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1987

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 11

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Metaphysik", 1976) konzediert Übereinstimmungen im „sensus lite-
ralis", bekräftigt aber des Vf. andere Sicht vom Verhältnis von Theologie
und M. in der lutherischen Orthodoxie und der Verfassung jener
und überhaupt „der" M. (236). Literaturverzeichnis, Personen- und
Sachregister schließen das Buch ab.

Eine brillante dogmatische Studie im Dienst der Aufgabe, das
Denken vor das Kreuz als Ort theologischer Evidenz zu bringen und
anders als die traditionelle Gotteslehre Jedem metaphysischen Gottesbegriff
vom Verständnis Gottes . . . fernzuhalten" (zit. E. Jüngel, 2;
180, 1920- Als historischer Dienst ist sie, wenig in ihren historio-
graphischen Mängeln (Freiheiten wie „entgegenläuft" für obvium 98,
„Mangelphänomen" für nihil negativum 163 u.a.; Benutzung der
Quellen ohne Prüfung ihrer Zitate, etwa Bellarmins oder der Sozinia-
ner; Auswahl der Quellen - Erbauungsschriften? Tübinger?), um so
mehr in der Funktionalisierung der Historie durch das dogmatische
Interesse überaus problematisch. In der Tat, man muß mit G.s „theologischer
Position" (II) „kritischer" umgehen „als nach dem Maßstab
historischer Gerechtigkeit angemessen sein mag" (2), wenn man die
historische Distanz zu ihm in ihn projiziert und an G. den ihm (noch)
verborgenen Unterschied zwischen „Vernunft" und „metaphysischer
Vernünftigkeit" und den ihm ebenso (noch) verborgenen Gegensatz
zwischen „der christlichen und der metaphysischen Veranlassung,
von Gott zu reden" (3, 213) vollzieht. Vf. stellt das von vornherein
klar und fragt sich auch, ob diese Verborgenheit etwa nur unterstellt
sei (gerade G. hewahre sich ein „Differenzbewußtsein" zur M. und
ihrer Theologie! 12), die angeblichen Spannungen und Widersprüche
also nur Ausdruck dafür seien, daß G. eine andere theologische Position
vertrete: Sie treten, als biblisch und reformatorisch veranlaßte
„metaphysikkritische Tendenz" und als m. veranlaßte Entfernung
von biblischen und reformatorischen Ansprüchen, innerhalb des
Systems auf(215f). Das ist jedoch eine zirkuläre Antwort dann, wenn
jene Verwerfungen nicht, wie Vf. unterstellt, einfach „unterlaufen"
und „Störungen der beabsichtigten Einheit des Systems" darstellen
(215), sondern von G. aus guten Gründen in Kauf genommen oder gewollt
sind. Vf. überblendet solche Gründe. Insbesondere überbeansprucht
er G.s „systematisches Denken" im neuzeitlichen Sinn (38; in
die „Bedingungen der Möglichkeit" eines Faktischen zurückdenken,
142, 194 u. ö.); übergeht fast G.s Insistieren auf der bleibenden Disparität
der Naturen in Christus (24,29, „Verschiedenes" 175); läßt die
Absicht G.s, die christologischen Seinsaussagen bloß neben die m. zu
stellen, nicht als theologische gelten (27; 170, 173, 183). War es wirklich
immer ausgemacht, daß die m. Prädikate aus Gott herausgedrängt
werden müßten, „bis auch die letzten Provinzen des lieblosen Gottes
erobert (wären) von dem Ereignis der unio als SW/j.soffenbarung"
(179)? Gewiß, Vf. stellt „zumutbare Fragen" an G., aber die „theologische
Sachlichkeit", an der er G.s Antworten mißt, ist derart „dia-
chron" (238, 240), daß diese nur die Wahl haben, entweder metaphysisch
oder „theologisch glückliche Inkonsequenz" (206; 192f,
207, 216) zu sein. Gehört eine solche .Eroberung' des historischen
Terrains etwa zur christologischen Eroberung der m. Provinzen in
Gott? Dann wäre das Programm, die m. Ontologie (des Sünders!
5,204) zu ersetzen durch eine fundamentalchristologische Ontologie
des Ereignisses, des Seins aus geschichtlichen Bezügen (170,223 u. ö.),
sich in seiner spezifischen Modernität seinerseits noch ,verborgen'.
Über beides, die historische und die dogmatische Absicht, lohnt
weiterzustreiten.

Bayreuth Walter Sparn

Egerding, Michael: Gott erfahren und davon sprechen - Überlegungen zu
Gedanken der deutschen Mystik (EuA 63,1987,95-106).

Kandier. Karl-Hermann: Die Abendmahlslehre der lutherischen Orthodoxie
(KuD33, 1987,2-22).

Rosato. Philip J.: The Influence of Karl Barth on Catholic Theology (Gr. 67,
1986,659-678).

Wenz, Gunther: Zwischen den Zeiten. Einige Bemerkungen zum geschichtlichen
Verständnis der theologischen Anfänge Karl Barths (NZSTh 28, 1986,
284-295).

