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Ausgabe:

1987

Spalte:

852-854

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Alwast, Jendris

Titel/Untertitel:

Dialektik und Rechtstheologie 1987

Rezensent:

Stein, Albert

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 1 1

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große diakonische Einrichtungen sind. Instruktiv stellt Vf. die verschiedenen
Arten von Stiftungen vor: rechtsfähige Stiftungen des
öffentlichen Rechts, wovon in den meisten Regionen nach Auflösung
der Rechtsfähigkeit der ortskirchlichen Vermögensträger nur einige
wenige vorhanden sind, rechtsfähige Stiftungen des privaten Rechts
und nichtrechtsfähige Stiftungen. Die nichtrechtsfähigen Stiftungen
sind in der Kirche allenthalben anzutreffen. Die Grenzen zum bloß
abgesonderten Zweckvermögen sind fließend. Rechtlich bieten sie
wenig Probleme; ihre Rechtslage folgt derjenigen des Muttergemeinwesens
. Die hier in erster Linie interessierenden rechtsfähigen kirchlichen
Stiftungen des privaten Rechts sind überwiegend diakonische
Einrichtungen oder Stipendien- bzw. Unterstützungsstiftungen.

Die Beziehung zur Kirche ist unterschiedlich - dies ist ein Umstand,
den Vf. nicht genug würdigt. Es gibt von einer kirchlichen Körperschaft
selbst gegründete und von ihr auch dotierte Stiftungen, amtskirchliche
Vermögensmassen oder Arbeitszweige also, die nur aus
organisatorischen Gründen verselbständigt worden sind. Dann gibt es
von Privaten gegründete und dotierte Stiftungen, die aber ausdrücklich
einer Kirche überantwortet sind, damit sie sie nach ihren Bedürfnissen
und Prioritätensetzungen verwalten und nutzen soll. Andere
Stiftungen wiederum sind als selbständige, ganz in sich bestehende,
allein vom Stifterwillen bestimmte Einrichtungen gedacht, in deren
Organe der Stifter kirchliche Amtsträger nur wegen ihres besonderen
öffentlichen Vertrauens berufen hat oder die sich irgendwann wegen
der Verwaltungshilfe und Interessenvertretung dem Diakonischen
Werk einer Landeskirche angeschlossen haben.

Für die Frage, ob eine kirchliche oder eine sonstige Stiftung des
privaten Rechts vorliegt, sind jetzt die Stiftungsgesetze der Bundesländer
maßgeblich. Sie stellen ab a)auf eine Zwecknähe und bjeine
organisatorische Verbindung zur Kirche, wobei letztere auch in der
bloßen Zugehörigkeit zum Diakonischen Werk bestehen kann. Hinzutreten
muß eine Anerkennung durch die Kirche. Auf die Problematik
dieser Abgrenzung geht Vf. kaum ein - und das ist schade, denn das
Wesen der kirchlichen Stiftungsaufsicht kann nur voll erfaßt werden,
wenn gesehen wird, daß diese „kirchlichen" Stiftungen, genau betrachtet
, ansonsten große Unterschiede hinsichtlich ihrer Beziehung
zur Kirche aufweisen.

Bevor Vf. auf die kirchliche Stiftungsaufsicht zu sprechen kommt,
behandelt er zunächst die Stiftungsaufsicht allgemein. Ihre Notwendigkeit
sieht er darin begründet, daß der Stiftung die für andere
juristische Personen typischen Mitglieder oder Gesellschafter fehlen,
die aufpassen könnten. In Wirklichkeit wird man es aber so sehen
müssen, daß der Staat mittels der Stiftungsform dem Privatmann
quasi eine Verlängerung seiner Privatautonomie über seinen Tod hinaus
gewährt. Die staatliche Stiftungsaufsicht ist also eine Art Pflegschaft
, die in Ansehung der in der Regel gegebenen Gemeinnützigkeit
des Stiftungszwecks eingerichtet wird.

Im vierten und Hauptteil des Buches kommt der Vf. dann zur Aufsicht
über kirchliche Stiftungen, die jetzt ganz überwiegend von den
Kirchen selbst wahrgenommen wird. Eine knappe geschichtliche Einleitung
(S. 103ff) zeigt, wie die Stiftungen, insbesondere die „milden",
ursprünglich einen starken, gleichsam naturgegebenen Bezug zur
Kirche hatten. Die Betonung der Verantwortung von Staat und Kommunen
für die Armenpflege in der Reformation und dann besonders
im aufgeklärten Absolutismus und im modernen Staat des 19. Jh.
führte dann dazu, daß diese Stiftungen den Kirchen in etwa entfremdet
wurden. Die großen Stiftungen der Inneren Mission entstanden in
der Regel ohne Mitwirkung der verfaßten Kirche. Die neuen Stiftungsgesetze
versuchen, eine alte Rechtslage in neuer Form wiederherzustellen
und - soweit es die Stiftungen auf dem Gebiet der Inneren
Mission betraf - deren faktischem Heranrücken an die Kirche Rechnung
zu tragen.

