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Ausgabe:

1987

Spalte:

816-817

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Das Petrusbild in der neueren Forschung 1987

Rezensent:

Vogler, Werner

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Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 11

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blick geschaffen hat und ihn in wichtigen Punkten auch zu vermitteln
weiß. Aber zumindest an einer Stelle scheint ihm bewußt geworden zu
sein, daß er sich möglicherweise mit der so umfangreichen, ich würde
sagen: zu umfangreichen Thematik etwas übernommen hat. Er
schreibt nämlich zu Beginn seiner P.-Ausführungen (235): "1t is
obvious that the scope of this projected procedure is so extensive that a
historical exegesis of individual passages can bc pursued only at Strategie
points of the discussion. We are conscious of the fact that this
implies the danger ofsuperficiality,..."

Seine Befürchtungen bestehen leider in einigen wichtigen Punkten
zu Recht. Zunächst hätte man sich gewünscht, daß er mehr aus den
Texten heraus exegesiert hätte, als sie einfach, nur kurz kommentiert,
nebeneinander zu stellen. Die so wichtige Auseinandersetzung mit
J. Marböck (840 über den Einfluß stoischen Denkens auf Sir wäre
dann nicht so sehr in der Manier einer bloßen Schwarz-Weiß-Malerei
erfolgt. Es wäre auch interessant gewesen, aufgrund ausführlicher
Textinterpretationen zu hören, wieso denn nun die Identität von G.
und W. bei Sir so sicher ist. Vieles wird hier nur angedeutet. Vor allem
im P.-Teil geschehen arge Mißverständnisse betr. der herangezogenen
Literatur. Die Überfülle der zu bewältigenden Publikationen hat - fast
möchte man sagen notwendig - dazu geführt, daß der Vf. die Literatur
nicht immer genau gelesen hat. So nennt er z. B. auf S. 228 als
Anhänger der bekannten These W. C. van Unniks. der die von ihm
herausgearbeitete „feste liierarische Einheit" yeyewijfiivo*; -
dvaTF.O/xuifir.viK - nauuöeüfiiwx; Act 22,3 als historischen Beweis für
den Jerusalem-Aufenthalt des P. während dessen Kindheit und Studium
sieht, u. a. E. Haenchen. C. Burchard und H. Conzelmann.
Diese Autoren akzeptieren zwar das literarische Schema, wenden sich
aber energisch dagegen, aus ihm historische Konsequenzen zu ziehen!
Damit soll Wer die Möglichkeit, wenn nicht sogar Wahrscheinlichkeit
eines Studiums in Jerusalem nicht bestritten werden. Hinsichtlich
dieses Studiums beruft er sich sowohl auf J. Jeremias, der Paulus als
Hilleliten zu erweisen sucht, als auch zugleich auf meinen Aufsatz
KuD 19,215ff, in dem ich gerade dieses bestritt. In zu schneller Argumentation
weiß Sch. sogar, mit welchen nicht zur Biblia Hebraica
gehörigen Schriften P. während seines Studiums in Kontakt gekommen
ist. Eine solche Aussage läßt sich aber nur in bezug auf Einzelschriften
durch Einzelexegese paulinischer Schriften erweisen. Recht
dürfte Sch. aber mit der Bemerkung haben, daß P. „im Hauptstrom
der jüd. Weisheitstradition stand" (231, Anm. 25). Andererseits
beruht die Auflistung der Anspielungen auf apokalyptische und
pseudepigraphische Schriften in den Briefen des P. lediglich auf dem
Anhang „Loci citati vel allegati" von Nestle-Aland2''.

Bedenklicher ist schon, daß Sch. im einleitenden Kap. zum P.-Teil
ausgerechnet Rom 2.17-24 vor allem wegen V. 20 als Beleg für die
Identifizierung von G. und W. anführt: "God's wisdom which is truth
pure and simple has assumed a rccognizablc form in the Torah. Paul
says, in other words, that for the Jew God's wisdom und God's law are
one and the same" (233). In Rom findet sich aixpia aber nur I 1,33!
Dennoch: "This passage is the only explicit (!, Zeichen von Sch.
gesetzt) occurence of this correlation in the Pauline corpus" (234).
Methodische Bedenken habe ich auch, wenn S. 240ffin Kurzskizzie-
rungen einzelne, aus dem Zusammenhang gelöste Einzelstellen aus
Briefen des P. behandelt werden. Wenn z. B. I Kor 1,24.30 auf etwa
zwei Seiten besprochen wird, so kann beim besten Willen nicht das
ganze Gefüge der für die anstehende Fragestellung relevanten Probleme
in der gebotenen Ausführlichkeit besprochen werden. Der
Zusammenhang in 1 Kor 1,18-31 mit den folgenden Kapp, hätte ausführlich
thematisiert werden müssen, zumal es in I Kor 1 ganz zentral
um essentielle Aspekte des Dissertationsthemas geht.

