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Ausgabe:

1987

Spalte:

838-841

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Tillich, Paul

Titel/Untertitel:

Dogmatik 1987

Rezensent:

Fischer, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. II

838

heit im religiösen Symbol bleibt in der Schilderung etwas blaß. Viel
plastischer und ausführlicher beschreibt B. die Übertragung der Auffassung
Carlyles von Heldenverehrung ("heroworship") auf Boussets
religionsgeschichtliche und christologischc Konzeption von der kultischen
Verehrung des Kultheros in der Gemeinde. An Boussets Rezeption
stellt Vf. die unter dem Thema seines Buches interessante
Feststellung heraus, daß die hier verwendete Philosophie aus dem
Christentum selbst hervorgegangen ist, selbst „säkularisierte Christo-
logie" ist, „um dann wieder - durch neutestamentiiche Exegese -
kritisch und interpretatorisch auf das Anfangsdokument des Christentums
einzuwirken. So schafft sich liberale Theologie auf dem Weg
über den Gebrauch von Philosophie in der Exegese ein biblisches
Fundament" (113).

Im Verhältnis Bultmann - Heidegger (Kap. VI) sieht Vf. eine
Wiederholung dieses Vorgangs, insofern Heidegger in seiner Philosophie
Analogien zu johanneischer und paulinischer Theologie erkennen
läßt und nicht zuletzt aus der Zusammenarbeit mit Bultmann
in den gemeinsamen Marburger Jahren auch mit exegetischer Arbeit
vertraut ist. Und Bultmann verweist selber auf die Wirkungsgeschichte
des NT bis in moderne phil. Daseinsanalyse hinein. Nur
kommt es ihm auf die Bedeutung der (Heideggerschen) Philosophie
gerade in ihrer gegenwärtigen profanen Aussagekraft an, um von ihr
die Begrifflichkeit sich vorgeben zu lassen zur Erfassung des systematischen
Gehalts und Zusammenhangs exegetischer Aussagen, um im
Geltendmachen des reformatorischen simul iustus et peccator die Bedingungen
des Existierens von ihr durchleuchtet zu erhalten und um
die Subjekt-Objekt-Spaltung unserer Denktradition mit ihrer Hilfe zu
überwinden. Bultmann scheut sich nicht, solchermaßen in Dienst genommene
Philosophie als ancilla theOlogiae zu bezeichnen. Mit erfreulicher
Deutlichkeit arbeitet B. heraus: „Bultmann denkt von der
Theologie her, nicht aber baut er auf dem Fundament der Philosophie
auf." (160, vgl. 169) Leider sind derartige Klarstellungen immer
wieder nötig.

Aus den dargestellten Konzeptionen und ihrer jeweiligen kritischen
Würdigung folgert Vf. im Systematischen Schlußteil (Kap. VII): I.
Philosophie als „modellspendender Bereich" ist für die exegetische
Arbeit erkenntnistheoretisch notwendig. In ihrer heuristischen Funktion
taugen phil. Modelle soviel, wie sie erweisen (182). 2. Zugleich ist
sie wichtig, um solche Inanspruchnahme von Philosophie in praktizierter
Exegese (etwa in „dualen Entscheidungssystemen" wie Judenchristen
/Heidenchristen, Individuum/Kollektiv, Form/Inhalt usw..
Welche undifferenzierte Hypothesenbildungen ermöglichten - 183)
wiederum kritisch zu reflektieren. 3. Phil. Reflexion zur kritischen
Prüfung des Vorverständnisses des Exegeten, seines Interesses an der
Sache, seines Daseinsverständnisses und Weltbildes möchte Vf. hinsichtlich
des implizierten theol. Verständnisses von Sprache vertieft
sehen. Den besonders an dieser Stelle (aber auch schon zuvor im
Buch) in die Diskussion geführten Begriff der Applikation hält Rez.
für wenig hilfreich. B. legt zwar Wert auf die deutliche Unterscheidung
von „Hermeneutik (philosophische Reflexion über den Auslegungsvorgang
in allen seinen Aspekten), Exegese (Bemühen, dem
kritischen Eigenpotential und der anregenden oder abweisenden
Fremdheit des Textes näherzukommen) und Applikation (Analyse
der Wirkungsmöglichkeiten und Umsetzung in einen wirkungsfähi-
gen je modernen Text)". (185) Trotzdem bleibt der Begriff schillernd
und verleitet - gegen die erklärte Absicht - zum Kurzschließen von
Hermeneutik mit „Applikation", wobei das eigentliche systematischtheologische
Geschäft (Prüfung der Wahrheit theol. Aussagen unter
Fragen nach Einheit des bibl. Zeugnisses und nach verbindender Relevanz
theol. Aussagen im gegenwärtigen Glaubensvollzug) als
Zwischenglied zu kurz zu kommen droht. So kann der Vorwurf an
Bultmanns angeblicher Vermengung von Auslegung und Anwendung
des NT (171, 185) vom Rez. nicht nachvollzogen werden, weil das,
was Vf. hier „Applikation" nennt (183), eher in die Reflexionsschritte
systematischer Theologie fällt. Und so beherzigenswert der Ruf nach
„Applikation mit Hilfe der Alltagssprache" (190) ist, um den unter