Philosophie, Religionsphilosophie

Jaspers, Karl: Nikolaus Cusanus. Neuausgabe. München-Zürich:
Piper 1987.271 S. 8' = Serie Piper, 660. Kart. DM 16,80.

Wer die „Inhaltsübersicht" dieses engagierten Cusanus-Buches
liest, mag zunächst den Eindruck einer philosophiegeschichtlichen
Darstellung haben, die den christlichen Offenbarungsglauben und die
Persönlichkeit des Cusanus mit berücksichtige.

Jaspers selbst möchte sich indes keineswegs auf das historisch
Erhebbare beschränken: „Würde es bei der historischen Auffassung
des Cusanus bleiben, so würde er abermals - in den Archiven der
Historie untergebracht - vergessen werden. Er würde der Wirkung
dessen beraubt, was er selbst eigentlich war und dachte. Die Aufgabe
ist, gegen die historische Verzettelung ihn selbst zum Sprechen zu
bringen" (215). Dabei sind J. freilich historische Unkorrcktheiten wie
die unterlaufen, daß Nikolaus von Kues nicht nur während des
Aufenthalts Pius II. (bis Januar 1460) zu Mantua, sondern bis zu
seinem Tode „Generalvikar in Rom" gewesen sei. S. 162 wird z. B.
auch ein Text aus De docta ignorantia 111,12 zitiert, der dort nicht zu
finden ist. Unhistorisch ist vor allem die Einseitigkeit, mit der J. (im V
und VI. Teil) „Widersprüche" im Verhalten sowie die „Wirkungslosigkeit
des Cusanus" betont. In der Gesamtkomposition des Buches
entspricht dies allerdings der These, in der alles gipfelt: „Groß ist
Cusanus nur durch seine Metaphysik." Er „ist einer der .ursprünglichen
Metaphysiker' und nur dies" (262).

Über die Entstehung dieses Werkes teilte J. selbst mir am 29.4.
1964 dies mit: „Unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg las ich
Cusanus, ergriffen von der Großartigkeit dieser Metaphysik. In einigen
ihrer Antriebe, Grundbegriffe und erleuchtenden Sätze, so wie ich
sie verstand, machte ich sie mir damals zu eigen ... Seinen christlichen
Glauben und seine kirchenpolitischen Probleme ließ ich beiseite
. Als ich jetzt, dankbar für das Empfangene, Cusanus für mein
Werk ,Die großen Philosophen' darstellen wollte, meinte ich: in sechs
Wochen werde ich fertig sein. Ich brauchte neun Monate. Von neuem
las ich Cusanus ... Den christlichen Glauben des Cusanus konnte ich
nicht mehr vernachlässigen und auch nicht seine Kirchenpolitik.
Aber der Sinn meines Buches ist, an der Aneignung des Cusanus für
gegenwärtiges Philosophieren mitzuhelfen."

Fassen wir daraufhin die Art des Nachvollzugs der cusanischen
Metaphysik näher ins Auge. Der I.Teil (23-91) setzt mit dem
„Grundgedanken der cusanischen Spekulation" ein: Da es „vom Endlichen
zum Unendlichen kein Verhältnis" (genauer wäre: Größenverhältnis
, proportio) gibt, ist „das Unendliche der Gottheit zwar
nicht durch Verstandeswissen, wohl aber im Nichtwissen des Verstandes
durch Vernunft berührbar" (25). „Die Grenze des Verstandes
(= ratio) ist durch die coincidentia oppositorum bestimmt." Dieser
„Zusammenfall" (besser wäre: Ineinsfall) setzt auch „der nach dem
Reich des Unendlichen drängenden Vernunft (= intellectus) die
Grenze ... Eine Mauer schließt den Bereich der Gottheit ein. unüber-
schreitbar für uns" (das führen in De visione Dei die Kap. 9ff aus).
Den tiefen Sinn dieser Symbolik bei Cusanus selbst treffend, fährt J.
fort: „Aber das Jenseits der Mauer ist wirksam, alles begründend
gegenwärtig. Wir scheitern an der Mauer, wenn wir sie durchbrechen
möchten, aber wir erfahren die Mauer als das Zeichen der Gottheit,
die uns hält" (26). Nehmen wir noch einige Zitate aus Cusanus in
Teil I und II (92-134), die der Verdeutlichung dienen, hinzu, so ist
damit aber auch schon die äußerste Grenze erreicht, bis zu der
J. Cusanus folgt. Seine Begeisterung für dessen Metaphysik endet
dort.

Wie in seinem zwei Jahre älteren Werk „Der philosophische
Glaube angesichts der Offenbarung" beschränkt J. sich nämlich auch
hier „in einem Glauben, der als Vernunft ... sich selbst verdankt"
(58), dezidiert darauf: „Wir eignen uns Gedanken seines (des cusanischen
) großgearteten menschlichen Selbstbewußtseins "an, ohne an
Christus zu denken", „ohne uns vom Christentum berühren zu