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Ausgabe:

1987

Spalte:

862

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Volf, Miroslav

Titel/Untertitel:

Das Marxsche Verständnis der Arbeit: eine theologische Wertung 1987

Rezensent:

Volf, Miroslav

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861

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 11

862

prophetischen Sendungsberichte Moses (J u. E). Gideons und Sauls.
die ein fünfgliedriges Form-Schema aufweisen und an der Rettung des
Volkes aus einer schweren Notlage interessiert sind. Daneben stehen
Jes6 und 1 Kö 22.19-22. Beide Einheiten sind aufgrund ihrer engen
Verwandtschaft einer gemeinsamen Gattung, der ..Vergabe eines
außergewöhnlichen Auftrags in himmlischer Thronversammlung"
zuzuweisen (Steck).

Aufgabe der Untersuchung ist es, die Sendungsberichte Jeremias
und Ezechiels auf ihre form- und traditionsgeschichtlichen Zusammenhänge
hin zu analysieren. Außerdem soll sie deren Beziehungen
zu den oben weiterhin genannten Einheiten erhellen. Dabei wird im
Ergebnis der Arbeit neben der formgeschichtlichen Bestimmung
beider Beauftragungsberichte auch geklärt werden müssen, inwieweit
die Termini ..Berufung" und ..Berufungsbericht" bei Jeremia und
Ezechiel sowie in den weiteren Einheiten zutreffend sind.

Der als literarische Einheit zu .beurteilende Beauftragungsbericht
Jeremias (l.2a/?b.4-IO) wurde nach einem fünfgliedrigen Form-
Schema gestaltet (biographische Einlcitungsnotizen - Auftrag - Einwand
- Überwindung des Einwandes - ausgeführte Zeichcnhandlung).
Auch die von der Beauftragung Ezechiels redende Einheit 1,3a:
2.3-3.3 hat naTiczu den gleichen Aufbau wie Jer l,2a/Jb.4-IO (Gliederung
: 1.3a[2.3-5]-[2.6f] 2,8-3,3). Allerdings wurde der Einwand
des Propheten gemäß der Diktion des gesamten Buches aufgenommen
. Ez 3.4-9 und 3.IOf reflektieren ..fortschreibend" über das in
2.3-3.3 vorfindliche Thema.

Die redaktionelle Zusammenarbeit der von Ezechiel stammenden
Berichte über die Beauftragung und die Thronwagenschildcrung legte
sich wohl durch die zusätzliche Legitimation nahe, die eine Beauftragung
im heidnischen Land durch die Schilderung von Jahwes mächtiger
Anwesenheit in Babylon erhielt.

Somit läßt sich feststellen: Der weitgehend übereinstimmende
lunfglicdrigc Aufbau von Jer l.2a//b.4-IO und Ez 1,3a; 2,3-3,3 zeigt
neben der Aufnahme von je sachlichen Speziftka eine eigenständige
formale Weiterentwicklung gegenüber den vorprophetischen Sen-
dungserzählungcn. was sich besonders an der Gestaltung der den
jeweiligen Erfordernissen angepaßten Einlcitungsnotizen sowie den
ausgeführten Zcichenhandlungen feststellen läßt. Entsprechend dieser
formalen Differenzierung unterscheiden sich die Beauftragungs-
berichteaueh hinsichtlich ihres Inhaltes: Die Scndungsinhaltc weisen
sowohl in Jes 6 und I Kö 22.19-22 als auch bei den auf Rettung und
Befreiung zielenden Beauftragungsberichten Moses (J u. E). Gideons
und Sauls auf konkrete, erfüllbare, klar umrissene Aufgaben. Die
inhaltlich allgemein bleibenden Sendungen Jeremias und Ezechiels
zielen hingegen auf eine lebenslange, umfassende Indienststellung,
f olglich ist die Hauptintention beider Beauftragungsberichte auch auf
das generelle Beauftragtsein dieser Propheten ausgerichtet, wobei ihre
Sendungen für die Wahrhaftigkeit des sich auf sie gründenden Über-
liefcrungsgutcs stehen (..Sit/ in der Literatur"). Ein echter „Sitz im
Leben" ist nur für Ez 1.3a; 2.3-3.3 mit der Bestätigung des unmittelbaren
prophetischen Auftretens gegeben.

Die Sendungsberichte Jeremias und Ezechiels wurden unter nahezu
den gleichen historischen Bedingungen in den ersten Jahrzehnten des
babylonischen Exils abgefaßt. Ihre Gestaltung spiegelt den Versuch
wider, die drängenden Probleme der Zeit zu bewältigen. So wurde
z. B. das fünfglicdrigc Form-Schema bei Jeremia und Ezechiel der
neuen Situation angepaßt, indem nicht mehr von dem unmittelbaren
Zusammenhang zwischen Notsituation (vgl. die ..Andeutung der
Not" als festes Element bei den vorprophetischen Berichten) und
einer folgenden Rettung die Rede ist. sondern das Wirken des göttlichen
Wortes durch die ausgeführten Zcichenhandlungen in den
Mittelpunkt rückte.

