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Ausgabe:

1987

Spalte:

833-836

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Jüngel, Eberhard

Titel/Untertitel:

Glauben und Verstehen 1987

Rezensent:

Hübner, Hans

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Theologische Litcraturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. I I

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zeugungskraft der Argumentation zu erhöhen. Resümierend ist
jedoch zu betonen, daß Repps Buch viele wertvolle Einblicke bietet
und nicht wenige Einsichten von grundsätzlicher Wichtigkeit für.das
angemessene Verständnis der Transzendierung des Theismus in Paul
Tillichs Religionsphilosophie enthält.

Lancuster John Clayton

Systematische Theologie: Allgemeines

Jüngel. Eberhard: Glauben und Verstehen. Zum TheologiebegrifT
Rudolf Bultmanns. Vorgetragen am 20. Oktober 1984. Heidelberg:
Winter 1985. 78 S. gr. 8' = Sitzungsberichte der Heidelberger
Akademie der Wissenschaften. Philos.-hist. Klasse. Jg. 1985. 1.
DM 34,-.

Jaspert. Bernd: Sackgassen im Streit mit Rudolf Bultmann. Hcrme-
neutische Probleme der Bultmannrezeption in Theologie und
Kirche. St. Ottilien: EOS-Vcrlag 1985. 1I7S., I Taf. 8*. Kart.
DM 8.80.

In Ergänzung zu meinem Aufsatz „Rückblick auf das Bultmann-
Gcdenkjahr 1984" (ThLZ I 10, 1985. 641 ff) mache ich hier noch auf
zwei kleinere Publikationen aufmerksam, die erst ein Jahr nach dem
Bultmann-Gedcnkjahr erschienen sind, die aber beide verdienen, in
diesem Zusammenhang noch genannt zu werden.

Eberhard Jängel, der Vf. der zuerst genannten Publikation, hat (wie
schon damals gesagt) das Verdienst, zusammen mit K. B. Müller Bultmanns
„Theologische Enzyklopädie" (Tübingen 1984) herausgegeben
zu haben (dazu a.a.O., 6430- Daß gerade der renommierte
Tübinger Systematiker nun aus der intimen Kenntnis der Theologie
Bultmanns und als mit dessen einzigem systematisch-theologischem
Werk bestens vertrauter Mann ein systematisch-theologisches Büchlein
über den Systematiker Bultmann geschrieben hat, ist ein besonderer
Glücksfall. Man merkt Seite für Seite mehr, mit welcher Souveränität
, gewonnen aufgrund bester Sachkenntnis und seines hervorragenden
Darstellungs- und Urteilsvermögens, er in Bultmanns
Denken einführt. Ein Glücksfall ist es auch, daß er dessen Theologiebegriff
thematisiert. Er gibt seinen Ausführungen den Titel, den Bultmann
zur Kennzeichnung seiner Aufsätze verwendet hat: „Glauben
und Verstehen", weil wir in ihnen den Exegeten als Systematiker am
Werke sähen. Mit Recht urteilt Jüngel im Sinne Bultmanns (S. 13):
..Swematischc Theologie ist für Bultmann konsequente, d. h. auf die
Existenz des gegenwärtigen Menschen ausgerichtete Exegese."

Das kleine Bändchen ist wie folgt gegliedert: I. Einleitung; II. Exi--.
Stenz - Wissen - Wissenschaft; III. Theologie als Wissenschaft -
Vorbegriff; IV. Glauben und Verstehen im Neuen Testament; V. Was
ist Theologie?; VI. Glauben und Verstehen - Die Vorzüge der Bult-
mannschen Verhältnisbestimmung; VII. Kritische Rückfragen. Ein
Spezifikum von Jüngels Ausführungen ist, daß er Bultmann nicht nur
von Martin Heidegger, sondern auch im wissenschaftstheoretischen
Sinne von Aristoteles her interpretiert.

Zum Verhältnis Bultmann -Heidegger. Jüngel hat vor allem S. 25 ff
auf das nicht einfach zu beurteilende Verhältnis beider aufmerksam
gemacht. Hier nur wenige Hinweise: Heideggers Vortrag „Phänomenologie
und Theologie" (1927/28) könne man als authentischen
Kommentar zu Bultmanns Darlegungen lesen. Jedoch (S. 55): „Bultmann
habe in größter Nachbarschaft zu den Gedanken Heideggers
nun doch darin einen tiefgreifenden Unterschied gesehen und geltend
gemacht, daß der Glaube nicht in eine unbestimmte Ferne, sondern
auf das dem Menschen in Gestalt eines bestimmten Wortes nahekommende
, das Diesseits neu qualifizierende Jenseits hört."