Um Wesen und Grenzen der Aufsicht über kirchliche Stiftungen
richtig bestimmen zu können, muß Vf. nun die Rechtsstellung dieser
Stiftungen definieren, vor allem in staatskirchenrechtlicher (S. 130fT),
dann aber auch in kirchenrechtlicher Hinsicht (S. 188 IT). Hier kommt

es nun notwendig zu höchst komplizierten Deduktionen, die im Rahmen
dieser Rezension nicht referiert werden sollen. Vf. sieht die
Schwierigkeit, daß die kirchlichen Stiftungen unterschiedlich zur Kirche
stehen, jedenfalls was die Anwendung des Staatskirchenrechts der
Verfassung, Art. 137 Abs. 3 und 138 Abs. 2 Weimarer Reichsverfassung
i. V. m. Art. 140 Grundgesetz, auf sie betrifft. Es kommt dann
aber beim Vf. zu einer Verengung des Begriffs der kirchlichen Stiftung
(S. 147ff), wenn Vf. den landesgesetzlichen Begriff der kirchlichen
Stiftung so faßt, daß nur Stiftungen übrigbleiben, die irgendwie Teil
der Kirche sind. Bei den Diakonischen Stiftungen trifft das zum Teil
einfach nicht zu. Von dieser Verengung des Begriffs, dieser Heranziehung
der kirchlichen Stiftungen an die Kirche, dieser Vereinnahmung
her kommt er dann zu der Feststellung, daß die kirchliche
Aufsichtszuständigkeit eigentlich ganz von selbst aus der Verfassung
folgt und in die Landesgesetze gleichsam nur deklaratorisch aulgenommen
wird. Stiftungsaufsicht ist für den Vf. eigene Angelegenheit
der Kirche. Kirchliches Stiftungsaufsichtsrecht ist ausschließlich
Kirchenrecht. Eine Kompetenz des Staates erkennt Vf. fast nur insoweit
an, als der Staat für das sachgemäße Auftreten der kirchlichen
Stiftung im Rechtsverkehr einstehen muß. Hier sind Fragezeichen anzumerken
.

Die kirchliche Stiftung des privaten Rechts ist typischerweise eine
Hervorbringung eines Privaten. Hier hat der Staat durchaus auch eine
Garantenstellung (S. 182), wenn er überhaupt das Rechtsinstitut der
Stiftung zur Verfügung stellt. Der Staat ist dem Stifter gegenüber verpflichtet
, die Stiftung auf Dauer vor dem Zugriff auch der Kirche
selbst zu schützen. Eigenartig und schwierig ist in diesem Zusammenhang
der Gebrauch, den Vf. vom „für alle geltenden Gesetz" (Art. 137
Abs. 3 WRV) macht, um staatliche und kirchliche Zuständigkeit und
Verantwortung in das richtige Verhältnis zueinander zu setzen.
Richtigerweise muß damit gerechnet werden, daß einige, nach den
Landesgesetzen als kirchlich einzustufende Stiftungen nach dem
Stifterwillen so weit selbständig gegenüber der Kirche sind, daß die
kirchliche Stiftungsaufsicht hier doch auch Elemente einer staatlich
delegierten Tätigkeit aufweist, was Vf. nicht anerkennen will
(S. 226ff). Insoweit wäre dann auch die Kirche nicht frei im Setzen
von Aufsichtsrecht, und es wäre mithin die Anrufung staatlicher
Behörden oder Gerichte gegen kirchliche Stiftungsaufsichtsmaßnah-
men nicht ausgeschlossen.

Ein Schlußteil behandelt Rechtsschutz und Haftung, Einzelfragen
mehr technischer Art also.

Ähnlich wie die Geschichte in dem umfangreichen Buch etwas zu
kurz kommt, so erst recht der ganze katholische Bereich. Seine
Berücksichtigung hätte auch in staatskirchenrechtlicher Hinsicht die
Ergebnisse beeinflussen können.

Im ganzen aber zeichnet eine respektfordernde Gründlichkeit im
Detail und in der Problemvertiefung diese Göttinger juristische Dissertation
aus. Der rechtstheoretisch interessierte Leser mag etwas enttäuscht
sein angesichts eines gewissen Mangels an methodischer Abklärung
, der nicht fachkundige könnte resignieren angesichts der
Kompliziertheit mancher Deduktionen. Der Praktiker des kirchlichen
Stiftungsrechts kann höchst dankbar sein für diese Aufarbeitung
einer schwierigen Rechtsmaterie, die eine beachtliche wissenschaftliche
Leistung darstellt.

Hannover Peter von Tiling

Alwast, Jendris: Dialektik und Rechtstheologie. Eine Grundlagenuntersuchung
zu Ansatz und Methode der rechtstheologischen
Konstruktion „Christokratie und Bruderschaft" von Erik Wolf
Köln-Wien: Böhlau 1984. XI, 172 S. gr. 8* = Forschungen zur
kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, 14. DM 70,-.

Erik Wolf (1902-1978, Nachruf von Hans-Peter Schneider
ZEvKR23, 1978, 337-342) wurde als Freiburger Ordinarius für
Strafrecht. Rcchtsgeschichte und Kirchenrecht durch die aktuelle Erfahrung
des Kirchenkampfcs und des Widerstandes gegen die Hitler-