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Ausgabe:

1987

Spalte:

70-71

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Visser 't Hooft, Willem Adolph

Titel/Untertitel:

Lehrer und Lehramt der Kirche 1987

Rezensent:

Krüger, Hanfried

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Theologische Literaturzeitung 1 12. Jahrgang 1987 Nr. 1

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Die evangelische Religionspädagogik verdiente für Jahrzehnte den
Vorwurf zu Recht, das Kind und den Jugendlichen im Rahmen ihrer
Bemühungen schlechtweg zu verleugnen und im Grunde ausschließlich
der ..Sache" ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Daran änderte sich
zuerst in den sechziger Jahren einiges. Die Vertreter des sog. „herme-
neutischen Religionsunterrichts", denen es um die Stiftung eines
Dialogs zwischen dem Kerygma und dem aktuellen Sclbstverständnis
der Adressaten mit dem Ziel eines wirklichen ..Verstehens" als Einverständnis
mit dem Evangelium zu tun war. fragten zumindest nach
den kognitiven Voraussetzungen des Verstehens. zuweilen auch nach
aktuellen Fragen von Kindern und Jugendlichen. Der problemorien-
tierte Religionsunterricht der siebziger Jahre achtete dann auch noch
auf das gesellschaftliche Umfeld der Schüler und versuchte die sozio-
kulturellen Voraussetzungen des Unterrichts ins Kalkül seiner Bemühungen
zu integrieren.

Seit einigen Jahren differenziert sich die Frage nach dem Schüler
weiter. Im Nachgang zum Forschungsansatz Jean Piagets und einiger
seiner Schüler wird so in der Rcligionspädagogik zunehmend gezielt
nach der Entwicklung des moralischen Urteils, des religiösen Urteils
und des kognitiven Bewußtseins gefragt, auch nach den „Stufen des
Glaubens". Bei anderen steht die Psychoanalyse mit ihren Aussagen
über die Religion im Mittelpunkt des Interesses. Nur so meint man
wirklich stufengemäß und sogar individualorientiert unterrichten zu
können. Unter den gegebenen Umständen verwundert es nicht, daß
interessierte Religionspädagogen zu einer Arbeitstagung mit dem
Thema „Religiöse Erziehung und Glaubensentwicklung" einladen
und die Ergebnisse des S mposiums auch dokumentieren. Das Ergebnis
liegt uns im zu besprechenden Buch vor. H. J. Fraas und H. G.
Heimbrock, beides Vertreter einer eher psycho-analytisch orientierten
Rcligionspädagogik, formulierten den Titel und man ist gespannt,
wie sie es mit der sich empirischer Arbeit verdankenden kognitiven
Rcligions- und Entwicklungspsychologic halten wollen, welche Anfragen
sie stellen und wo sie die Grenzen dieser Bemühungen sehen.

Wer mit solchen Fragen an die Lektüre des Readers herangeht, muß
allerdings bis zur Seite 85 warten, ehe er Auskunft erhält, denn in den
ersten Beiträgen von H. J. Fraas „Zur Dynamik von Glauben und Lernen
. ..", J. A. van der Ven „Theologische und lerntheoretischc
Bedingungen der Glaubcnscrlahrung" und D. Hutsebaut „Die Rolle
der Bezugspersonen bei der Vermittlung von Glauben" geht es höchstens
am Rande um Probleme der kognitiven Psychologie, schwerpunktmäßig
aber um das Problem des Verhältnisses von Glauben und
Lernen. H. J. Fraas warnt da, „sich angesichts der Komplexität des
Menschen und des multiplen Charakters der empirisch ZU erforschenden
Einzclaspcktc . . . auf einen Aspekt oder eine Forschungsmethode
" zu kaprizieren und sieht gerade darin eine wichtige Aufgabe
der Rcligionspädagogik. verschiedene Aspekte der empirischen Forschung
zu integrieren. Das hindert Fraas allerdings nicht, sich des
„einseitig" der Psychoanalyse verdankenden Begriffs der „Identität"
als Integrationsbcgriff zu bedienen. Die in diesem Zusammenhang
vorgebrachten Bedenken gegen kognitiv-strukturelle Entwicklungstheorien
(Entwicklung sei für sie nur „Reifung" und der Stufenbegriff
der vorliegenden Arbeiten sei unscharf) sind so zu wenig ausgeführt,
um einleuchtend zu sein. Auf keinen Fall aber kann Piagct als „Rci-
fungstheoretiker" abgehalftert werden.

Van der Ven empfiehlt für eine lerntheoretische Erschließung
Glaubens die Beachtung von sechs Aspekten: „Erfahrung", „kognitive
Struktur", ..Attribution", „attitudinalc Bereitschaft zur Attribution
", „affektive Selbstwahrnehmung" und „soziale Umgebung"
und zeigt dann, wie die verschiedenen individuellen, sozialen, kognitiven
, affektiven etc. Bedingungen sich verzahnen.

