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Ausgabe:

1987

Spalte:

898-899

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Die Entstehung der Kirche 1987

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 12

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schensohncs" direkt die Rede ist. vor allem in 48.6 (S. I 5911). Nur: Ist
der MS der Bilderreden (athHen 37-71) einfach mit „dem" Messias
gleichzusetzen? Sch. tut das ohne jede Frage (S. 159 u. passim). Aber
der MS ist ja eine himmlische Gestalt, deren cschatologische Wirksamkeit
(als Weltenrichter) eine andere ist als die des erhofften Messias
Die einzige Möglichkeil, den MS der Bilderreden mit einer
irdischen Gestalt in Zusammenhang zu bringen, nämlich die Erhöhung
Henochs zum MS (athHen 70-71 - ein Anhang?), diskutiert
Sch. nicht. Er betont lediglich - in engem Anschluß an J. Thcisohn.
Derauservvähltc Richter. 1975, S. I I9f-die enge Beziehung zwischen
athHen 48 und (Dt.-)Jes49 und somit zwischen dem MS und dem
..Gottesknecht". Auch wenn die Bilderreden des athHen etwa in neu-
leslamcntliche Zeit gehören (in dieser umstrittenen Frage stimme ich
Sch. zu), so läßt sich daraus nicht die Auffassung „der Synagoge" im
Sinne Billerbecks herleiten; wir wissen im Grunde nichts darüber, wie
groß bzw. klein die Gruppe derer war, die hinter einem solchen Text
stand (selbst in Qumran ist gerade von den Bilderreden des athHen
bekanntlich keine Spur gefunden worden). So bleibt der MS von
athHen 37-71 - wenn man terminologisch großzügig sein will - eine
Variante jüdischer messianischer Hoffnung in neutestamentlicher
Zeit, sicher nicht die vorherrschende.

In Teil III (S. 207-303) wendet sich Sch. der rabbinischen Überlieferung
von den Dingen, die vor der Weltschöpfung bei Gott existierten
, zu, Zunächst geht es um die Präexistenz der Tora. Mit dem Rabbi
Akiba zugeschriebenen Wort aus Avot 3.14 über die Tora als Werkzeug
Gottes bei der Schöpfung und mit weiteren Zitaten belegt Sch. die
bekannte Vorstellung von der Tora als erste rschaffcne Größe: er sieht
darin - sicher zu Recht - eine Übernahme und Transformation der
älteren Aussage über die Weisheit (Spr 8,30), wie sie ja schon in Sir 24
vorausgesetzt wird. Sodann folgen der Lehrsatz über die von Gott
geliebtesten Dinge und seine midraschartige Auslegung in verschiedenen
Texten, wobei es um Tora, Heiligtum und Land Israel geht,
oder - in einer anderen Tradition - um Tora und Volk Israel. Schließlich
lührt Sch. (in mühsamer Kleinarbeit) über 30 Texte zu dem in
verschiedenen Variationen vorliegenden Midrasch von den Dingen,
die vor der Welt erschaffen wurden, vor. Die Einzelheiten können hier
nicht dargestellt werden; im allgemeinen geht es um diese sieben
Dinge: Tora. Umkehr, Garten Eden, Gehinnom. Thron der Herrlichkeit
, Heiligtum und Name des Messias (so bPcs 54a), manchmal in
anderer Anordnung und gelegentlich um einige Dinge vermindert
oder vermehrt. Wichtig ist Tür die Untersuchung natürlich vor allem
die Tora und der Name des Messias. Dabei ist nicht zu übersehen, daß
Sch. von Anfang an (S. 233) die letztere Wendung so schreibt: „(Name
des) Messias", obwohl „Name des . .." in fast allen Texten gesagt und
nur zu diesem einen der sieben „Dinge" gestellt wird. Sch. zielt darauf,
im Unterschied zum üblichen Verständnisse Wendung „Name des
Messias" im Sinne von „der Messias in Person" zu interpretieren und
damit dessen personale Präexistenz in diesen rabbinischen Texten
ausgesagt zu linden. Ich glaube nicht, daß das angeht; denn (a) wird
eben nur dieser einen Größe - im Unterschied zu allen anderen - die
Wendung „Name des . . ." beigegeben, und (b) rangiert z. B. auch die
„Umkehr" unter den sieben Dingen, die - wie auch Sch. feststellt
(S. 285) - „von Gott her gesehen . . . nur die den Menschen eingerichtete
Möglichkeit . . . Vergebung zu erlangen" ist (ebd., vgl. nochmals
S. 299); weder Umkehr noch Vergebung werden hier personifiziert
und als Wesenheiten mit Präexistenz ausgestattet. So wird es m. E.
auch hinsichtlich des „Namens des Messias" bei der Auffassung bleiben
müssen, daß Gott eben diesen „Namen" von Anbeginn weiß (den
Messias also gewissermaßen „vorgeplant" hat, wie die Umkehr) und
sich vorbehält, den Messias zu gegebener Zeit irdisch auftreten zu lassen
(vgl. etwa A. Goldberg, zitiert auf S. 234). Die personale Präcxi-
stenz des Messias vor aller Welt wird man in diesen Texten nicht ausgesagt
finden können. Anders steht es wohl bei den Texten über den
„Messias als präexistentes Licht und Geist Gottes vor der Schöpfung
", die Sch. auf S. 289-298 vorführt. Aber das sind relativ wenige
Texte, über deren zeitliche Ansetzung Sch. zunächst nichts sagt. Im

„Rückblick" gibt er dann aber zu erkennen, daß auch er die rabbinischen
Belege erst für „eine spätere Zeit" als gegeben ansieht und daß
im Grunde die Bcleglasl für das I. Jh. von äthHcn 48 allein getragen
werden muß(S. 307f).