Vielleicht sieht aher die interessanteste Bemerkung in einer Anmerkung
(S. 20. Anm. 44): „Heidegger hat sich schon in seinem 1929 erschienenen Buch
■ Kant und das Problem der Metaphysik' . .. gegen das anthropologische Miß-
uiMandnis von .Sein,und Zeit" verwahrt. Doch Bultmann hat die Daseinsanalytik
von .Sein und/dt" immer als Fundamcntalanthropologie aufgefaßt

und die fundamentalontologische Intention Heideggers, der Frage nach dem
Sein den Boden zu bereiten, im Grunde ignoriert. Inwieweit er gerade dadurch
die Freiheit der Theologie gegenüber einer drohenden babylonischen Gefangenschaft
im .Hause des Seins' gewahrt hat, darf zumindest gefragt werden." In
diesem Zusammenhang wiederhole ich. was ich ThLZ 110. 1985. 641 ff. gesagt
habe: Ein dringendes Desiderat der theologischen und philosophischen Forschung
ist immer noch die Erforschung des Verhältnisses von Bultmann zu
Heidegger. Was bisher dazu gesagt worden ist. geschah sicherlich weithin auf
hohem wissenschaftlichen Niveau, geht jedoch nicht an den Kern des
Ganzen.

Zu Bultmann und Aristoteles: Bultmann hat sich eigenartigerweise
kaum zu Aristoteles geäußert. Trotzdem ist das Einbringen der aristotelischen
Wissenschaftskonzeption und der Vergleich mit dem Theologieverständnis
Bultmanns äußerst sinnvoll und gehört zu den
bemerkenswertesten Partien der Ausführungen Jüngels. Bultmann
folgt Luther im Verständnis der Theologie als praktischer Theologie.
Diese Kritik des Verständnisses der Theologie als einer theoretischen
Wissenschaft könne zwar gemäß der aristotelischen Unterscheidung
von ßloi üeojpt]t}xdc und ßioz npaxrtxoz die Theologie als zu letzterem
gehörig erscheinen lassen. Doch trüge hier der Schein, da nach Aristoteles
das xihtc der praktischen Wissenschaft das Werk sei. Jedoch
(S. 500: ..Für Luther" - und somit auch für Bultmann - „zielt aber
nun gerade die emphatisch als praktisch gekennzeichnete Theologie
auf Wahrheit, während sie das menschliche Werk in einem präzisen
Sinne - nämlich im Sinne von Rom 3,28 - ausschließt." Somit
bestehe der Praxisbezug der Theologie nach Bultmann in formaler
Hinsicht darin, „dem Menschen das wahre Verständnis seiner selbst
und seiner Welt zu ermöglichen" (S. 53). Das gelte erst recht hinsichtlich
der materialcn Bestimmung (S. 53): „Für Bultmann besteht der
Praxisbezug der Theologie in der Ermöglichung eines dem Kerygma
entsprechenden neuen Verstehcns meiner selbst im jeweiligen
Augenblick."

Zum Schlußkapitel „Kritische Rückfragen": Diese werden aus der
soliden Kenntnis der philosophischen Voraussetzungen Bultmanns
gestellt.

Das ist gerade angesichts älterer und, ärgerlicher noch, neuerer Primitivismcn
in der Bultmann-Kritik ein unverzichtbares Postulat. Mit Recht spricht Jüngel
vom grotesken Mißverstehen, von „Mißverständnissen, die in der Regel eine
fatale Lcscunfähigkcit und Dcnkunwilligkcit verraten" (S. 68). In der Tat kann
man hier nicht scharf genug über gewisse Elaborate urteilen, die z. T. aus der
Feder von sonst renommierten Vertretern der wissenschaftlichen Theologie
stammen!

Jüngel ist beizupflichten, wenn er gegen Bultmann darauf insistiert,
daß die Frage nach der Wahrheit nicht auf die Frage reduziert werden
darf, „wie ich den Augenblick verstehe", weil durch eine solche
Reduktion die Möglichkeit des durch den Augenblick gewährten Ver-
stehens nicht mehr kritisch gegen die Wirklichkeit z. B. der Überlieferung
geltend gemacht werden könnte (S. 70). Er trifft hier die eigentliche
Schwachstelle im Denken Bultmanns, nämlich das Verhältnis
von Geschichte und Geschichtlichkeit. Da ich mich darüber oft genug
geäußert habe, verzichte ich hier auf Explikation, zumal der Platz
begrenzt ist. Eine Diskussion, die ebenfalls aus Platzgründen hier
nicht geführt werden kann, die aber darüber hinaus auch ihren „Sitz
im Leben" nicht in einer Rezension hätte, ist erforderlich hinsichtlich
Jüngels Kritik, daß Bultmanns Theologiebegriff nicht recht dem Kon-
trollierbarkeitspostulat genüge (S. 75). Er hat mit dieser Kritik ebenfalls
einen Punkt berührt, an dem Bultmanns Denken zumindest
weiterer begrifflicher Klärung bedarf. Diese wissenschaftstheoretische
Frage sollte aber nur unter denjenigen Forschern debattiert werden,
die Bultmanns Theologie und zugleich seine philosophischen Voraussetzungen
kennen. Ich formuliere es als Bitte: Wem die notwendig zu
fordernden philosophischen Detailkenntnisse fehlen, möge sich bitte
aus dieser Diskussion heraushalten.

Auch den zweiten Autor, Bernd Jasper!, habe ich bereits in meinem
Bericht über das Bultmann-Jahr genannt, nämlich als Herausgeber
der hervorragenden Gedenkschrift „Rudolf Bultmanns Werk und
Wirkung"1. Auch er ist ein guter Kenner des Marburger Theologen.