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Ausgabe:

1987

Spalte:

825-827

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schröder, Richard

Titel/Untertitel:

Johann Gerhards lutherische Christologie und die aristotelische Metaphysik 1987

Rezensent:

Sparn, Walter

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 11

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Es gehört zu diesem Ergebnis mit, daß Luther nach der Meinung des
Vf. in dieser Frage seine Lehrweise nicht verändert hat. Dieses Thema
wird im dritten Teil der Abhandlung weiterentwickelt, indem der Vf.
sich gegen einige Lutherinterpretationen wendet, die mit einem Umschwung
in Luthers Denken am Anfang der 20er Jahre rechnen (Bizer,
Bayer, Kroeger). Zur Frage des „reformatorischen Durchbruchs" will
er trotzdem nicht Stellung nehmen, und man kann auch zugeben, daß
seine Darstellung zu einer Klarheit in dieser Frage kaum beiträgt
(z. T. weil die Prämissen hier zu einem anderen Gebiet als der Bußlehre
gehören). Soweit ist das Ergebnis aber klar, daß er eine Veränderung
in Luthers Theologie, die die Divergenz zwischen ihm und Agri-
cola erklären konnte, in den relevanten Texten nicht gefunden hat.

Der Darstellung ist hier und da schwer zu folgen, besonders in den
eingehenden paraphrasierenden Darlegungen der Agricola-Texte.
Aber vor allem als bedeutende Vorarbeit zu einer Klärung und Würdigung
des Antinomerstreites 1537-1540 ist diese Abhandlung eine
Leistung von bleibender Bedeutung für die Reformationsforschung.

Lund Bengt Hägglund

Schröder. Richard: Johann Gerhards lutherische Christologie und die
aristotelische Metaphysik. Tübingen: Mohr 1983. VI, 257 S. gr. 8°
= Beiträge zur historischen Theologie, 67. Lw. DM 78,-.

Die in Berlin (DDR) vorgelegte Qualifikationsschrift will im kritischen
Gespräch mit G.s „Loci theologici", einer „Theologie im
Schatten der Metaphysik" (III), die gegenwärtige Problematik von
Theologie und Metaphysik (= M.) voranbringen: Christliche Theologie
ist heute nur dann zu verantworten, „wenn sie nicht das Schicksal
der metaphysischen Gotteslehre teilen muß" (213).

Die Einleitung geht davon aus, daß die christologische Sache dieselbe
geblieben ist, die hermeneutische Situation sich jedoch durch
unsere Distanz zur Metaphysik, der einstigen Selbstauslegung der
Vernunft schlechthin, verändert hat. Die lutherische Orthodoxie
greift auf die m. Tradition zurück und verabschiedet die pseudo-
tormale Dialektik Melanchthons, entzieht die m. Prägung der Vernunft
aber ihrerseits der Nachfrage: Das Problem der M. mußte für sie
»verdeckt wiederkehren", aufweisbar nur in „Spannungen, Aporien
und Widersprüchen im theologischen System" (11). Der /. Abschnitt,
..Das Problem der Metaphysik in Gerhards Theologie" (14-39) erklärt
die schulphilosophischc M. (Scheibler) als durchgängige „Einheit
von Ontologie und Theologie" (17), orientiert an immergleichem,
autarkem Sein, für das Gott Garant und Ideal ist; was neu, „de facto"
geschieht, kann sie nicht wahrnehmen. G.s „Methodus studii theologici
" versteht die Theologie als „Meta-Metaphysik" (28), die, vermeintlich
autonom, das an Begriffen und Aussagesätzen orientierte m.
Sprachverständnis übernimmt und so ihre Texte einer „metaphysischen
Entmythologisierung" (31) aussetzt; etwa die m. Lehre vom
Wesen Gottes bloß .biblisch' verdoppelt. Doch muß die Christologie,
die von einem „factum est" ausgeht und sich auf „Gott" und
..Mensch" überhaupt bezieht (38), einen Prüfstein der tatsächlichen
Verhältnisse abgeben.

Der 2. Abschnitt sucht den „Ort der Christologie in der Methodus
universalis" (40-61) auf und stellt, schon in G.s Abweichen vom
heilsgeschichtlichen Aufriß der Loci, in der Zweiteilung der Gotteslehre
(Wesen - Willen) und in der Doppelung des Orts, d. h. des dogmatischen
Ansatzes der Christologie und der Lehre vom Wort Gottes
(Erkenntnisprinzip - mündlicher Zeuge), einen „Tendenzkonflikt"
zwischen reformatorischem Ansatz (ordo cognoscendi, aposteriorisch
) und aristotelischem Wissenschaftsideal (ordo essendi, apriorisch
, poietische Theologie) fest, das den „Verlust der geschichtlichen
Dimension" und der „fundamentaltheologischen Relevanz" des
Rechtfertigungsgeschehens bzw. der Christologie bedeutet (520- „Die
christologischen Bezüge der Rechtfertigungslehre" (i. Abschnitt,
62-97) besagen gut reformatorisch eine seinsstiftende relatio perpetua
zwischen Wort und Glaube oder verstehen das Wort nicht als zeitloses

Signum, sondern als Ereignis; andererseits unterwirft G. die Rechtfertigung
mittels des (freilich oft modifizierten) Kausalschemas dem
„Seinsideal der Substanz" (71): Der Glaube, auf Seelenvermögen verrechnet
, wird intellektualistisch verdoppelt, das propter Christum
überträgt, der Anselmschen Rationalität folgend, die Autarkie des
göttlichen Wesens auf die trinitarischen Personen: „christologische
Werkgerechtigkeit" (95).