„Rückblick und Ausblick" heißt der IV. Teil (S. 305-344; daran
schließen sich ein umfangreiches Literaturverzeichnis, S. 345-394,
sowie ein Stellen- und ein Namen- und Sachregister, S. 395-410),
„Ausblick" natürlich insbesondere auf die urchristliche Präexistenz-
Christologie. Es geht dem Vf. nicht um eine „Herleitung" der urchristlichen
Christologie von bestimmten (apokalyptischen oder rabbinischen
) Aussagen über die Präexistenz des (Namens des) Messias-eine
solche These wäre schon aus Gründen der Chronologie zu bestreiten.
Vielmehr geht es ihm darum, zu zeigen, daß etwa zcitgleich im Judentum
und im Urchristentum sich die Anschauung von der Präexistenz,
des Messias ausbildete und daß in beiden Fällen die (ältere) Vorstellung
von der Präexistenz der Weisheit bzw. der Tora vor aller Schöpfung
im Hintergrund steht (als „Kristallisationspunkt", so S. 309). So
richtet sich der „Ausblick" zunächst relativ kurz auf die weisheitlichen
Worte innerhalb der Jesusüberlieferung, speziell in der Redcn-
qucllc Q (Lk 11,49ff und 13,340, unter ausdrücklicher Zurückweisung
der Ansicht, es liege hier bereits eine Identifikation Jesu mit der
(präexistenten) Weisheit vor (S. 309-314); Jesus ist eher als eschatolo-
gischer Bote der Weisheit gesehen. Gewiß liegen hier aber „Ansätze"
für die weitere Entwicklung (S. 314). Bei Paulus ist die Anschauung
von der Präexistenz der Weisheit ausdrücklich belegt (I Kor 2.70. und
sie steht auch im Hintergrund der Aussagen von der Schöpfungsmittlerschaft
Christi und der Sendungsaussagen (etwa Gal 4,4); das ist in
neuerer Zeit ja allgemein anerkannt (Sch. verweist m. R. auf die
Arbeiten von E. Schweizer). Schließlich behandelt Sch. kurz die beiden
im Corpus Paulinum vorliegenden Christushymnen Phil 2.6-11
und Kol 1, 15-20. Zu ersterem benennt er Sir 24 als Strukturparallcle
(S. 330) und äthHen 48.1 -7 sowie TgMicha 5.1 als Sachparallele hinsichtlich
der Erhöhungsaussage (S. 334). Noch eindeutiger sind die
Präexistenzaussagen in Kol 1,15-20, die eine christliche Neuschöpfung
aus verschiedenen Motiven der jüdischen Aussagen über die
präexistentc Sophia darstellen (die Möglichkeit einer direkten Transformation
eines jüdischen Liedes auf die Weisheit wird dagegen abgelehnt
, S. 341, sicher zu Recht).

Das Verdienst der Arbeit besteht zum einen in der mühevollen
Zusammenstellung des rabbinischen Materials zu den Aussagen über
die Existenz bestimmter Dinge vor der Schöpfung (Teil III). Zum
anderen - und das sollte durch die angedeutete Kritik an einzelnen
Argumentationsgängen nicht unterminiert werden - hat Sch. mit seiner
Arbeit nochmals die Auffassung unterbaut, daß das Urchristentum
für die Ausformung seiner Christologie keiner Anleihen bei
anderen Religionen (z. B. der Gnosis) bedurfte, sondern an jüdische
Traditionen anknüpfen konnte, die es selbständig auf den Messias
Jesus übertrug. Dabei bleibt als urchristliche Eigenaussage, die durch
nichts vorbereitet war, die Übertragung jener Attribute der präkosmischen
Weisheit auf einen Menschen, der unlängst gelebt hatte und
am Kreuz gestorben war; nur unter Voraussetzung des Osterglaubens
ist dieser Vorgang überhaupt verständlich. Und es bleibt nach wie vor
erstaunlich, daß sich dieser Prozeß im Urchristentum so schnell vollzog
, daß er schon für Paulus eine selbstverständliche Voraussetzung
darstellte.

Jena/Naumburg Nikolaus Walter

Kirchengeschichte: Alte Kirche

Schwarz. Hans: Kurs: Die christliche Kirche. Bd. I: Die Entstehung
der Kirche. Göttingen-Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1986.
135 S. 8°. DM 14,80.

Der „Kurs: Die christliche Kirche" will einer breiteren, kirchlich
interessierten, aber nicht stark engagierten Öffentlichkeit zu einem