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Ausgabe:

1987

Spalte:

888-889

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Neusner, Jacob

Titel/Untertitel:

Judaism in the matrix of Christianity 1987

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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887

Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 12

888

diesem Buch spielt diese Methode eine Rolle, wie überhaupt die
grundsätzliche Bereitschaft, frühjüdischc Auslegungsmethoden als für
das Textverständnis entscheidend zu akzeptieren (verbunden mit
Skepsis gegenüber vielen neuzeitlichen Gesichtspunkten, vor allem
Ablehnung der Literarkritik; ausgelegt wird jeweils der Endtext, vgl.
25).

Der eigentliche Inhalt wird erst durch die Unterüberschrift angedeutet
: es handelt sich um eine - aus einer Vorlesung hervorgegangene
- Auslegung ausgewählter Abschnitte aus den Büchern Gen und Ex.
Der erste Teil: „Der göttliche Sprachvorgang2 in der Weltschöpfung.
Urstandstheologie" (21-117) behandelt Gen 1,1-2,3 (23-58);
Gen 2.4-3,21 (59-101) und Gen 6.9-9.17 (102-117). Der zweite
Teil: „Der göttliche Sprachvorgang in der Geschichte. Bundestheologie
" (119-238) deutet Gen 15,1-21 (129-144); Gen 17,1-27
(145-162); Ex 3,1-22 (165-182); Ex 19,1-25 (183-186); Ex 19,3-20
(188-196); Ex 20,2-17 (197-210); Ex 24,1 -18 (21 1-218); Ex 32-33
(219-222); Ex 34,12-28 (223-231) und Ex 34,29-35 (232-236).

Schon diese Hauptgliedcrung verrät, daß der Vf. in der Tat eine
theologische Absicht verfolgt: unter dem Stichwort „Sprache" und
durch das Herausarbeiten von Strukturanalogien zwischen Urgeschichte
(„Urständ") und der unter das Signum „Bund" gestellten
Patriarchen-, Exodus- und Sinaigeschichte wird eine innere Einheit
zwischen den beiden ersten Büchern der Bibel gesucht, die am Schluß
(2370 in der Weise formuliert wird, daß die Schöpfung als „Aussprache
Gottes" = Wort, die Reaktion des Menschen auf dieses als
Antwort begriffen wird. Analogien findet Schedl u. a. zwischen der
Zehnzahl des „und Gott sprach" in Gen 1 (vgl. 33) und den zehn
Geboten des Dekalogs. Der „Baum der Erkenntnis des Guten und
Bösen" in der Paradicscrzählung ist eigentlich der „Entscheidungsbaum
": die Tora (93; so in Aufnahme der Deutung des Targum Neo-
phyti, der für Schedl als Zeugnis des ältesten jüdischen Verständnisses
neben und noch vor Philo - zu diesem vgl. 83ff- zentral wichtig ist,
vgl 86ff). Deshalb kann Dtn 30,15-20 als Schlüssel Tür sein Verständnis
herangezogen werden (91 IT). „Gut und Bös" sind Leitworte der
Bundestheologie (91), und deshalb besteht eine Entsprechung zu den
im zweiten Hauptabschnitt behandelten Stollen.

Wenn schon im ersten Teil des Buches die priesterschriftliche Rahmung
in Gen 1.1-2,3 und 9,8- II eine wichtige Rolle für das Gesamtverständnis
spielte, so wird P durch das Stichwort „Bund" im zweiten
Teil noch bedeutsamer. Freilich kommt der Ausdruck bekanntlich
nicht nur in Gen 17 vor; mit den anderen von Schedl herangezogenen
Belegen (Gen 15; Ex 19 und 24) tut sich allerdings die litcrarkritische
Sicht recht schwer! Da Schedl die Vorgeschichte des Textes aber
nicht eigentlich interessiert, kennt er solche Probleme nicht: der
(durchaus ungenügend geklärte!. 123ff) Begriff „Bund" eignet sich für
ihn als Generalthema für sämtliche von ihm behandelte Texte aus
Gen I5-Ex 34.

Wenn man die Idiosynkrasien und apodiktischen Urteile („wird
abgelehnt!". 123 u. ö.) des Vf. abzieht, wird man manche seiner Ausführungen
durchaus nicht ohne Gewinn lesen. Seine eigenwillige
Deutung schiebt zwar das meiste aus der wissenschaftlichen Literatur
beiseite, er zitiert auch kaum (z. B. aber, ablehnend. C. Westcrmanns
Kommentar zur Gen. 81 0. weiß aber doch um den Diskussionsstand
(und findet sich dort wieder!, vgl. zur „ganzheitlichen Methode" 14f).
Und ihn bewegt ein lebhaftes Interesse, den Text theologisch auszuschöpfen
. Sein stetes Bestreben, die Symbolik eines Abschnittes, seine
Tiefenstruktur zu erfassen, ist im Prinzip im Hinblick auf die Urgeschichte
, die ja tatsächlich in Bildern und Symbolen spricht, durchaus
hilfreich. Wenn Schedl immer wieder aus ihr das Bild des Menschen
vor Gott herausarbeitet, über das Wesen von Sünde als anthropologischer
Grundaussagc schreibt (z. B. 991"), folgt er einem von ihm
selbst nicht deutlich ausgesprochenen Grundkonsens heutiger Exegese
. Anderes (wie die Erklärung des Gottesnamens in Ex 3,14 mit
differierender Wiedergabc des ersten und zweiten ähjäh mit Iutur
und Vergangenheit. 1800 wirkt willkürlich und wird kaum Nachfolge
finden.

