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Ausgabe:

1987

Kategorie:

Praktische Theologie

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Neuerscheinungen

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845

Theologische Litcraturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 1 I

846

Leech. Kenneth: Spiritualin and Pastoral Care. London: Sheldon
Press 1986. VI. 149 S. 8°.Kart. £ 4.95.

K. Leech (ca. 50 Jahre alt) ist anglikanischer Priester und zählt zu
den "Anglo-Catholics", die der Annäherung an die Katholische
Kirche in England aufgeschlossen sind. Einige Jahre arbeitete er in
Stadtteilen von London wie East-End und Soho, die ihn mit Problemen
von Jugendarbeitslosigkeit und Drogensucht vertraut machten.
Er schrieb anerkannte Studien über Jugendunruhen und über Drogenabhängigkeit
. Sein soziales Engagement brachte ihn dazu, auch über
die Quellen christlicher Spiritualität nachzudenken. So entstanden
Bücher von ihm über Gebet und Gottesglauben ("Soul Friend",
"True Prayer" und "True God"), die in England weit verbreitet sind.
Auch das hier zu besprechende neue Buch "Spirituality and Pastoral
Care" ist diesem Thema gewidmet.

I.

1. Spiritualität heißt Tür Leech Bewegung und Pilgerschaft. Spiritualität
ist Liebe, die nicht der Devise folgt: „Wissen ist Macht".
Spiritualität umschließt aber auch soziale Verantwortung. Die Bibel
spielt bei Leech eine zentrale Rolle. Als Hilfe zur Meditation sei sie
eine Quelle zur Spiritualität, die sich gerade dann verschließe, wenn
man die Bibel fundamentalistisch als Werkzeug zur Intoleranz benutzt
. Um wahre Spiritualität zu erlangen, komme es darauf an, die
Bibel ihr Wort ausreden zu lassen. Daraus erwachse auch Ruhe zum
Gebet, zum Empfang des Heiligen Geistes, zur Selbsterkenntnis und
zur Fähigkeit, auf andere Menschen zu hören. Spiritualität kann es für
Leech nur in der Gemeinschaft geben, die sich zugleich zum Kampf
um soziale Gerechtigkeit gerufen weiß. Es reiche nicht aus, wenn sich
Seelsorger nur als soziale Feuerwehr verständen, die am Rande der
Gesellschaft Pflaster verteilen. Die sozialen Probleme der heutigen
Gesellschaft müßten grundsätzlicher, weitsichtiger, prophetischer
und eben darin auch politischer angegangen werden. Der Kampf um
soziale Gerechtigkeit werde kurzatmig, wenn ihm die spirituelle Kraft
fehle. Deshalb plädiert Leech für eine spirituelle Anleitung der Gläubigen
durch Seelsorger. Spirituelle Anleitung heiße vor allem Anleitung
zum Glauben, aus dem Ruhe, Gelassenheit und Selbstvergessenheit
im politischen Kampf erwachse. Die Spiritualität des Glaubens
sei die Alternative zu ignorantem. intolerantem Fundamentalismus,
der nur die Welt verteufele, während es darauf ankomme, im Sinne
von Joh 3,16 die Welt um Gottes willen zu lieben.

2. In diesem Zusammenhang fragt Leech auch nach der Bedeutung
der Psychologie für die spirituelle Anleitung der Seelsorgc. Er verkennt
die Erfolge der modernen Psychothcraphie nicht, sieht auch bei
einigen Psychologen (wie z. B. Laing) eine Nähe zum christlichen
Menschenverständnis, wehrt sich aber gegenüber einer allzu billigen
Übernahme der Psychotherapie in pastorale Lebensberatung. Die
Seelsorge dürfe ihre historische Beziehung zur klassischen Seelsorgc
der Kirche ebensowenig verlieren wie ihre Beziehung zu den zentralen
Wahrheiten des Glaubens. Die Arbeit des Pastors, der sich als
pastoraler Berater verstehe, forme das Pfarramt zu einer Beratungsstelle
um, in der einge Randfälle der Gesellschaft zwar erfaßt würden,
während die Gemeinde aber ohne seelsorgerliche Begleitung und
spirituelle Anleitung bliebe. Seel^orge als pastorale Lebensberatung
sei nur eine Heftpflastermethode, die dem Kampf um soziale Gerechtigkeit
nicht gewachsen sei. Es gelte vielmehr, die prophetische
Dimension für die Seelsorgc wiederzuentdecken. Der Prophet sei
visionär, übe Gebet und Meditation, sei um Interpretation der Glaubensinhalte
bemüht und kämpfe in diesem Sinne um soziale Gerechtigkeit
. Diese Elemente gehörten auch in die Seelsorge. Dann reiche
pastorale Lebensberatung, die nur dem Frieden der Seele einzelner
diene, nicht aus, weil dabei die wahren Konflikte nur verkleistert
würden.