Ein Wort in eigener Sache: S. 235, Anm. 47, wird mir die chronologische
Briefordnung Gal, IThess. IKor. 2Kor, Rom zugeschrieben. Ich habe aber
immer die Priorität des IThess vor Gal vertreten; FRLANT 'l19,131, habe ich
I Thess überhaupt nicht erwähnt!

Ich fasse zusammen: Das hier rezensierte Buch wird als eine Art
Kompendium für das Thema G. und W. seine Dienste tun. Es schenkt

manche Einsichten und Erkenntnisse; es informiert an vielen Stellen
gut über das Zueinander von G. und W. Die Schwächen dieser Untersuchung
sind aber Jeider auch offenkundig. Sollte der Vf. eine weitere
exegetische Arbeit schreiben - und die Voraussetzung dafür hat er! -,
so möge er doch einmal einen begrenzten biblischen Text ausführlich
in der gebotenen methodischen Strenge und in der gebotenen methodischen
Ausführlichkeit behandeln und so zeigen, daß er auch auf
dem Gebiet der Einzclexegcse kompetent ist.

Güttingen Hans Hühner

' G. T. Shcppard. Wisdom as a Hermcneutical Construct. A Stud in the
Sapienlializing of the Old Testament (BZAW 151). Berlin/ New York 1980.
166-176.

1 J. Marböck. Weisheit im Wandel. Untersuchungen zur Wcishcitslhcologic
bei Ben Sira (BBB 37). Bonn 1971.93f.

Thiede, Carsten Peter [Hg.]: Das Petrusbild in der neueren Forschung-
Wuppertal: Brockhaus 1987. X, 229 S. 8' = TVG Monographien.
316.

Dieser Band enthält neun in den Jahren 1961-1986 entstandene
internationale Beiträge zur Petrusfrage, die - bei vergleichbarem theologischen
Standpunkt ihrer Vf. - thematisch ein breites Spektrum aufweisen
.

J. F. Strange und H. Shanks plädieren in ..Das Haus des Petrus"
(145-162) für die Annahme, daß die von den Franziskanern Corbo
und Loffrcda 1968 in Kalärnaum begonnenen Ausgrabungen zur Entdeckung
des Petrus-Hauses geführt haben. Bereits Mitte des I. JIi. zu
einer Hauskirche umfunktioniert, beländc es sich unter der von Corbo
und Loffrcda entdeckten achteckigen Kirche aus dem 5. Jh. - Für die
jesuanischc Herkunft des sog. Petrus-Wortes in Mt 16 tritt G. Maier
durch Abweisung der gegen dessen „Echtheit" vorgebrachten Argumente
in „Die Kirche im Matthäusevangelium: Hermeneutischc
Analyse der gegenwärtigen Debatte über das Petrus-Wort
Mt 16,l7-l9"(l7l-191)ein.

Auf den Geschichtswert der von Lukas verarbeiteten Stoffe weist
H. N. Ridderbos in „Die Reden des Petrus in der Apostelgeschichte"
(51-84) hin. Anhand von „vier Kategorien" (59) - Eschatologic.
Apostolizität. Christologic und Paränese - sucht er die Auflassung zu
widerlegen, „daßdiese Reden nicht von historischem Wert seien" und
darum eher Lukas als Petrus zugeschrieben werden müßten (56). - Im
Unterschied zu Ridderbos mißt H. Marshall dem „Historiker" Lukas
in „Apg 12 - ein Schlüssel zum Verständnis der Apostelgeschichte"
(192-220) etwas größeres Gewicht bei der Gestaltung der ihn überkommenen
Traditionen bei. Gründet dieses Kapitel auch „aufzuverlässiger
Überlieferung" (195), so hat doch Lukas - durch „eine breite
Parallele zu Israels Exodus aus Ägypten und zu Tod und Auferstehung
Jesu" (214) - mit Apg 12 einen „Bericht" geschaffen, der (zur
Ermutigung seiner Leser) die Befreiung des Petrus als „eine Etappe
der Hcilsgeschichte, in der Gott handelt, um sein Volk zu retten"
(216) erklärt. - In „Petrus und die Heidenmission" (163-170)
begründet M. Hengel überzeugend die „vermittelnde Stellung" des
Petrus „in der allmählich aufbrechenden Konfrontation" zwischen
den Judenchristen Palästinas und den Hellenisten (163) sowie dessen
spätere „Wirksamkeit in Antiochia, Rom und - zumindest als Ausstrahlung
- in Korinth" (168). - C. P. Thiede führt in „Babylon, der
andere Ort: Anmerkungen zu IPetr 5.13 und Apg 12,17" (221-229)
bedenkenswerte Argumente für die These an, daß der „andere Ort",
an den Petrus sich nach seinem Weggang aus Jerusalem begeben hat
(Apg 12,17), Rom war.

Hatten die zuletzt genannten Beiträge das Wirken des Petrus /um
Inhalt, so widmen sich die beiden folgenden Aufsätze den Petrusbriefen
. Auf Grund von Überlegungen namentlich zur „Situation der
Briefempfänger" sowie von sachlichen und inhaltlichen „Beziehungen
zwischen Petrus und dem I. Petrusbrief' kommt F. Neugebauer