Zieht man Bilanz, so gelangt man zu der Schlußfolgerung, daß
neben den formal eigenständig zu bestimmenden Einheiten Jes 6 und
I Kö 22.19-22 (s. o.) eine Gruppe von ..ausgeführten Berichten über
göttliche Sendungen, die auf den Widerstand der Beauftragten stoßen
", zu belegen ist. Entsprechend der formalen und inhaltlichen Dif-

ferenzierbarkeit der ihr zugehörenden Texte weist sie zwei Untergattungen
auf. Allerdings erscheint deren begriffliche Differenzierung
recht problematisch, da der Terminus ..Berufung" bis in die gegenwärtige
Forschung hinein recht undifferenziert gebraucht wird. Deshalb
wird vorgeschlagen, von ..Beauftragungsberichten (zur konkreten
Auftragserteilung an Rettergestalten)" in den Erzählungen von Mose
(J u. E). Gideon und Saul zu reden, wobei der Ausdruck Beauftragung
hier klar umgrenzte, auf einen Abschluß zielende Sendungen meint.
Andererseits sind die formal und sachlich als eigenständige Umbildungen
zu kennzeichnenden ..Berufungsberichte (zu einer umfassenden
und lebenslangen Indicnstnahme durch Jahwe)" in Jer
1,2a/ft>.4-IO und Ez 1,3a; 2.3-3.3 zu nennen, wobei der Begriff Berufung
hier eine generelle, sachlich unbegrenzte Sendung bezeichnet.

Volf. Miroslav: Das Ylarxschc Verständnis der Arbeit: Eine theologische
Wertung. Diss. theol. Tübingen 1985. IX, 354 S.

Die Absicht dieser Dissertation ist eine Neubesinnung auf das
Thema „Arbeit" im Kontext der technologischen, ökologischen und
kulturellen Krise der Arbeit. Diese erfolgt in Form einer Auseinandersetzung
mit dem Arbeitsverständnis von Marx. Der wissenschaftliche
Ertrag dieser Auseinandersetzung besteht u. a. darin, daß mit ihr zum
ersten Mal eine ausführliche, auf das Gesamtwerk von Marx bezogene
theologische Wertung seines Arbeitsverständnisses vorliegt.

Im ersten Teil der Abhandlung werden jeweils die gleichen Themenkreise des
Marxschen Arbeitsverständnisses anhand der ..Pariser Manuskripte", der
..Deutsehen Ideologie" und der „Grundrisse"-Schriften, in denen die verschiedenen
Stufen der kontinuierlichen Entwicklung des Marxsehen Arbeits* er-
ständnisses repräsentativ zum Ausdruck kommen - theorieimmanent kritisch
dargestellt. In der Darstellung gilt die besondere Aufmerksamkeit erstens der
Begründung und der systematischen Funktion der von Marx herausgestellten
Analogie zwischen religiöser und ökonomischer Entfremdung und zweitens
dem Verhältnis des späten Marx zum späten Fichte und der damit zusammenhängenden
Änderung des Marxschen Arbeitsverständnisses sowie seiner Anthropologie
. Die Darstellung der Marxschen Arbcitsauflässung ist auf drei
große Themenkreise ausgerichtet - Arbeit und Religion. Arbeit und die arbeitenden
Menschen, Arbeit und die bearbeitete (bzw. zu bearbeitende) Natur-, anhand
derer anschließend die durch eine formale Bestimmung der Arbeit eingeführte
theorieexterne, theologische Auseinandersetzung im letzten Teil folgt.

Im Abschnitt Arbeil und Religion wird die Entsprechung von religiöser
und ökonomischer Entfremdung auf die atl. Propheten und
Jesus zurückgeführt und durch eine theologische Analyse des Verhältnisses
von Arbeit und Gott dem Schöpfer der Versuch gemacht, die
dieser Entsprechung zugrunde liegende, für Marx aber anthropologisch
unakzcptable Differenzierung von befreiendem Gott und versklavendem
Abgott anthropologisch plausibel zu machen.

Im Abschnitt Arbeit und die arbeitenden Menschen wird in einem
ersten Schritt die anthropologische Bedeutung der Arbeit untersucht
und die Marxsche Herausstellung der vielschichtigen Verkehrung von
Zweck und Mittel in der industriellen Gesellschaft kritisch aufgenommen
. In einem zweiten Schritt wird die Frage der von Marx behaupteten
Möglichkeit und Wünschbarkeit der permanenten Erweiterung
der materiellen Bedürfnisse erörtert und anhand einer auf die Begrenzung
der materiellen Bedürfnisse hin entworfenen christlichen Theorie
der Bedürfnisse eine Auseinandersetzung mit der Marxschen Bedürfnisauffassung
geführt. In einem dritten Schritt wird in Auseinandersetzung
mit Marx die freizeitliche Betätigung - nach Marx die Spitze des
Kommunismus - formal und inhaltlich bestimmt und die Frage des
Verhältnisses zwischen Arbeit und Freizeit, insbesondere der Arbeit
und der Mitte der Freizeit - Ruhe -. theologisch bestimmt.

Im Abschnitt Arbeit und die bearbeitete Natur wird die ökologiebezogene
Bedeutung der Marxschen Auffassung vom Menschen als
eines natürlichen Wesens und seiner verantwortliehen Herrschaft
über die Natur als durch den sogen. Human-Impcrialismus charakterisiert
kritisiert und aufgrund einer theologischen Absage an den
Anthropozcntrismus das Verhältnis zwischen Arbeit und Natur in
Abgrenzung gegenüber Marx theologisch bestimmt.