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Ausgabe:

1987

Spalte:

823-825

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kjeldgaard-Pedersen, Steffen

Titel/Untertitel:

Gesetz, Evangelium und Busse 1987

Rezensent:

Hägglund, Bengt

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 11

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Tagungsband vorgestellten Problembereiche zeigen nach Materialvermittlung
und Reflexionsvorgängen im ganzen ein hohes Niveau,
auch dort, wo - etwa im kirchenhistorischen Widerstandskapitel -
eine volle Abrundung nicht gelang. Den Hgg. gebührt Anerkennung
für diesen eindrucksvollen Meilenstein auf dem Wege der Widerstandsforschung
, dessen forschungskonzeptioneller Orientierungswert
nicht unterschätzt werden sollte.

Leipzig Kurt Meier

Dietz. Walter: Narkotische Predigten: zu Goethes Kritik an den Predigern
des Wuppertals (MEKGR 35, 1986,175-204).

Meding, Wichmann von: Das Wartburgfest im Rahmen des Reformationsjubiläums
1817 (ZKG 97,1986,205-236).

Sehering, Ernst: Die Hugenotten und die absolutistische Monarchie: zur Differenzierung
der Staatsanschauung des französischen "Protestantismus im
17. Jahrhundert (JHKGV 37,1986. 171-186).

-: Der Widerruf des Edikts von Nantes: Motive und Folgen (MEKGR 35.
1986,251-270).

Stolle, Volker: Kirchenmission im Schatten nationalsozialistischer Macht
(JGNKG 84,1986.183-205).

Dogmen- und Theologiegeschichte

Kjeldgaard-Pedersen, Steffen: Gesetz, Evangelium und Buße. Theologiegeschichtliche
Studien zum Verhältnis zwischen dem jungen
Johann Agricola (Eisleben) und Martin Luther. Leiden: Brill 1983.
X, 395 S. gr. 8" = Acta Theologica Danica, XVI. Lw. hfl 110.-.

Diese umfangreiche Arbeit zur Theologie des jungen Johann Agricola
und zu seinen Beziehungen zur Theologie Martin Luthers wurde
als Abhandlung für den Doktorgrad der theologischen Fakultät an der
Kopenhagener Universität vorgelegt. Der Vf. hat eine doppelte Zielsetzung
. Es geht um eine Würdigung der Theologie Agricolas (bis
1527) durch eine genaue Analyse seiner auf unsere Zeit gekommenen
Schriften und dabei auch um einen Vergleich mit Luther in den Teilen
seines Schrifttums, die hier relevant sind. Ein zweites Ziel ist, einen
Beitrag zum Verständnis des Antinomerstreitcs 1537-1540 zu liefern.
Von hier aus ist es verständlich, daß die Untersuchung sich um die
Fragen, die in diesem Streit im Zentrum des Interesses standen, konzentriert
, wieder Haupttitcl lautet: Gesetz, Evangelium und Buße.

Ein mit dieser Abhandlung gleichzeitiger aber von ihr unabhängiger
Versuch, die Theologie des Agricola zu würdigen, liegt in einem Aufsatz
von Ernst Koch vor mit dem Titel „Johann Agricola neben
Luther" (Lutheriana, Archiv zur WA. Texte und Untersuchungen
Band 5, Köln 1984, S. 131-150). Kochs Arbeit bildet eine wichtige
Ergänzung zu Kjeldgaard-Pedersens Abhandlung, da sie u. a. die Verbindung
Agricola - Tauler erläutern kann.

Da Kjeldgaard-Pedersen nur den jungen Agricola (bis 1527) behandelt
, liegt es außerhalb des Rahmens seiner Arbeit, den Antinomer-
streit direkt darzustellen. Er meint aber feststellen zu können - und
darin liegt ein Hauptergebnis seiner Untersuchung -, daß die theologischen
Gegensätze zwischen Agricola und Luther, wovon der Anti-
nomerstreit handelte, auch in dem frühen Schrifttum zu Tage treten,
wenn auch in subtiler Form und ohne die polemische Zuspitzung der
späteren Debatte. Die Untersuchung ist theologiegeschichtlich, und
das Hauptgewicht liegt auf der inhaltlichen Analyse der relevanten
Texte. In einem einleitenden Abschnitt gibt der Vf. auch eine komprimierte
Darstellung der Biographie Agricolas und behandelt einige
Probleme der Agricola-Forschung.

Durch die Verurteilung von seiten Luthers wie auch durch Agricolas
Stellungnahme in den Interim-Verhandlungen mit seiner Nachgiebigkeit
gegen den Kaiser wurde Agricola in der lutherischen Tradition
mit dem Ketzernamen gestempelt, und der Weg zu einer rechten Würdigung
seiner Theologie bis in modernster Zeit effektiv gesperrt. Der

Vf. kann doch - ein wenig überraschend - sagen, daß Agricola als
siegreicher „lutherischer" Theologe starb. Es geschah im Jahre 1566.
und er hatte damals erfolgreich gegen den Philippismus in Wittenberg
Stellunggenommen.