Auch „Gerhards christologisches System" (4. Abschnitt, 98-211),
ist von der Ambivalenz im Verhältnis zur m. Tradition geprägt. Allerdings
, alles Gewicht liegt auf der Personlehre, auch die Ständelehre
gehört hierher, d. h. zum genus majestatis der Idiomenkommunikation
(1. Aufl. 1610 - Exegesis 1625): „Christologie entscheidet sich
dort, wo es um das Sein Jesu Christi geht" (107). Aber die ontolo-
gische Entfaltung des Grundsachverhaltes der unio hypostatica
(108-181) wird schon von dem (vorneuzeitlichen) Sinn von persona
und natura, der seinsstiftende Bezüge nur am Punkt des Bewirktwerdens
eines dann per se Subsistierenden zuläßt, auf „Inkarnations-
christologie" (119) festgelegt. Im vere Dens (120ff) hat die Trinitäts-
lehre keine Funktion; diese denkt zwar Sein als Beziehung, läßt aber
(da G. die Erkenntnisbedeutung der ökonomischen Trinität mit bloß
deduktivem Schriftbeweis gerade aufhebt) die drei Personen, zumal
den Geist, als bloße „Triplikation" (128) des absolut einen, immanent
reflexiven Wesens erscheinen: „Deus ineurvatus in se" (132). Beim
vere homo (142ff) stellt G. sich zwar gegen jede Idealanthropologie,
denkt Gottebenbildlichkeit und Jesu Menschsein gleichwohl in
„metaphysischer Würde" (153): Jesu Armut ist verdienstlich getragener
Mangel, seine Sündlosigkeit ist in utero konstituierte, autarke
„Verfaßtheit" (158). Trotz „Jungfrauengeburt" und „Anhypostasie"
wird der Irdische, dem Kanon des theoprepes angemessen, zum ver-
göttlichten Menschen: „christologia gloriae" (166). Ebenso legt G. die
unio personalis (166ff) von jenem Faktum her aus, das Gott und
Geschichte zusammenbringt („berichtende" propositiones personales
, hypostasis synthetos als „Gottes Werden", 1750: aber gegen das
„Extracalvinisticum" argumentiert er seinerseits m., das gegen sein
vergöttlichendes Verständnis der Enhypostasie geradezu Recht hat.
„Angesichts der Texte" wird der Irdische aber noch einmal zum
Thema: communicalio idiomatum (181-211). Strukturell zwar m.
und in utero gedacht, wird sie, angesichts des „wahren" Leidens
Gottes am Kreuz, um ein genus tapeinotikon erweitert (188). G. ordnet
dies freilich ein, ja entschärft es zur bloßen Appropriation des
Leidens durch den Logos ensarkos - G.s eigenes „Extracalvinisticum
"! (194; 204). Die „lutherische Grundlehre" des genus majestatis
(195ff) spitzt die theologische und m. Aporie zu: Weil unendliche
Eigenschaften einem endlichen Menschen nicht mitgeteilt werden
können, weil der m. Gott gar nicht Mensch werden kann, wird hier
„die familiaritas, die .Menschlichkeit' Gottes so'gedacht, daß Gott
noch einmal gedacht wird - in der menschlichen Natur Christi" (203).
Nicht jedoch wird sie sachgemäß in Gottes innerstes Wesen zurück,
d. h. trinitarisch gedacht, vielmehr schirmt die bloß in „Stellvertreterfunktion
" (208) wichtige Menschheit Jesu das m. Wesen Gottes
wiederum ab, und ihre Armut muß, als Unvollkommenheit m. entmythologisiert
, wiederum als vergottet gedacht werden. Der „Mensch
Gottes" (Ständelehre, Phil 2,4ff) wird „so mit hineingerissen in den
unwiederstehlichen Zug des metaphysischen Gottes nach oben"
(209; 157,166).

Der 5. Abschnitt (212-219) ordnet die Befunde: Die beobachteten
Widersprüche im System haben „Methode" (214): G. will, von ihm
selbst zwar nicht bemerkt, „das Unvereinbare vereinbaren ... die
metaphysische Ontologie des ewig Seienden und die Geschichten der
Bibel" (213). Eine metaphysikkritische Aufgabe, von G. nicht ausdrücklich
und nur punktuell erfüllt, hat die heutige Theologie gegenüber
den Erben der M., dem scheinbar selbstverständlich, über
„wirklich" und „vernünftig" vorentscheidenden „wissenschaftlichen
Denken", mit dem sie um die Phänomene zu streiten hat, als Anwalt
des lebenswichtigen „Konkreten" (217f; 158 A. 16a, 166 A. 30). Ein
Nachtrag (220-245) über die Arbeit des Rez. („Wiederkehr der