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Ausgabe:

1987

Spalte:

842-843

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Lohff, Wenzel

Titel/Untertitel:

Fundus des Glaubens 1987

Rezensent:

Jacob, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 11

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die Erfahrung der Schuld in Richtung auf das Unbedingte gegen die
Einsprüche A. Ritschis gerechtfertigt (210). Unverkennbar gibt die
frühe dialektische'Theologie den Horizont für diese groß angelegte
Konzeption von Dogmatik ab.

Wie in der spateren „Systematischen Theologie" nimmt auch in
diesem frühen Entwurf die Christologic die Mitte des Systems ein. Ihr
ist der (unvollendet gebliebene) II. Hauptteil gewidmet. Aber anders
als im späteren System ist der leitende Gesichtspunkt dieses II. Haupt-
tciles die Geschichtlichkeit der vollkommenen Offenbarung, ausdifferenziert
(a) als geschichtliche Vorbereitung, (b) als Durchbruch, und -
nicht mehr ausgeführt-(c) als Aufnahme in der Geschichte. Schon in
der Auseinandersetzung mit Barth über das Paradox hatte Tillich
dessen ahistorischc Punktualisierung der Christologie konfrontiert
mit einem im Christusgcschehcn kulminierenden Offenbarungsuniversalismus
. Dieser OfTenbarungsuniversalismus ist im Schöpfungs-
verständnis verwurzelt und wird in der Dogmatik von 1925 breiter
entfaltet. Das ist von der späteren ,.Systematischen Theologie" her.
die die offcnbarungsgeschichtlichc Perspektive der Christologie durch
einen existentiellen Bezugsrahmen ersetzt, das eigentlich Überraschende
. Christologie erscheint als Kristallisationspunkt theologischer
Geschichtsdeutung. Die Vorbereitung der vollkommenen
Offenbarung geschieht in den Religionen, die in hochabstrakten Beschreibungen
(„Schweben zwischen Historizität und Prinzip" 260;
vgl. auch 299) erscheinen und in der Sequenz von Heidentum.
Griechentum und Judentum den Rahmen möglicher Realisierung
von Religion darstellen (259-291). Der „Durchbruch" der Offenbarung
in Christus wird - frei von Elementen ereignishafter Kontingenz
und überraschender Neuheit - unter der Kategorie „Fülle der
Zeit" nahtlos an die Vorgeschichte angeschlossen. „Der Durchbruch
der vollkommenen Offenbarung ist abhängig von der Vollendung der
vorbereitenden Offcnbarungsgcschichtc. Der Augenblick dieser Vollendung
wird durch den Begriff Kairos oder Zeiten fülle bezeichnet"
(294).

Dieser konstruktartige Umgang mit den Religionen gibt ebenso zu
Rückfragen Anlaß wie der Ansatz und dann auch die Durchführung
der Christologie. Kann das schlechthin Neue und Einzigartige des
Chrislusgeschehcns wirklich gedacht werden, wenn es einem heilsgeschichtlichen
Offcnbarungsuniversalismus eingegliedert wird, der
Heidentum, Griechentum und Judentum als vorbereitende Gestalten
der vollkommenen Offenbarung interpretiert? Gerät die „Fülle der
Zeit", die Gott bestimmt, nicht zu einem geschiehtstheologischen
Kalkül, wenn sich Gottes souveräne Entscheidungstat universal-
geschichtlich gegcnlcsen und entschlüsseln läßt?

Trotz dieser und weiterer Anfragen, zu denen die Aufstellungen
Tillichs herausfordern, läßt schon dieser erste Entwurf die Meisterschaft
des Zugriffs und der Komposition des herkömmlichen dogmatischen
Themengefüges erkennen. In systematisch-theologischer Hinsicht
gibt diese kraftvolle und souveräne Konzeption von Dogmatik
viel zu denken, ihr kommt ein hoher Rang im Chor der damaligen und
heutigen Diskussion zu. Darüber hinaus liegt mit der Veröffent-
lichungdieser Vorlcsungein außerordentlich interessantes Dokument
evangelischer Thcologicgeschichte vor, das vermutlich einen neuen
Schub von Untersuchungen auslösen wird. Hg. und Verlag haben sich
mit dieser Publikation um ein differenzierteres Verständnis evangelischer
Theologie in den frühen 20er Jahren verdient gemacht.

Für eine mögliche zweite Auflage wären der Nachweis mancher eindeutiger
Anspielungen (64: zu D. F. Strauß) bzw. Belege (243: zu Schleiermacher) hilfreich
, des weitem die Korrektur einiger Druck- (oder Lcse-'.'lfchler hilfreich:
S.4I.Z.20 v. u.: „In da Offenbarung" statt ..In die Offenbarung"; S. 47./.. I u.
2 v o.; ..nur" statl „nun"?; §9 fehlt die Ziffer 2 (S. 60?): S. 84, Z. 6 v. o.: „ergibt
" statt ,.gibl"?(cf. Z. 2 v. o.): S. 86. Z. 5 v. o.: „Wir" statt „sie"?; S. 97, Z. 15
v. u.: „gebraucht" statt „gebracht"? Außerdem ist der vorletzte Satz der Seite-
sinnlos; S. 152. Z. 18 v. u.: Ist hier „und Verschlossenheit" zu tilgen?; S. 178.
Z. 16 v. u.: „etymologisch" statt „ethymologisch": S. 283. Z. 8 v. o.: „Darum"
statt „Daum": S. 328. /.. 15 v. u.: ..Vorstellungsbild" statt „Vorscllungshild".