Einfluß systematisierender und analytischer Begrifflichkeit auf die
Exegese eingetretenen Verlust metaphorischer und symbolischer
Redeweise in der Frömmigkeit seit der Aufklärung wieder rückgängig
zu machen (192, vgl. 11), wird doch nach Meinung des Rez. syst.
Theologie in deutlicher Unterscheidung von „Applikation" der von
abendländischer Wissenschaftstradition geprägten diskursiven Denkweise
in begrifflich-argumentierender Sprache nach wie vor Rechnung
tragen müssen, wie dies R. Bultmann im Grundsatz erkannt und
in seiner Rezeption Heideggerscher Philosophie zeitbedingt ausgeführt
hat (gg. 170, 1900. Mit solchen Grundsätzen sich angesichts der
immer deutlicher werdenden Grenzen unserer Wissenschaftstradition
in der Theologie nicht zufriedenzugeben, ist freilich ein Verdienst der
vorliegenden Studie. Und man wird mit Interesse verfolgen, wie B. in
einer angekündigten Schrift zur neutestamentlichen Hermeneutik
seine Überlegungen ausbauen wird.'

Schon das vorliegende Buch ist außerordentlich dazu geeignet, das
interdisziplinäre Gespräch fortzuführen. Zugleich fördert es den
interkonfessionellen Dialog. B. deutet bereit* im Vorwort mit den
Stichworten „sola scriptura" und „natürliches Denken" die ökumenische
Dimension des Themas „Exegese und Philosophie" an.

Leipzig Matthias Petzoldt

' Nicht zuletzt durch dieses Buch selbst wird das Interesse geweckt, nach der
Verhältnisbestimmung von Exegese und Philosophie in anderen (etwa angel-
sächs. und lateinamerik.) Sprachräumen zu fragen.

2 Auch das Verhältnis der Exegese zu den Humanwissenschaften als jüngsten
„Erben" der Phil, kommt in den Blick (185-188).

' Vgl. auch schon K. Berger, Exegese des Neuen Testaments (UTB 658).
1977.21984.

Systematische Theologie: Dogmatik

Tillich, Paul: Dogmatik. Marburger Vorlesung von 1925. Hg.,eingel.
u. mit Anm. u. Reg. versehen von W. Schüßler. Düsseldorf: Patmos
1986. 397 S. 8 Lw. DM 49,80.

Mit Tillichs Marburger Vorlesung über die Dogmatik aus dem
Sommersemester 1925 ist der Blick auf die ursprüngliche Gestalt
seiner theologischen Systematik, wie er sie später in den drei Bänden
der „Systematische(n) Theologie" entfaltet hat, freigegeben. Insofern
hat diese Publikation eine hohe Erschließungskraft für das Gesamtverständnis
der Theologie Tillichs.

Tillichs Anfänge stehen im Unterschied zu denen seiner später
ebenfalls berühmt gewordenen Zeitgenossen K. Barth und F. Gogar-
ten nicht unter strikt theologischem Vorzeichen. Nach ersten Versuchen
, die noch in Tillichs akademische und kirchliche Ausbildungszeit
fallen (1911: 128 Thesen über „Die christliche Gewißheit
und der historische Jesus"; 1913: 72 Thesen über „Systematische
Theologie"), beschäftigen ihn zu Beginn seiner akademischen Tätigkeit
nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin mehr Probleme der
Religions-, Sozial- und Geschichtsphilosophie. Fragen des Verhältnisses
von Religion und Kultur oder von Christentum und Sozialismus
scheinen ihn stärker bedrängt zu haben als die theologischdogmatischen
Probleme im engeren Sinne, jedenfalls sind sie in den
ersten Vorlesungen und Übungen seit 1919 sowie in seinen gleichzeitigen
Veröffentlichungen auffällig unterrepräsentiert. Die Dogma-
tik-Vorlesung hat insofern auch eine besondere Bedeutung für das
Verständnis des Frühwerks Tillichs. Hier werden die theologischen
Grundannahmen entwickelt, die dann im Kontext anderer Frage- und
Problembearbeitungen auf originelle Weise zum Zuge kommen. Mit
der von W. Schüßler sorgsam betreuten Publikation wird also ein
einzigartiges Dokument evangelischer Theologie aus bewegter Zeit
zugänglich gemacht, das nicht nur den historisch-genetischen Zusammenhang
der Theologie Tillichs neu beleuchtet, sondern auch die