D. Hutsebaut zeigt auf eine für längere Zeit kaum beachtete Dimension
der Rcligionspädagogik. nämlich auf den Lehrer als persönlichen
Repräsentanten des Glaubens, der im Lchr-Lcrn-Prozcß ja
keine beweisbaren Tatsachen vermittelt, sondern eine Botschaft, die
erst dadurch zur Wirkung kommt, daß sie einer vertritt und als Icb-
barc Lebensmöglichkeit präsentiert.

Beide aus Holland stammenden Beiträge haben gemeinsam, daß sie
bestimmte Wissensbestände für die religiöse Erziehung als wichtig
betonen, ohne allerdings in der Information die einzige Aufgabe religiöser
Erziehung sehen zu wollen oder gar existentielle Momente zu
verdrängen.

Interessant und wichtig der Beitrag von D. Stoodt ..Kohlberg und
die christliche Erziehung in den USA am Beispiel von C. A. Dykstras
Dissertation von 1978" (85-98), der sich nicht direkt mit Kohlbcrgs
kognitiver Psychologie als vielmehr mit der christlichen Kritik an ihr
beschäftigt und dabei auf eine traditionelle kirchlich-christliche Wissenschaftsfeindlichkeit
stößt, die er aber leider nicht weiter beschreibt
und in Diskussion mit Kohlbcrg weiterverfolgt. Interessant für den
Leser wäre es gewesen, wenn Stoodt über die Dykstra zur Verfügung
stehenden Äußerungen Kohlbcrgs hinaus dessen neuere Entwicklung
dargestellt hätte. In einem Buch zur kognitiven Psychologie wäre das
nützlich gewesen, zumal man weiter nichts mehr über Kohlberg hört
im Buch.

Die letzte Gruppe von Beiträgen ist der Arbeit J. W. Fowlers, vor
allem seinem Hauptwerk „Stufen des Glaubens" gewidmet und dann
F. Oscrs Bemühungen um eine Entwicklung des religiösen Urteils. J.
van der Lans' „Kritische Bemerkungen zu Fowlers Modell der Glaubensentwicklung
" (103-1 19) sind, was die Darstellung der Stufentheorie
von Fowlcr anbetrifft, bestimmt angemessen und z. T. erhellend
, doch scheint es mir fraglich, ob man Fowlers Denken so einseitig
kognitivistisch zu sehen vermag, wie das Lans offensichtlich tut.
Zweifel an der Beurteilung der Stufenthcorie sind auch da angebracht,
wo Lans meint, sie sei nur für das Erwachsenenaltcr bedeutsam
(118).

Sorgfältiger und Fowler aufs Ganze gesehen auch eher gerecht werdend
sind die Ausführungen W. Neidhardts in seinem Aufsatz „Die
Glaubensstufen von James W. Fowler und die Bedürfnislage des Religionspädagogen
", obwohl auch hier nicht zu übersehen ist, daß
Fowler etwas einseitig als Kognitions-Psychologe verstanden wird,
wiewohl es auch für einen raschen Leser der Publikationen Fowlers
am Tage ist, daß er auch psychoanalytische Gedanklichkeit in seiner
Theorie repräsentiert. Und ist es eigentlich wahr, daß Fowler
Kirchenmitglieder auf niederer Stufe im Grunde abwertet? Wesentlich
scheint mir die Beobachtung Ncidhardts, daß die von Fowler
beschriebene Entwicklung des Glaubens gesellschaftlich-geschichtlich
bedingt ist. An dieser Stelle hat die kognitive Psychologie wirklich
zuweilen einen „blinden Fleck", weil sie soziologische Fragestellungen
nur marginal in ihre Arbeit aufnehmen konnte oder auch
wollte.

Das abschließende Referat H. G. Heimbrocks stellt zu Recht fest,
daß die deutsche Religionspädagogik in puncto Entwicklungspsychologie
einen deutlichen Nachholbedarf hat. Und es ist wahr, daß wir
das kognitive Lernen oft nur am Rande mitbedachten im Rahmen
religiöser Lernprozesse. An dieser Stelle hat F. Oscr in den letzten
Jahren neue Impulse gegeben, die Heimbrock allerdings etwas mißverständlich
nur im Rahmen einer Dcnkpsychologic zu würdigen
weiß, wiewohl Denken in den kognitiv-strukturellen Theorien auch
Urteilsstrukturen und Verstehensstrukturen bearbeitet, die im kognitiv
Unbewußten ihren Grund besitzen. Und ob Oscr mit seiner Arbeit
so etwas wie eine „bildungsteehnologische Manipulation" im Sinn
hat? Das erscheint mir eher unwahrscheinlich.

Kurzum, ein erster Versuch der deutschen Religionspädagogik, sich
auf einem neuen Feld zu orientieren. Daß es dabei oft zu raschen
Urteilen kommt, sollte nicht dazu veranlassen, das Buch in seinem
Wert zu unterschätzen.

Ikrn Klaus Wegenasl

Ökumenik. Allgemeines

issir't Hooft, Willem A.: Lehrer und Lehramt der Kirche. Aus dem

Engl, von H. Voigt. Frankfurt/M.: Evang. Vcrlagswcrk; Frankfurt
/M.: Knecht 1986. 159 S.8-. Kart.sfr 18.-.