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Ausgabe:

1987

Spalte:

829-833

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Repp, Martin

Titel/Untertitel:

Die Transzendierung des Theismus in der Religionsphilosophie Paul Tillichs 1987

Rezensent:

Clayton, John

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 11

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lassen" (60). In dem Abschnitt „Jesus Christus" (134-137) referiert er
durchweg nur aus De docta ignorantia III. Seltsamerweise schreibt er
dort aber Cusanus diese (seine eigene) ihm schnurstracks widersprechende
Ansicht zu- „Es wäre falsch, Jesus-Christus als einen in
gewisser Hinsicht hervorragenden Menschen zu denken" (135). - Die
Kritik an dercusanischen Trinitätslehre läuft (640 darauf hinaus, daß
bei dieser die nötige Unterscheidung von philosophischem und theologischem
Glauben und Denken fehle. Doch daß die Dreieinheit in
Gott nicht auf Grund von philosophischen Beweisen, sondern im
„christlichen" Glauben zu bekennen ist, das war auch Cusanus wohl
bewußt. Ja, gerade dieser Glaube bestärkt in seiner Sicht auch darin,
daß die „Denkbewegungen" und der „Aufschwung" der „Vernunft",
des menschlichen Geistes als des „Abbildes des göttlichen Urbildes"
(640, nicht ins Leere gehen, sondern Sinn und Ziel haben. Eben
darum endet für Cusanus auch der Sinn der eigentlichen „Chiffern"
(Glaubenssymbole) nicht an der „Mauer", und dienen diese vielmehr
(beim Einklang von Glauben und Wissen) dem analogen Verstehen
„bestimmter Glaubensinhalte der Offenbarung" (vgl. 680- - Nochmals
: Daß „der philosophische Glaube", der sich (nach J.) oft nur auf
„vieldeutige" und „sich widersprechende Überlieferung" stützt, je
nachdem in dem „Offenbarungsglauben", der „sich auf Schrift, Wort
Gottes, Kirche, Überlieferung gründet", bestätigt werden kann, das
liegt keineswegs „außerhalb des Horizontes des Cusanus" (so 72). Es
entspricht vielmehr von Grund auf seiner philosophisch-theologischen
Intention der Hinführung (manuductio): von der eigenen
menschlichen Selbsterfahrung her zu einem (wenn auch nur analogen,
so doch) möglichst wahren Verständnis Jesu Christi und der geheimnisvollen
Dreieinheit in Gott.

J. bleibt indes bei seiner philosophischen Entscheidung „gegen das
trinitarischc Denken", u. zw. letztlich darum, weil es für seine „Existenz
im Raum der Chiffern ... kein zu erforschendes Sein der Transzendenz
an sich" gebe (109). Damit stellt er uns freilich vor die Frage:
Welchen Sinn verbindet er dann überhaupt noch mit dem Wort
„Metaphysik"? Doch auch danach spricht er u. a. sogar noch von
„Schöpfung Gottes" (118). Im III. Teil (138fO unterscheidet er
sodann Cusanus von der „modernen Naturwissenschaft" vor allem
so: „Bei Cusanus sind Welt und,Weltwissen getragen von Gott und in
ihm geborgen ... Erst das, was unter Preisgabe aller metaphysischen
Motive wissenschaftlich allgemeingültig wird, ist moderne Wissenschaft
" (150). Auch im IV. Teil „Die Aufgabe des Menschen" (I57f0
schreibt J. Cusanus darum, weil er „die Probleme in ihrem metaphysischen
Grund deutet,. . . einen Seinshorizont von großer Weite"
zu (186). In radikalem Unterschied zu Cusanus verwirft J. selbst
jedoch schließlich um der Freiheit der eigenen Existenz willen alle
„Visionen von Schönheit und Klarheit und Wahrheit des harmonischen
Seins im Ganzen ..., wenn sie mehr sein wollen als verschwindende
Chiffern des im Augenblick Erfahrenen" (253).

Mainz/Trier Rudolf Haubst

Repp, Martin: Die Transzendierung des Theismus in der Religionsphilosophie
Paul Tillichs. Frankfurt (M.)-Bern-New York: Lang
1986. VII. 331 S. 8' = Europäische Hochschulschriften. Reihe
XXIII: Theologie, 273. Kart, sfr 68,-.

Gegen Ende seines Buches Der Mut zum Sein gab Paul Tillich der
Hoffnung Ausdruck, daß der Zweifel und die Sinnlosigkeit, die nach
seiner Analyse jeden konkreten Glauben an einen persönlichen Gott
notwendigerweise bedrohen, schließlich überwunden werden können,
wenn der Theismus selbst durch den „absoluten Glauben" an den
„Gott über Gott" transzendiert wird. Die Erhellung dieser kryptischen
Bemerkungen ist das Hauptziel von Martin Repps lebendiger
Untersuchung „Die Transzendierung des Theismus in der Religions-
philosophic Paul Tillichs". Dieses Buch, dem eine von Carl Heinz
Ratschow betreute Marburger Dissertation zugrundeliegt, ist eine
bemerkenswerte Neuerscheinung in der wachsenden Literatur zu Paul
Tillich. dessen Geburtstag vor 100 Jahren 1986 gefeiert wurde.

