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Ausgabe:

1987

Spalte:

896-898

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schimanowski, Gottfried

Titel/Untertitel:

Weisheit und Messias 1987

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Seite 1, Seite 2

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895 Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 12

ebenfalls mehrfach eingeht - ist Bultmanns Auslegung - entgegen N.s
Unterschätzung - nur im Horizont der geistesgeschichtlich und wissenschaftsgeschichtlich
nachweisbaren Mythenerforschung seit den
Anfangen der historisch-kritischen Forschung zu verstehen, und d. h.
im Rahmen jener Geschichte der Hermeneutik, deren Weg er selbst
implizit und explizit in seinem Gesamtwerk nachgezeichnet, aufgearbeitet
und in unserem Jh. mitgeprä'gt hat. Das zeigt seine kritische
Verbindung zur „Religionsgeschichtlichen Schule", worauf N. kaum
zu sprechen kommt. „Im Wechsel theologischer Paradigmen" ist die
wissenschafts- und theologicgcschichtliche Basis jener Mythenerfor-
schung in den Blick zu nehmen, die für Bultmann selbst von entscheidender
Bedeutung war. Struktur und Analyse jener Hauptwerke, die
Bultmann historisch-kritisch und darin für seine Kommentierung des
Johannesevangeliums hermeneutisch auswertete, sind in vorliegender
Untersuchung nicht berücksichtigt. Gerade die von diesen Werken -
etwa den einschlägigen Untersuchungen von W. Bousset, W. Wrede,
W. Baldensperger, R. Reitzenstein - auszuziehenden Linien2 zu Bultmanns
Kommentar lassen es dann aber fraglich werden, diesen Kommentar
für den Strukturalismus im Sinne eines modifizierten Modells
von Levi-Strauss zu vereinnahmen. „Gibt" „es" für N. aufgrund
seiner vom Strukturalismus geprägten Analyse „zur historischen
Methode' der Theologie eine Alternative, die nicht zur .dogmatischen
Methode", zum spekulativen Verfahren zurückführt" (S. 260), so ist
für Bultmann in der historisch-kritischen Exegese das Ganze exegetischer
Arbeit, historische und systematische Implikationen einschließend
und einander zuordnend beschlossen. Er bedarf für Mythenerforschung
und Exegese dieser Alternative nicht. Bultmanns hermeneuti-
scher Ansatz schließt sie vielmehr aus. Deshalb läßt sich auch Bultmanns
existentiale Interpretation, die von N. noch zu wenig differenziert
gegenüber Heideggers sich unterscheidender wie zustimmender
Position im Werk und in der Biographie Bultmanns herausgearbeitet
wird, ebenfalls nicht im Zusammenhang strukturaler Analyse verorten.
Es ist nicht zu erkennen, daß die strukturale Analyse, wie sie von N. entfaltet
wird, wirklich eine vertiefende Parallele zu Bultmanns Kommentar
ist und durch sie dieser Kommentar weiterführend interpretiert wird.
Es bleibt trotz vieler bedenkenswerter Hinweise in N.s Untersuchung
fraglich, ob die strukturale Analyse im Ansatz wie in der vorgetragenen
modifizierten Form hermeneutische Implikationen in sich birgt und,
falls dies zutreffen sollte, ob diese überhaupt der geistesgeschichtlich
orientierten Hermeneutik vergleichbar sind.

N.s scharfsinnige Untersuchung bleibt letztlich im Hinblick auf
Bultmann und damit auf das gewählte „Paradigma" Konstruktion.
Bultmann hat gelegentlich von der Notwendigkeit gesprochen, man
müsse - je und dann - einen Autor besser verstehen, als er sich selbst
verstanden habe1, doch im vorliegenden Falle ist für Bultmanns
geistes- und wissenschaftsgeschichtlich nachweisbare Interpretation
in ihrer exegetisch-hermeneutischen Relevanz zu entscheiden. Dort
haben Mythos und „Entmythologisierung" ihren sachgemäß aufeinander
bezogenen, in historisch-kritischer Auslegung verankerten Ort
und zielgerichteten Weg. Dies hat der Interpret Bultmann historisch
und theologisch lebenslang eindeutig in der Vielfältigkeit der den
Menschen existentiell treffenden und darin auch den Mythos interpretierenden
Botschaft bedacht, und dies liegt als Faktum der neueren
Theologiegeschichte und Hermeneutik vor. Aber wie Bultmann stets
für die Unabgeschlossenheit aller theologischen Arbeit eingetreten ist,
so sind neue Versuche, sein Werk vertiefend zu verstehen, ausdrücklich
zu begrüßen. In diesem Sinne ist N.s Dissertation eine wahrhaft
nicht alltägliche Untersuchung, die Neues wagt. Aber auch sie
bleibt am Werk des selbst gewählten „Gegenstandes" und somit am
Marburger Altmeister zu messen. In einem - für N. vielleicht nebensächlichen
- Punkt ist Bultmanns Widerspruch in jedem Fall zu konstatieren
: Für ihn galt als Maxime, auch komplizierte und schwierigste
Sachverhalte in einfache, klare, nicht in Fachausdrücken schwelgende
Sprache umzusetzen. Hierin ist vorliegende Dissertation erheblich
verbesserungsfähig4, die als solche - bei allen notwendigen kritischen
Anmerkungen in der konzipierten Konstruktion und Kombina-

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tion von strukturaler Analyse und Hermeneutik und darin ihrem
engagierten Bemühen. Bultmanns Johanneskommentar in unsere Zeil
hinein zu interpretieren, eine denkerische Leistung von Format darstellt
.