3. Eine andere Gefahr für Seelsorge in Gestalt spiritueller Anleitung
sieht Leech in einer Managcrhaltung von Pfarrern, die nur einer
vollen Kirche und einem rein statistischen, oberflächlichen Gemeindewachstum
nachjagten. Das höhle den Glauben aus und mache zur
theologischen Besinnung unfähig. Stattdessen fordert Leech eine Ausbildung
zum Pfarramt, in deren Mittelpunkt Glaube und Gebet
stehen, eine Ausbildung, die zum Ziel habe, den Pfarrer zum „Wächter
eines Mysteriums" und zum Hüter des Glaubens zu machen. Deshalb
müßten sich Gemeinden zusammenschließen, um Erholungsund
Glaubenszentren zu bilden, die spirituelle Anleitung vermittelten
. Kirche als ein rein soziales Hilfswerk sei sinnlos, wenn sie von der
seelsorgerlichen Arbeit ablenke und nur Heftpflaster verteile. Es
brauche Pfarrer, die mehr als bloß Manager oder pastorale Berater
seien, die vielmehr - im ursprünglichen Sinne des Wortes - Priester
seien. Priester sind Geistliche, die den Menschen vor Gott und Gott
vor den Menschen vertreten, Hüter des Glaubens, Verkünder der
guten Nachricht und Helfer zur Erleuchtung des Glaubensbewußtseins
. Was Priesterschaft heißt, verdeutlicht Leech abschließend an
vier Pastoren und ihrer Seelsorgearbeit, die er im einzelnen schildert
.

II.

1. Auch wenn diese praktischen Beispiele hier nicht mehr referiert
werden können, dürfte deutlich sein, daß die Überlegungen von Leech
nicht nur für englische, sondern auch für deutsche Verhältnisse bedeutsam
sind. Hier schreibt ein Kenner der Sozialarbeit, der die Erfahrunggemacht
hat, wie kurzatmig der Kampf um soziale Gerechtigkeit
wird, wenn er nicht in einem spirituellen Engagement verwurzelt
ist. Leech sieht die Gefahren, die den Kampf um soziale Gerechtigkeit
heute bedrohen, mit aller Deutlichkeit: I. Ein Fundamentalismus, der
die Bibel zum Rezeptbuch degradiert und weltflüchtig ist: 2. ein
Managertum unter Pfarrern, die sich auf Gemeindewachstum stürzen
und nach kurzer Zeit ausgebrannt sind; 3. eine Seelsorge, die sich als
pastorale Lebensberatung versteht, aber spirituelle Anleitung der Gemeinde
schuldig bleibt und deshalb nur zur psycho-hygienischen
Heftpflaster-Praxis verkommt.

2. Was Leech statt dessen will, läßt sich in großer Nähe zu Roger
Schutz' Thema verstehen: „Kampfund Kontemplation". Der Kampf
um soziale Gerechtigkeit ist für Leech unvermeidlich. Gerade deshalb
fordert er spirituelle Anleitung der Gläubigen, damit der Kampf um
soziale Gerechtigkeit nicht oberflächlich und kurzatmig wird. Reformatorisch
gesprochen kommt es Leech auf das allgemeine Priester-
tum der Gläubigen an. Dazu braucht es freilich Pfarrer, die mehr als
bloß Manager sind, vielmehr Priester und „Haushalter von Gottes
Geheimnissen" (1 Kor 4,1). An solchen Priestern könnte sich auch allgemeines
Priestertum von Gläubigen wieder entzünden. Leech weiß,
daß „Spiritualität" gegenwärtig ein Modewort ist, vor dessen Vermarktung
er warnt. Das Gespür für alles, was zu billig und banal ist.
kennzeichnet dieses Buch. Darin ist es auch hilfreich, um eine allzu
billige Synthese von Seelsorge und Psychotherapie zu durchschauen,
die am Ende nur dazu führt, daß ein Pfarramt zur Beratungsstelle für
Einzelfälle verkommt, während die spirituelle Anleitung der Gemeinde
zum Kampf um soziale Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt.

Wuppertal Christian Möller

Hcidlcr. Eritz: Wider den Ausverkauf der Substanz. Die fundamentale Be-
deutung der Bibel ist neu zu entdecken (LM 26, 1987,62-65).

Möller. Christian: Liebe und Planung. Hochgerechnete Volkskirche und Ge-
heimnisderGemeinde(EK 29. 1987,76-80).

Niemann. Raul [Hg.]: Seht, welch ein Mensch! Kirchentag '87. Gütersloh:
Giitcrsloher Verlagshaus Gerd Mohn 1987. 128 S. m. Abb. 8" = GTB Siebenstern
, 1094. Kart. DM 10.80.

Pöhlmann. Horst Georg: Das Gebet bei uns Theologen und in unserer Welt.
Grundsätzliches und Konkretes zum Gebet (Theologische Beiträge 17. 1986,
225-233).

Rommel. Kurt: Kirche im Jahr 2000. Gestalt und Aufgabe. Stuttgart: Quell
1987.204 S. 8'. Kart. DM 14,80.

Sunnus, Siegfried H.: Was bedeutet die theologische Wissenschali für die Entscheidungsfindung
in kirchlichen Leitungsgremien? Oder: Wie plausibel sind
theologische Argumcntc?(EvTh 46. 1986.524-535).