Im Einleitungskapitel stellt der Vf. fest, daß Tillichs gesamte Religionsphilosophie
und speziell seine These von der Transzendierung
des Theismus als Antwort auf das Problem des neuzeitlichen Atheismus
gedacht ist. In diesem Zusammenhäng erscheint es, wie Repp
hervorhebt, als Ironie der Theologiegeschichte, daß Tillichs Rede von
der Transzendierung des Theismus von den sog. „Tod-Gottes"-Theo-
logen in den sechziger Jahren immer wieder als Bestätigung ihres
Anliegens angeführt wurde, obwohl sie de facto eher gegen sie gerichtet
war. Repp erklärt diesen eigentümlichen Umstand mit dem Hinweis
, daß die amerikanischen „Tod-Gottes"-Theologen fälschlicherweise
von der Annahme ausgingen, Tillich teile ihre eigenen
empiristischen Voraussetzungen, während seine Gotteslehre in Wahrheit
in der idealistischen Tradition tief verwurzelt ist und darauf
abzielt, dem in dieser Tradition hervorgebrachten Atheismus Feuerbachs
entgegenzutreten. Vor diesem Hintergrund wird Tillichs
unerschütterliche Überzeugung verständlich, daß der Glaube an Gott,
wenn er der Flut von Zweifel und Unglauben standhalten will, nicht
auf den Glauben an ein gegenständliches Seiendes - und sei es das
„höchste Wesen" - reduziert werden darf.

In Kapitel 2 zeigt Repp, daß die Suche nach Gewißheit für den Gottesglauben
von Anfang an die Kernfrage von Tillichs Religionsphilosophie
gewesen ist. In diesem Kapitel greift der Vf. auf unpubliziertes
Material aus dem Tillich-Archiv in Marburg und auf die postum herausgegebene
Korrespondenz zwischen Tillich und Hirsch aus den letzten
Jahren des ersten Weltkriegs zurück. Schon in diesen Briefen entwickelte
Tillich seinen Vorschlag, die reformatorische Lehre von der
Rechtfertigung so zu radikalisieren, daß sie auch die Rechtfertigung des
Zweiflers, des Ungläubigen oder Gottlosen umfaßt.
Die nächsten beiden Kapitel sind der Untersuchung von zwei unterschiedlichen
Versuchen Tillichs gewidmet, ein nicht-gegenständliches
Gottesverständnis zu formulieren, und konzentrieren sich auf
die Formeln „das, was mich unbedingt angeht" und das „Sein-Selbst".
Dabei zeigt sich, daß die erste Formel während der zwanziger Jahre
schrittweise aus früheren Konzeptionen wie „die Erfahrung des
Unbedingten" und „das Erfassen des Unbedingten" entwickelt wurde.
Repp argumentiert, daß unter dem zunehmenden Einfluß von exi-
stentialistischen und lebensphilosophischen Ansätzen der Begriff des
Unbedingten von dem Ausdruck „das, was mich unbedingt angeht"
ersetzt wird, der den „nicht-gegenständlichen Gegenstand der Religion
" bezeichnen soll. Er sieht diese Ersetzung als eine natürliche
Konsequenz von Tillichs Bestreben, von „Gott" in nicht-gegenständlicher
Weise zu reden. Neben dieser gänzlich funktionalen Definition
von „Gott" redete Tillich jedoch auch in ontologischer Begrifflichkeit
vom „Sein-Selbst". In seinen frühesten Schriften wurde „Ontologie"
selbst noch mit Vergegenständlichung in Verbindung gebracht. Bis
1927 hatte Tillich jedoch eine neue Ontologiekonzeption entwickelt,
die das Ergebnis seiner Abwendung von dem transzendentalen Idealismus
seiner frühesten Schriften und seiner Zuwendung zu einem
transzendentalen (d. h. „gläubigen") Realismus präsentiert. Diese
Entwicklung beinhaltete weitere Korrekturen an Tillichs Verständnis
der Verbindung von Ontologie und Theismus, die dazu führen, daß
jedes personalistische Gottesverständnis nun notwendigerweise als
Objektivation betrachtet wurde. Das scheint jedoch dazu zu nötigen,
jedes soteriologische Verhältnis zu Gott (wie es die reformatorische.
Theologie in der Formel vom deus pro nobis thematisierte) zu
Gunsten einer rein kosmologischen Konzeption des göttlichen
Wesens (als deus a se) aufzugeben. Obwohl es Tillich ablehnt, Personsein
von Gott zu prädizieren, hatte er keine Schwierigkeiten von Gott
als dem lebendigen Gott zu sprechen. Das verleiht dem göttlichen
Sein ein konkretes Moment ohne in Anthropomorphismus zu verfallen
. Es gibt Tillich auch die Möglichkeit, der Trinitätslehre einen zentralen
Platz in seiner philosophischen Gotteslehre zu geben. Nach
Repp, der die Auffassung vertritt, daß Tillichs Theologie - er nennt sie
„Theontologie" - letztlich in seiner Ontologie begründet ist, und
nicht umgekehrt, sind die idealistischen Prämissen von Tillichs Denken
nirgendwo klarer zu sehen als hier.