Hamhurg Hermann Fischer

Lohff. Wenzel: Fundus des Glaubens. Zugänge zur Begründung
elementaren Glaubenswissens. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1986.207 S. gr. 8 DM 29,80.

Anläßlich des 60. Geburtstages von Wenzel Lohff 1985 ist diese
Aufsatzsammlung von Friedrich-Otto Scharbau herausgegeben worden
. Sie spiegelt die Arbeit eines Theologen wider, der wie kaum ein
anderer lutherische Theologie mit kirchlicher und ökumenischer
Aktivität verbindet. Der Bogen der veröffentlichten Arbeiten reicht
von der Erörterung fundamentaltheologischer Grundsatzfragen über
Stellungnahmen zu den wichtigen ökumenischen Konsenserklärungen
bis zu Auftragsarbeiten Für den theologischen Ausschuß der
VELKD. Dabei gibt es einen theologischen Grundsatz, der immer
wieder begegnet und um den die theologische Arbeit des Vf. geradezu
kreist: das ist der siebente Artikel derCA „von der Kirche". Das Buch
ist in drei große Abschnitte eingeteilt: der erste bringt größere
systematisch-theologische Arbeiten, der zweite Stellungnahmen zu
ökumenischen Dokumenten und Problemen, der dritte Äußerungen
zu Fragen der Ethik und dcrGcmcindeleitung. '

Am Beginn steht ein Aufsatz über „Die Heilige Schrift als Grundlage
der Kirche". Ausgehend von dem Widerspruch zwischen der allgemein
üblichen Berufung auf die Schrift und ihrer Relativierung
durch die historische Kritik wird die lutherische These von Christus
als Mitte der Schrift kritisch erörtert. Dabei kommt der Vf. zu dem Ergebnis
, daß (in Übereinstimmung mit CA VII) „das Jesusgeschehen
im Zusammenhang der biblischen Überlieferungsgeschichte als Heilsgeschehen
der Rechtfertigung interpretiert werden (muß).. . Und
eben indem das geschieht, erweist sich die dieses Geschehen bezeugende
Schrift als Grundlage der Kirche" (25). W. Lohff versucht durch
Interpretation des alttestamcntlichen Bundesgedankens die These von
der Rechtfertigung als Mitte der Schrift exegetisch zu untermauern,
ein Versuch, der nicht nur wegen der gebotenen Kürze weniger überzeugt
als die kritischen Partien des Aufsatzes. - Thema 2 lautet
„Rechtfertigung und Anthropologie". Ausgegangen wird von den erfolglosen
Bemühungen des Luthertums, zu einem allgemeinen
Konsens über eine aktuelle Interpretation der Rechtfertigungslehre zu
kommen. W. L. möchte diesen Konsens im „Medium anthropologischer
Reflexion" (42) formulieren. Die Argumentation vollzieht
sich in drei Schritten: 1. werden die „anthropologischen Implikate"
der Rechtfertigungslehrc erläutert. 2. wird über die „bleibende Bedeutung
der justificatio per fidem", 3. über die „bleibende Bedeutung der
Rechtfertigung propter Christum" nachgedacht (42). Glaube ist
„Selbsteröffnung und Sclbsthingabc", „die aus der Erfahrung des Angenommenwerdens
entsteht" (52). Die Gemeinschaft der Gerechtfertigten
ist „Gemeinschaft der Freiheit im Glauben" (52). „Allein aus
der solcherart begründeten Freiheit eines Christenmenschen kann die
menschliche Gesellschaft heilsam gestaltet werden". (53)

An dritter Stelle steht eine Arbeit über „Wege zur theologischen
Anthropologie". In einem ersten Teil wird über das Verhältnis von
Theologie und Anthropologie unter besonderer Berücksichtigung der
neueren Theologie- und Geistesgeschichte nachgedacht, mit dem Ergebnis
, daß die Theologie, indem sie Aussagen über Ursprung und
Ziel des Menschen macht, einen „Beitrag zur anthropologischen
Frage überhaupt" leistet (62). Im zweiten Teil werden dann die theologischen
Grundaussagen an Hand der dogmatischen Tradition über
die Stände des Menschen (Schöpfung, Fall, Versöhnung, Verherrlichung
) in ihrer Bedeutung für die Anthropologie entfaltet. - Der
erste Teil des Buches wird abgeschlossen mit einem Aufsatz über das
Thema „In Schicksalsgemeinschaft mit der Gesellschaft. Zukunftsperspektiven
für Kirche und Theologie". Drei Grundtendenzen bzw.
Grundspannungen im Verhältnis von Kirche und Theologie in der
heutigen Gesellschaft werden erörtert: I. die Spannungen zwischen
Diastase und Synthese in Anbetracht der aufhörenden „Traditionsleitung
" in der modernen Gesellschaft (84), 2. die Spannung zwischen
volkskirchlicher Wirklichkeit und bekenntniskirchlichem Anspruch.
3. die Verpflichtung zur Wahrung des reformatorischen Erbes und zu