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Ausgabe:

1987

Spalte:

891-892

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Tuckett, Christopher M.

Titel/Untertitel:

Reading the New Testament 1987

Rezensent:

Schnelle, Udo

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Seite 1

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891

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 12

892

Wilcke. Hans-Alwin: Das Arbeiten mit neutestamentlichen Texten.

Eine Einführung in die exegetischen Methoden. Essen: Die blaue
Eule 1987. 1 12 S. 8° = ABC des Neuen Testaments (ABC-N). 2.
DM 19.80.

Tuckett, Christopher: Readingthe New Testament. Methods of Interpretation
. London: SPCK 1987. VII, 200 S. 8'. L 6.95.

Das Methodenbuch von H. A. Wilcke ist in erster Linie für Studenten
der Rcligionspädagogik gedacht, die nicht über Kenntnisse der
alten Sprache verfügen. Aul" eine kurze Darstellung der geschichts-
philosophischen Voraussetzungen der historisch-kritischen Methode
folgt die Behandlung der Methodenschritte Textkritik. Literarkritik.
Formkritik, Übcrlieferungskritik, Traditionskritik, Sach- und Begriffskritik
sowie Redaktionskritik. Grundlagen, Probleme und
Methoden der Textkritik werden verständlich dargeboten, allerdings
findet die Synopse von Huck-Grccven keine Berücksichtigung. In der
Literarkritik dienen als Einstieg die litcrarkritischen Probleme der
Paulusbriefe (Phil 3,1; 1 Kor 15.221; Rom l6;2Kor). Sodann werden
die Spannungen in Joh 4-7; 13-17 erörtert, wobei der Vf. für Joh 4-7
mit Blattvertauschungen rechnet. Eine sehr problematische Annahme
, die zuletzt von E. Haenchen (Das Johannesevangelium.
Tübingen 1980, 48-57) begründet zurückgewiesen wurde. Nach weiteren
Beispielen aus dem Johanncscvangelium und der Briefliteratur
wird die Zweiquellenthcorie nur sehr kurz und schematisch erörtert.
In der Formgeschichte verzichtet der Vf. auf den Gattungsbegriff, den
er für die Makroeinhciten Evangelium, Apg. Apk und Briefe reserviert
. Bei der Bestimmung der Formen und ihrem .Sitz im Leben'
übernimmt der Vf. die Nomenklatur von R. Bultmann. Im weiteren
wird zwischen Überliefcrungskritik. Traditionskritik sowie Sach- und
Begriffskritik unterschieden, um die Phase der Tcxtwerdung zwischen
Form- und Redaktionskritik methodisch zu erfassen. Dabei überschneiden
sich die einzelnen methodischen Schritte (die Traditionskritik
ist praktisch identisch mit der Sach- und BcgrilTskritik). und es
wird jene Unsicherheit und Unklarheit sichtbar, die auch in anderen
Methodenbüchern herrscht. Um hier methodische Klarheit zu erreichen
, sollte m. E. auf den der atl. Exegese entlehnten Begriff der
„Überlicferungsgeschichte" verzichtet werden und die ,,Traditionsgeschichte
" als Methodenschritt nur dann Anwendung finden, wenn
ein Text in seiner mündlichen Phase und/oder in schriftlichen Vorformen
auf vorredaktioneller Ebene erkennbar einen Wachstumsund
Wandlungsprozcß durchlaufen hat. Die Traditionsgeschichte
bezöge sich dann streng auf den literarisch fixierbaren Werdegang
eines Textes auf vorrcdaktioncller Ebene, während der religionsgc-
schichtlichc Vergleich (hier der Überlicferungsgeschichte subsumiert)
und die Begriffs- und Motivanalyse die vorstellungsmäßige Beeinflussung
eines Textes zum Gegenstand hätten. Als letzten methodischen
Schritt behandelt der Vf. zutreffend die Redaktionskritik. Den Abschluß
bilden eine kurze Darstellung der Durchführung einer Exegese
und Literaturhinweise. Positiv ist festzuhalten, daß die vom Vf. angestrebte
Elcmcntarisicrung der Grundsachverhaltc historisch-kritischer
Exegese als geglückt angesehen werden kann. Es ist gelungen, die
einzelnen Methodenschritte an geeigneten Beispielen zu verdeutlichen
.

Auch das Melhodenbuch von C. Tuckett ist für Studienanfänger
verfaßt worden; es setzt keine griechischen Sprachkcnnlnissc voraus.
Nach einer kurzen Einleitung behandelt der Vf. zunächst die Kanons-
problcmatik. Erstellt summarisch die historischen und theologischen
Probleme der Kanonsbildung dar und reflektiert die Bedeutung des
Kanons lürdas Verstehen des Neuen Testaments. Ein erwägenswerter
Einstieg in die ntl. Exegese! Es folgt dann eine Darstellung der textkritischen
(irundprobleme. in derdic Theorien von Wcstcott-Hort einen
sehr breiten Raum einnehmen. Nur einmal wird Ncstle-Aland"'' erwähnt
! Als textkritischer Übungstext dient Mk 3.1-6. ein Abschnitt,
an dem auch alle anderen Methoden demonstriert werden. An die
Textkritik schließen sich zwei Kapitel an. in denen allgemeine Probleme
der Einleitungswissenschaft erörtert werden (z. B. Datierung

