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Ausgabe:

1987

Spalte:

836-838

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Berger, Klaus

Titel/Untertitel:

Exegese und Philosophie 1987

Rezensent:

Petzoldt, Matthias

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 11

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Wie Jüngels Schrift geht auch Jasperts Taschenbuch auf einen Vortrag
zurück, den er mehrfach, auch vor katholischen Kreisen, gehalten
hatte. Insofern aber unterscheidet sich seine Publikation von der
Jüngels, als er sich anscheinend nicht primär an eine theologische
Leserschaft wenden will, sondern an ein breiteres Publikum.

Dafür sprechen u. a. der seitenlange Abdruck von Gedichten Rudolf Alexander
Schröders, auch die überaus langen Bultmann-Zitate, in denen es weniger
um seine Theologie geht, sondern vielmehr seine Entrüstung und sein Bedauern
über Entgleisungen in der Polemik ihm gegenüber zum Ausdruck kommen.
Wahrscheinlich hätte das interessante Bändchen an inhaltlicher Überzeugungskraft
gewonnen, wenn der Autor diese Dehnungen vermieden hätte. Vielleicht
ist aber für manche Leser diese Breite aus didaktischen Gründen hilfreich.

Doch nun zum Inhaltlichen! Das 1. Kap. ist überschrieben: Zum
hermeneutischen Ansatz Rudolf Bultmanns. In ihm geht es u. a. um
Glaubenserkenntnis als Selbsterkenntnis und um das Verhältnis von
Theologie und Glaube. Beides ist sachgemäß dargestellt. Im 2. Kap.,
Rudolf Bultmann verstehen, schildert Jaspert dessen Inkongruenz mit
der Theologie seiner Zeit, die nicht erst 1941 (Entmythologisierungs-
vortrag) einsetzte. Sackgassen (Titel!) in seinem Streit mit den Fachkollegen
habe es schon seit 1917 in der Auseinandersetzung mit der
liberalen Theologie seiner Lehrer gegeben. Wenn aber im Vordergrund
der Nachkriegsdiskussion der Entmythologisierungsstreit stehe,
so werde gerade diese Tatsache übersehen. In diesem Zusammenhang
registriert er einen auffälligen Sachverhalt: Wo die Protestanten Barth
in der Entmythologisierungsdiskussion und Käsemann in der Jesusdiskussion
von einer „Sackgasse" sprechen, erführe Bultmann von
katholischer Seite zwar auch erhebliche Kritik, doch zeigten die
katholischen Theologen, aufs Ganze gesehen, eine große Neigung und
Fähigkeit, seine gesamte Theologie aufzunehmen (S. 58). So beurteilt
er ihn als entscheidenden Promotor der Ökumene. Fazit (S. 59): „Die
Entmythologisierungs- und die Jesusdiskussion sind in Thematik,
Verlauf und Ergebnis ein Beweis dafür, daß mit Rudolf Bultmann
auch dann noch zu reden war, wenn Weg und Weise, ihn zu verstehen,
schon in eine Sackgasse geführt hatten. Er selbst war nie die Mauer,
die am Ende der Sackgasse st^nd." Das 3. Kap. ist dann expressis
verbis mit „Sackgassen" überschrieben. In gut referierender Weise
exemplifiziert er dies in 3 Punkten, wie die Untertitel dieses Kapitels
zeigen: 1. Die „Jesusentleerung"; 2. Theologie als Anthropologie -
eine Gefangene der Philosophie?; 3. Die „Politische Theologie" und
die Wiederkehr des Mythos. Ein Höhepunkt der Darstellungen ist vor
allem, wie das Mißverständnis Bultmanns durch Barth aufgewiesen
wird. Richtig S. 91: „Das Auseinanderbrechen der dialektischen
Theologie erfolgt am Problem der theologischen und damit zugleich
an der Frage der geschichtlichen Hermeneutik." Ebenso zeigt Jaspert
sehr schön, wie Dorothee Sölles Vorwurf, Bultmanns existentiale
Interpretation sei individualistische Engführung der biblischen Botschaft
, ein fundamentales Mißverständnis ist. Richtig S. 103: „Die
Sackgasse, in die Sölles Politische Theologie führt, heißt also Verkürzung
der biblischen Botschaft auf eine heute politisch brauchbare
Parole." Insgesamt kann ich dem, was Jaspert über die Sackgassen im
Streit um Bultmann sagt, in den wesentlichen Punkten zustimmen.

Das Schlußkapitel ist überschrieben „Im Streit zum Ziel". Damit
greift er wieder auf, womit er mit einem Zitat von Rudolf Alexander
Schröder seine Ausführungen begonnen hat: „O Christenheit ... Du
beginnst noch kaum den Streit Und hast schon überwunden."

Dieses Schlußkapitel von 4 Seiten besteht über die Hälfte aus einem einzigen
Käsemann-Zitat. Dieses ist sicherlich gut ausgewählt. In ihm findet sich der
Satz (S. 116): „Der Exeget Bultmann hat sie (sc. die theologische Krise) in ihrem
Ausmaß aufgezeigt, der Systematiker hat Wege zu ihrer Überwindung zu
bahnen versucht." Diese Aussage erinnert an Jüngels Schrift. Freilich hätte man
sich gewünscht, daß der Vf. im Schlußkapitel mehr selber zu Worte gekommen
wäre. Aber das ist wohl eine gewisse formale Schwäche des ganzen Büchleins:
Der Vf. zitiert zu viel und dabei bringt er oft viel zu lange Zitate.