Erlangen Otto Merk

' C. Colpc, Die religionsgeschichtliche Schule. Darstellung und Kritik ihres
Bildes vom gnustischen Erlösermythus, FRI.ANT 7S. Göttingen 1961. bes.
S. 171 ff.

: Vgl. z. B. W. Bousset. Hauptprobleme dcrGnosis. FRLANT 10. Göttingen
1907: ders.. Kyiios ( hristos. Geschichte des Christusglaubcns von den Anlangen
des Christentums bis Ircnacus, FRLANT 21. Göttingen (1913)21921; W.
Wrede, Charakter und Tendenz des Johannesevangcliums, in: ders.. Vorträge
und Studien, Tübingen 1907, S. 178-231; W. Baldensperger, Der Prolog des
vierten Evangeliums. Sein polemisch-apologetischer Zweck, Freiburg 1898; R.
Reitzenstein. Die hellenistischen Mysterienreligionen nach ihren Grundgedanken
und Wirkungen, Leipzig-Berlin (1910) '1927; ders.. Das iranische Erlösungsmysterium
. Religionsgeschichtliche Untersuchungen, Bonn 1921; ders..
Gedanken zur Entwicklung des Erlöserglaubcns. HZ 126. 1922, S. 1-57; ders.,
Das mandä'ische Buch des Herrn der Größe und die Evangelien Überlieferung,
SHAW 1919. 12, Heidelberg 1919.

' Z. B. R. Bultmann. Glauben und Verstehen 1. Tübingen (1933) '1961.
S. 63.

4 N.s Literaturverzeichnis weist leider Mängel auf. Erstaunlicherweise ist
unter den dort angeführten Veröffentlichungen Bultmanns nicht der Artikel
„Johannesevangelium", RGG', Bd. III. 1959,Sp. 840-850zu finden.

Schimanowski, Gottfried: Weisheit und Messias. Die jüdischen Voraussetzungen
der urchristlichen Präexistenzchristologic. Tübingen:
Mohr 1985. XIII. 410 S. gr. 8* = WUNT 2. Reihe. 17. Kart.
DM 78,-.

G. Schimanowski legt hier die überarbeitete Fassung seiner Tübinger
Dissertation von 1981 (Präexistenz und Christologic, vgl. Autorreferat
ThLZ 107, 1982, 318) vor. tür die er die entscheidenden
Impulse M. Hcngcl, H. Gese und K. Haacker verdankt.

Der Teil I, zur Vorstellung von der Präexistenz der Weisheit in der
jüdischen Überlieferung (S. 13-106), bringt nichts grundsätzlich
Neues; es werden die in diesen Zusammenhang gehörigen Texte
Ijob 28, Spr8, Sir (1 und) 24 und Bar 3f sowie für den Bereich der
„Alexandrinischen Weisheitstradition" (S. 69ff) Aristobulos (Frg. 5).
SapSal 7,22 ff (und 9,1-18) sowie Philon, Ebr. 30f und Virt 62, ausgewertet
. Dazu kommen Aussagen über die Weisheit bei „den Apoka-
lyptikern", im wesentlichen in den Bilderreden des äth. Hcnoch-
buchs. Hier geht Seh. wohl etwas schnell voran, wenn er die Aussage,
dem Menschensohn (=MS) sei der „Geist der Weisheit" gegeben
(äthHen 49,3). so wiedergibt: „Weisheit und himmlischer Menschcn-
sohn/Messias werden ... so eng miteinander verschmolzen (!), daß
der Messias hier zu einer Gestalt wird, die . . . von Uranfang an in den
himmlischen Bereich . . . gehört" (S. 103). „Geist der Weisheit" ist an
der Stelle nur eine unter vier Gaben. Es müßte dann also das „Verschmelzen
" (= Identifizieren?) auf alle vier gleichmäßig bezogen werden
können - das ist aber nicht möglich. Jedenfalls bleibtauch für Sch.
das Fazit (S. 103), daß „von der präexistenten Weisheit in den apokalyptischen
Texten nur am Rande die Rede" ist (am ehesten noch in
äthHen 42).

Die entscheidende Weichenstellung für die weitere Untersuchung
erfolgt in Teil II (S. 107-205); bestritten wird die einst (1905/07) von
P. Billerbeck begründete These, daß „die Synagoge" die Anschauung
von der Präexistenz des Messias nicht gekannt habe. Sch. prüft dafür
die alttestamentlichcn Texte aus Micha 5, Ps 110 und Ps 72 mit ihren
Übersetzungen (LXX, Targum. Peschitta), mit dem Ergebnis, daß sie
im wesentlichen nicht von einer Präexistenz des Messias reden, bis auf
die Targume zu Micha 5 und Sach 4,7 sowie die (christliche?)
Peschitta zu Ps 110, ferner Zitate aus Ps 110 bei Justin. Für die vorchristliche
Zeit läßt sich also hier nichts Festes ausmachen. Anders
steht es aber mit äthHen 48, wo von einer Präexistenz des „Men-