und Verfasserschaft einzelner Schriften. Pseudepigraphie). Unter dem
Stichwort "Genre" wird dann die Intcrdependenz von Textlypus und
Textintention aufgezeigt. In der Quellenkritik steht die Darstellung
der Zweiquellenthcorie im Mittelpunkt. Darüber hinaus werden Hiera
rkritisehe Probleme der Paulusbricfe und des Johannesevangeliums
behandelt. Innerhalb der Formgcschichtc stellt der Vf. die Modelle
von R. Bultmann. M. Dibelius und V. Taylor vor. Erschließt die Geschichte
eines Textes auf vorredaktioneller Ebene in die fbrmge-
schichtliche Analyse mit ein. unterscheidet also nicht zwischen Formund
Traditionsgeschichtc. Die mit der klassischen Formgeschichte
einhergehende historische Skepsis wird dabei nicht geteilt. Im Abschnitt
"Redaetion Criticism" werden zunächst Geschichte und
Methoden der Redaktionsgeschiehte kurz vorgestellt. Zu Recht wendet
der Vf. dann gegen ältere redaktionsgeschichtliche Untersuchungen
ein, die Erhebung der redaktionellen Tätigkeit eines Evangelisten
sei nicht einfach identisch mit der Bestimmung seiner Theologie. Das
Werk eines Evangelisten als Ganzes muß Gegenstand der Exegese
sein. Redaktionsgeschichte "isonly possiblc by looking at the texl of
the Gospel as a wholc and seeing how individual features relate to
each other within the wholc narrative" (S. 124). Im Anschluß an die
.klassischen Methoden' werden vom Vf. ntl. Soziologie, Strukturalismus
sowie weitere neuere Methodenansätze (z. B. Lilerary Criticism)
durchaus kritisch dargestellt. In einem abschließenden Kapitel wird
noch einmal die grundlegende Bedeutung historisch-kritischer Bibelexegese
betont, speziell im Gegenüber zu Methodenansätzen, die vorgeben
, an einem historischen Verständnis der Texte nicht interessiert
zu sein. Das Methodenbuch von C. Tuckett ist in einem gefälligen Stil
geschrieben, es ist naturgemäß zuallererst auf die englische Studiensituation
ausgerichtet, worin sich sein Wert aber nicht erschöpft.

Beide Mcthodcnbüchcr sind für Studienanfänger der Rcligionspädagogik
und der Theologie ohne griechische Sprachkenntnisse und
interessierte Laien geeignet. Sic dokumentieren den breiten Konsens
über die Text-, Quellen-, Form- und Redaktionskritik als grundlegende
Methode historisch-kritischer Exegese. Zugleich verdeutlichen
sie. daß nach wie vor eine große methodische Unsicherheil in
der Bestimmung der vorrcdaktionellcn Wachstums- und Wandlungsphase
eines Textes besteht. Hier bieten sich m. E. zwei ernsthafte
Möglichkeiten an: I. Weil die Formgcschichtc nicht nur die Form,
sondern auch die Geschichte eines Textes zum Gegenstand hat. kann
sie natürlicherweise Textwachstum und Textwandlungen mit einschließen
. 2. Es kann zwischen Form- und Traditionsgeschichte getrennt
werden, um so den literarischen Werdeprozeß eines Textes auf
vorrcdaktioncller Ebene methodisch umfassender und genauer zu
erfassen.

Erlangen Udo Schnelle

Nethöfel. Wolfgang: Strukturen existentialer Interpretation. Bultmanns
Johanneskommentar im Wechsel theologischer Paradigmen
. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1983. 273 S. m. Skizzen
. I Falttaf.gr. 8 . Karl. DM 68.-.

...Mir' ist die Möglichkeit gegeben, mir die im Mythos begegnende
Eigentlichkeit als Evangelium zu eigen zu machen, weil die mir am
Herzen liegende strukturale Analyse den Weg gezeigt hat zu Bult-
manns Konzeption existentialer Interpretation, die im Johanneskommentar
in einzigartiger Weise verwirklicht ist. Dessen auf .mich' zielende
Botschaft lautet folglich, daß Evangelium und Wissenschaft,
wissenschaftliche und gläubige Existenz vereinbar sind" (S. 236).
Diese auch persönlich sympathische Feststellung ruht auf der vorangegangenen
Sachentscheidung: ..Das abgeleitete Verhältnis -
F'x(b): I a-l(y)-(das die mythische .Lösung' des Ausgangsproblems
enthält) spart .mich' und die Eigentlichkeit zunächst aus und stellt
zusammen: Buttmanns Zeugnis mit der strukturalen Mythenanalyse.
Auch dies ist nicht nur formal-semantisch kombinier- und lesbar Es
ist sogar höchst erhellend, diese Kombination als Sli'ukturbolschalt