C. Schedl war ohne Frage ein Außenseiter. Aber ihn bewegte ein
lebhaftes theologisch-pädagogisches Anliegen (der Vorlesungscharak-
ter des Manuskripts erklärt auch manche Pauschalaussagen und Verkürzungen
im Argumentationsgang). Möge ihm deshalb ein ehrendes
Angedenken bewahrt bleiben!

Uochum Henning Graf Reventlow

' Vgl. vor allem C. Schedl: Bauplane des Wortes. Einführung in die biblische
Logolcchnik. Wien 1474. Der Vf. hat seine Methode an alt- und neutesiament-
lichcn Abschnitten und an Korantexten vorgeführt. Zur Kritik vgl. u. a. die Besprechung
des Werks: Rufer des Heils in heilloser Zeit. Paderborn 1973:
ThLZ 100. 1975,195-198.

: Den Begriff wählt Schedl unter Berufung auf Irenaus und die Schrift Sephei
J'sirah (cd. LGoldschmidt, Scphcr jesirah. 1X94; Neudruck Darmstadl 1969),
weil er die Wcltschöpfung theologisch als Sprachgeschehen deuten und methodisch
die Texte logotechnisch analysieren will. vgl. I 5f,

Judaica

Neusner, Jacob: Judaism in the Matrix of Christianity. Philadelphia:
Fortress Press 1986. XIX. 148 S. 8

Jacob Neusner hat als Historiker begonnen mit großflächigen
Monographien und Biographien, erlangte als Exeget der jüdischen
Traditionslitcratur Weltruhm und erweist sich nun immer stärker als
Systematiker mit hermeneutischem und geschichtsphilosophischem
Anspruch. Davon legen seine jüngsten Veröffentlichungen Zeugnis
ab, in denen der Einfluß der religionswissenschaftlichen Schule von
Chicago, aber auch die in der angelsächsischen Welt noch immer
anhaltende Wirkung A. J. Toynbecs erkennbar sind. Als Fortführung
der 1984 erschienenen Studie Judaism in the Bcginnings ofChri-
stianity. hat das vorliegende Werk seinen Schwerpunkt bei der Konfrontation
zwischen dem Judentum und dem Christentum der altkirchlichen
Zeit. Die lockere Struktur der in acht Kapiteln gegliederten
Darstellung ergibt sich daraus, daß einige Abschnitte Kurzfassungen
von zentralen Partien verschiedener in letzter Zeit (1981-1986)
veröffentlichter Bücher des Autors darstellen.

Grundlage ist eine Epochenschau der jüdischen Geschichte, die
diese in drei große Perioden eingeteilt sieht: die Gründungsphase (for-
mation age), die mit der Redaktion des babylonischen Talmud ihren
Abschluß findet, die klassische Zeit (classical age), von der Spätantike
bis ins 19. Jh. reichend, und die moderne Epoche, die mit der Emanzipation
einsetzt. Hatte man es in der ersten noch mit verschiedenen
„Judentümern" zu tun, die allein durch die Beziehung auf die Mose-
Tora geeint sind, so herrscht in der zweiten Periode ein einziges
Judentum, das vom Rabbinat geprägte, während nach deren Ausklang
wieder die Vielfältigkeit der Ursprungsphase heraustritt. Von da aus
gewinnt jener Geschichtsabschnitt eine Schlüsselstellung, der den
Übergang von der Zeit der Formierung zur klassischen Epoche bildet.
Ihm gilt im vorliegenden Werk besondere Aufmerksamkeit des
Autors.

Neusners Grundgedanke: Das mit der Konstantinischen Wende
eröffnete Jh. ist für Christen und Juden gleich folgenreich, löst gegenläufige
Entwicklungen aus und bindet beide aneinander, für das
Judentum wechselt mit der Christianisierung Roms der religiöse Kontext
, es bleibt jedoch der politisch-soziale Status einer in ihren Rechten
beschränkten Minderheit. Der Außenseite nach stellt sich das
Ergebnis von Konstantin bis zur Aufhebung des jüdischen Patriarchats
(429) so dar: Das unpolitische Christentum ist politisch geworden
, das politische Judentum wird apolitisch. Wichtiger noch ist der
innerjüdische religiöse Aspekt: Der Triumph des Christentums und
der (endgültige) Sieg des Rabbinats innerhalb des Judentums hängen
unmittelbar miteinander zusammen. Als Antwort auf die Herausforderung
des Christentums bildet sich erst jetzt das Judentum der doppelten
(geschriebenen und mündlich überlieferten) Tora, das „klassi-