuchung des
traditionellen Sprachgebrauchs der Kirche über einen Vorschlag entscheiden
, sondern letztlich die Schriftgemäßheit. Und der luth. Theologe
wird nach wie vor bestreiten, daß die Redeweise vom euchari-
stischen Opfer als einem propitiatorischen Opfer, das wir, das die
Kirche opfert, schriftgemäß ist. Trotz „Das Herrenmahl" und die dort
ebenso wie in der Lima-Erklärung Eucharistie beigefügten Erklärungen
zum Opferbegriff bestehen noch Lehrunterschiede, die sich -
leider!! - noch immer als trennend erweisen. Das zeigt gerade P. mit
seiner Untersuchung.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

Systematische Theologie: Dogmatik

Bayer, Oswald: Schöpfung als Anrede. Zu einer Hermeneutik der
Schöpfung. Tübingen: Mohr 1986. X, 166 S. 8 Pb. DM 39,-.

Als gewichtigen Beitrag zu der heute fälligen und an vielen Stellen
einsetzenden Besinnung auf die Theologie der Schöpfung legt der

Tübinger Systematiker eine Sammlung von 8 Arbeiten aus den Jahren
1978-1985 vor (3 davon bisher noch nicht im Druck erschienen). Es
handelt sich um eine Arbeit zu J. G. Hamann (dessen „Aesthetica in -
nuce" von 1762 Vf. als bisher verkannten „klassischen Text der
Schöpfungslehre" zur Geltung bringen möchte, 8); um 4 Arbeiten zu
Luther (u. a. eine glänzende ausführliche Interpretation der Auslegung
des 1. Artikels im Kleinen Katechismus); um eine im besten
Sinne theologisch-erbauliche Besinnung auf P. Gerhardts Morgenlied
„Wach auf, mein Herz, und singe" (als auf einen „Primärtext des
Glaubens", dem systematische Theologie nachzudenken hat); sowie
um 2 systematische Arbeiten zum Zeit- bzw. Zukunftsbezug der
Schöpfung, die auch „12 Thesen zu einer Eschatologie" enthalten
(150ff). Eingeleitet wird die Sammlung durch ein einführendes Kapitel
, in welchem die das Ganze verbindenden und leitenden Gesichtspunkte
vorweg zusammengefaßt werden. Der Vf. legt damit, im
Unterschied etwa zu den schöpfungstheologischen Entwürfen von
D. Solle und J. Moltmann (vgl. ThLZ 112, 1987, 81 ff), eine v. a. an
Luther (und seiner Wirkungsgeschichte) orientierte Sicht der Schöpfung
vor, die in entscheidenden Zügen an sein Buch „Promissio" von
1971 anknüpft; eine knappe Zusammenfassung der Grundthese von
„Promissio" findet sich S. 37f.

Zwei zentrale Anliegen ziehen sich als roter Faden durch die Abhandlungen
hindurch und kommen bereits im einleitenden Kapitel
zur Sprache. Einmal soll die geschaffene Welt als Medium der Anrede
Gottes wiedererkannt und dadurch ein abstrakter, weltloser Personalismus
überwunden werden, wie ihn der Vf. bei Bultmann, Gogarten
u. a. beobachtet. Es muß jedoch auch, wie B. mit Recht unterstreicht,
der gewissermaßen gegenteilige Fehler vermieden werden, nämlich
ein „Immanentismus" im Sinne einer „spinozistischen. prozeßtheologischen
und systemtheoretischen Umformung der Schöpfung in
eine Natur, die sich selbst organisiert und auf ein offenes Ende hin
weitertreibt" (84, vgl. 95 u. ö.). „Zwischen Spinozismus und Personalismus
" (4), zwischen einem Schöpfer ohne Schöpfung und einer
Schöpfung ohne Schöpfer, zwischen einem „akosmistischen Personalismus
" und einem „apersonalen Kosmologismus" (97) will der Vf.
„Schöpfung als Anrede" Gottes neu zu bedenken geben und damit
zugleich den Hiatus zwischen „verstehender Geschichtswissenschaft
und erklärender Naturwissenschaft" überbrücken helfen (2).

Ein zweites Grundanliegen des Vf. besteht darin, im Blick auf die
Welt als Schöpfung „zwischen Heilsgegenwart Gottes und seiner
Weltgegenwart zu unterscheiden" (3, in Abgrenzung von K. Barths
„christologischem Konstruktivismus", vgl. auch 153). Luther. P. Gerhardt
, J. G. Hamann lehren uns in gleicher Weise, daß erst das Christuswort
göttlicher Zusage (promissio) die Welt als Gabe göttlicher
Liebe erschließt und zum Lob der Schöpfung, zum Staunen über die
Güte des Schöpfers ermächtigt. Schöpfung ist daher (nach Hamann)
„Rede an die Kreatur und durch die Kreatur" (9). Ohne den durch
Gottes zusagendes Wort erweckten Glauben bleibt die Welt nicht nui"
stumm, sondern verwirrend (19), bleibt Gott der gleicherweise ferne
und durch seine verzehrende Nähe grausame Gott (22. 71), treibt es
den Menschen zur Verwüstung oder zur Anbetung der Natur, und der
Mensch sieht sich gleichzeitig vor der Last, selbst eine Wende herbeizuführen
und sich damit vollständig zu übernehmen (24ff; I44f zum
Sorgen des Menschen). Unter dem Zusagewort der Gnade Gottes hingegen
erfährt der Mensch glaubend Gott in seiner Schöpfung als gütig
und barmherzig (87. 103), erfahrt er Schöpfung als „Geschichte wunderbarer
Errettung" (nach P.Gerhardt, I 19ff), wird „Begriff und
Sache der Rechtfertigung" in der Schöpfung sichtbar (105). Immer
wieder verweist der Vf. auf das Herrenmahl, in dem der Sinn der
Schöpfung als Gabe unter dem heilschaffenden, zusagenden Wort
Gottes in letzter Konkretion deutlich wird (lOOf, vgl. 29IT, 134 u. ö.).
Auch dies ist ein Motiv, das den Vf. bereits in früheren Arbeiten stark
bewegt hat. Durch die in diesem Sinne „zugesagte Welt" (in der Spannung
zwischen Gesetz und Evangelium, 61 vgl. 136) ist der Mensch
der Sorge enthoben, dem Chaos der Welt selbst einen Sinn abringen,
um ihr Heil besorgt sein zu müssen (61, 147;-rrtit impliziter Kritik an