Die wissenschaftliche Diskussion ist durch Jasperts Darlegungen
wohl nur wenig weitergeführt worden. Aber das war ja wohl auch

nicht seine primäre Intention. Zur Information breiterer Kreise über
Bultmanns Anliegen und zum Abbau ärgerlicher Vorurteile und Fehlurteile
ist dieses Buch aber gut geeignet.

Göttingen Hans Hübner

' Dort leider mit Druckfehler: Rudolf Bultmann (!) Werk und Wirkung.

Berger, Klaus: Exegese und Philosophie. Stuttgart: Kath. Bibclwerk
1986. 194 S. 8' = Stuttgarter Bibelstudien, 123/124. Kart.
DM 34,80.

Wenn ein Exeget (K. Berger ist Prof. für Neutestamentl. Theol. in
Heidelberg) Überlegungen zum Verhältnis von Exegese und Philosophie
vorlegt, kann er der Aufmerksamkeit der Systematiker sicher
sein. Aus syst.-theol. Sicht erfolgt auch diese Besprechung. Gespannt
darf man sein, wie die Fachkollegen des Vf. reagieren werden.

Wichtige Positionen deutscher1 exegetischer Tradition werden in
dem vorliegenden Buch dargestellt, um über punktuelle Studien
anderer hinausführend in einem repräsentativen Längsschnitt die
Verquickung von (neutestamentlicher) Exegese und Philosophie"
sichtbar zu machen und kritisch zu durchleuchten.

Nach einer kurzen, zuweilen in stichwortartiger Aufzählung verbleibenden
Historischen Einführung (Kap. I) widmet sich B. als erstes
dem Schaffen von F. C. Baur(Kap. II). Nicht aus „reiner" historischer
Arbeit hat er sein Schema dialektischer Geschichtsbetrachtung gewonnen
, sondern aus Schellingscher, weniger Hegelscher Philosophie.
Anfangs auf alle Religionen bezogen, wird es auf immer kleinere Verhältnisse
übertragen: auf die beiden Konfessionen, dann auf die innergemeindlichen
Gruppen in Korinth und in anderen frühchristlichen
Gemeinden. Diese Orientierung der Exegese an der Philosophie soll
nach Baurdazu verhelfen, über die historische Reproduktion der Einzelheiten
hinaus des universalgeschichtlichen Zusammenhangs und
darin des Wirkens des Geistes (Gottes) in der Geschichte ansichtig zu
werden und auf diese Weise der atomistischen, fatalistischen und
atheistischen Tendenz des historischen Positivismus zu entgehen.

In der Konstellation Strauß (bis zum „Leben Jesu") - Hegel
(Kap. III) sieht Vf. „gewissermaßen den Extremfall des Verhältnisses
von Exegese und Philosophie" (57). Das Hegeische Prinzip, wonach
Religion und Philosophie bei identischem Inhalt sich nur in der Form
unterscheiden und die religiöse Vorstellung im philosophischen Begriff
aufgehoben wird, weist - unter der Einseitigkeit Straußscher
Rezeption - der Exegese in einem systematischen Gesamtkonzept den
Ort zu und gibt zugleich die material-inhaltliche Norm des Christlichen
vor: Entlarvung der mythischen Aussagen (rel. Vorstellungen)
in radikaler historischer Kritik zur Freilegung des Inhalts in seiner
phil. Begrifflichkeit: der Idee des Gottmenschen in der Verwirklichung
der menschlichen Gattung. Unter dem Einfluß des aufklärerischen
Rationalismus findet Strauß zu einer „Trennung von Historizität
und Wahrheit", mit der er sich von Hegels dialektischer Auffassung
entfernt und zugleich „einen der markantesten Punkte in der
Diskussion Exegese/Philosophie" in aller Schärfe hervorhebt (61).

Zwischen Overbeck und Nietzsche (Kap. IV) stellt sich das Verhältnis
als ein „gegenseitiges dialogisches Geben und Nehmen" (83) dar-
Verzicht auf ein individuelles Persönlichkeitsbild Jesu, Diskontinuität
zwischen Jesus und Paulus, dekadenter Verweltlichungsprozeß
seit dem Bruch mit der urchristlichen Phase (Overbeck: asketisch-
eschatologische Ur-Literatur, Nietzsche: frühes Kleine-Leute-
Christentum), Unvereinbarkeit von Glaube und Wissen, Religion und
Kultur. In diesem Dialog sind „Overbecks Part eher die detaillierten
historischen Kenntnisse, Nietzsches Part eher die kühneren Thesen"
(ebd.).

Kap. V beschäftigt sich mit den Einflüssen des engl. Schriftstellers
und Philosophen T. Carlyle und des Kant-Schülers J. F. Fries auf W.
Bousset. Die Bedeutung des Neofriesianismus für Boussets Lösung des
Historismus-Problems wie für seine Theorie von der Gefühlsgewiß-