Gegen die bisherige Agricola-Forschung ist der Vf. recht kritisch. Er
meint, daß alle Versuche, die schließlich die Trennung zwischen Agricola
und Luther psychologisch zu erklären versuchen, Konstruktionen
sind, die mit all zu vielen Unbekannten operieren. Dagegen meint
er, daß die einzige zuverlässige Methode sei, die in den Schriften überlieferte
theologische Arbeit Agricolas und Luthers in ihrem eigenen
Zusammenhang zu untersuchen. Diesem Grundsatz gemäß bietet er
im ersten und größten Teil seiner Arbeit eine eingehende paraphrasie-
rende Darstellung der theologischen Gedanken in Agricolas Schriften
bis 1527. Nur die selbständigen, gedruckt vorliegenden Arbeiten werden
behandelt, vor allem folgende: De capitibus ecclesiasticae doctri-
nae 1524; In Evangelium Lucac annotationes. Praefatio 1525; Eyn
kurtze Verfassung 1525: Auslegung des XIX. Psalm 1525: Ein nützlicher
Dialogus 1525; Evangelion vom Pharisaeer und Zolner 1526:
Der 90. Psalmus 1526 und Epistel an die Colosscr 1527.

Eine umfangreiche Darstellung der theologischen Arbeit Agricolas
wird hier zum ersten Mal gegeben. Wenn man Agricola mit Luther
vergleichen will - und das ist natürlich ein Hauptziel der Abhandlung
-, kann diese Untersuchung als eine notwendige Vorarbeit gesehen
werden. Es ist aber für den Leser nicht leicht, aus diesem in einer laufenden
Paraphrase dargebotenen Material die richtigen Schlußfolgerungen
zu ziehen. Das Hauptergebnis des Vf. ist, „daß die theologische
Differenz zwischen Luther und Agricola von Anläng an existierte
und nicht in ihren theologischen Meinungen zu suchen ist, sondern
ganz einfach in der Art und Weise, in der sie Theologie betrieben,
d. h. die Schrift lasen/hörten" (S. 31). Zwei kritische Fragen stellen
sich hierein: Ist es wahrscheinlich, daß die Divergenz auf dem hermc-
neutischen Gebiet zu finden sei? Und: Wie kann man die An und
Weise, die Schrift zu lesen, prüfen, ohne daß damit eben die theologischen
Meinungen behandelt werden? Die gewählte Methode ist an
sich wenig kompliziert. Der Vf. will durch eine eingehende Analyse
der Schriften Agricolas untersuchen, ob die Elemente seiner späteren,
bekannten Bußlehre schon in seinen frühen Schriften spürbar ist.
Damit kann ein wesentlicher Beitrag zu jeder künftigen Behandlung
der Probleme des Antinomerstreites geleistet werden. Eine solche
Untersuchung durchgeführt zu haben, darin liegt das Neue dieser
Abhandlung.

Das Ergebnis wird dann im 2. und 3. Teil der Abhandlung weiter
bearbeitet, erstens durch einen Vergleich mit Luther (2. Teil) und
dann durch eine Auseinandersetzung mit einigen Lutherforschern in
den Fragen der Bußlehre (3. Teil). Eine deutsche und eine dänische
Zusammenfassung schließen die Darstellung ab.

Der Vergleich mit Luther im 2. Teil bezieht sich auf die Luthertexte
, die während Agricolas erster Wittenberger Zeit erschienen sind
und auf Agricola einen Einfluß ausgeübt haben können. Das Ergebnis
formuliert der Vf. so, daß schon seit dem Beginn von Agricolas gedrucktem
Schrifttum eine Differenz im Verhältnis zu Luther vorliegt
und „daß diese Divergenz subtil und fundamental zugleich ist und
sich am genauesten als ein Unterschied im Schriftverständnis delinieren
läßt, der in der Art und Weise deutlich wird, wie Luther und Agricola
jeweils die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium verstehen
" (S. 380). Der Unterschied liegt - kurz gesagt - darin, daß für
Agricola Gesetz und Evangelium „im Leben des Christen zu einander
ablösenden Zuständen werden", was zur Folge hat, daß er dem
Lutherschen „simul justuset peccator" fremd gegenübersteht.

Kjeldgaard-Pedersen meint also, daß die Divergenz zwischen
Luther und Agricola sich nicht nach und nach entwickelt hat, um
dann erst im Antinomerstreit fixiert zu werden - wie oft angenommen
wurde -, sondern daß sie von Anfang an in subtiler Form oder sogar
verborgen vorliegt. Er meint sie auch dort finden zu können, wo die
verbale Ubereinstimmung mit Luther in anderer Richtung zeigt, was
natürlich noch fragwürdig bleibt.