Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1987

Spalte:

813-816

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schnabel, Eckhard J.

Titel/Untertitel:

Law and wisdom from Ben Sira to Paul 1987

Rezensent:

Hübner, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

813

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 11

814

erscheint als „Rejudaisierung", durch die, falls sie gelänge, „auch
noch die Christen zu Juden würden" (15). Als Galiläer stammt Jesus
aus einer Landschaft, in der sich „eine Amalgamierung von heidnischen
und jüdischen Elementen physisch und geistig herausgebildet
hatte" (21). In seiner Entwicklung „überwuchs Jesus seine Herkunft
und erfuhr sich als der neue Mensch, der die Fülle des Menschseins
vorzuleben den Auftrag hatte" (26). So ist der Leser aufgefordert, die
Plakativen Überschriften „Warum Jesus Jude war" (19) und „Warum
Jesus kein Jude war" (27) dialektisch aufeinander zu beziehen. Die
Ausführungen über den jesuanischen Eros als Gegenbild zum platonischen
(48-57) und die eine psychotherapeutische Wunderdeutung
bietende Skizze über „Jesus als Entdecker der Innenkraft des Menschen
" (81-90) flankieren den wohl wichtigsten Abschnitt über den
..Sohn des Menschen" (58-69). In dieser einzigen authentischen
Selbstbezeichnung Jesu werde ausgedrückt, „daß Gott in ihm einen
neuen Schöpfungsakt vollzogen hat" (67). Hier mündet die „Jesusschau
" des Vf. in eine christologischc Kosmologie, die ihre wesentlichen
Anstöße den Werken Teilhard de Chardins verdankt. Der
mystisch-spekulativen Grundintention konnte wohl nur ein Bild Jesu
entsprechen, das dessen alttcstamcntlich-jüdische Verwurzelung weitgehend
negiert. Gegenüber dem damit bezeichneten Kern des Problems
erweist sich der gewiß auch biographisch bedingte Distanzie-
rungszwang als dessen Außenseite.

Leipzig/Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Schnabel. Eckhard J,: Law and Wisdom from Ben Sira to Paul. A

Tradition Hislorical Enquiry into the Relation of Law, Wisdom,
and Ethics. Tübingen: Mohr 1985. XVI, 428 S. gr. 8' = WUNT,
2. Reihe, 16. Kart. DM 84,-.

Das Thema dieser bei Robin J. Barbour, Aberdeen, angefertigten
Dissertation ist weit gespannt. Der Vf. behandelt das Verhältnis von
Weisheit (W.) und (mosaischem) Gesetz (G.) bei Sir, der intertestamentarischen
Literatur, in Qumran und bei Paulus (P.). Für Sir
arbeitet er die Gleichsctzung von G. und W. in fünffacher Dimension
heraus: universalistisch, partikularistisch, theologisch, ethisch und
didaktisch. Die universalistische Dimension der Identifizierung von
G. und W. sieht Sch. darin gemindert, daß das G. in Sir primär das
mosaische G. sei. "The law in Sir is primarily the Mosaic law. The
universalistic dimension of the law is not the cause but the resull of its
Identification with wisdom . . ." (80). Gerade die partikularistische
Dimension sowohl der Torah als auch der W. waren für Ben Sira mit
der Grund für die Identifizierung beider Größen (81). Die theologische
Dimension der Identifizierung sieht Sch. darin, daß dasG. und
die W. in gleicherweise Ausdruck des Willens Gottes im Blick auf das
tägliche Leben sind: "To keep the commandments is practised
wisdom, and to be wisc means to obey the law..." (82). Zur
ethischen Dimension: "The majority of passages which express or
imply the correlation of wisdom and law refer to the ethical dimension
of the identillcation" (82). Im Blick auf die didaktische Dimension
Verweist er auf den Weisen, wpher/hak-ham, der G. und W. studiert
und lehrt. Mit anderen Autoren, vor allem E. T. Sheppard1, sieht er
als Schlüsseltext hinter der Identifizierung der beiden Größen
Dt 4,6-8 („theol. Motive"). Gegen J. Marböck2, der hinter der Identifizierung
die stoische Popularphilosophic am Werke sieht, lehnt er
allen stoischen Eintluß ab („philosophische Motive"). Hinsichtlich
der „historischen Motive" heißt es: ".. . it is at least very plausible
that Ben Sira, as scribe and priest, studied and taught in an environ-
ment which had all the theological Interpretamente ready which were
needed for the correlation and identification of law and wisdom"
(87).

Im folgenden führt Sch. aus, wie in der jüd. Literatur nach Sir weithin
die dort vorgenommene Identifizierung übernommen wurde; sie
Sei auch in allen jüdischen Gruppierungen nachweisbar, unter Hasi-
däern, Pharisäern und in der alexandrinischen Diaspora. Vor allem

werde die ethische Dimension der Korrelation der beiden Größen
betont, Ausnahme sei nur Sap. Auch in dem Abschnitt über Qumran
bemüht sich Sch. um den Nachweis der genannten Identifizierung. Er
schließt ihn mit einem Zitat Martin Hengeis ab (226): „Nur der Weise
und Gelehrte, der über die beherrschende und durchdringende Kraft
des Denkens verfügt, kann wirklich fromm, wirklich gut sein."

Die Ausführungen des Vf. zielen auf das 4. Kap. "Wisdom and Law
in Pauline Christology and Ethics" mit folgenden §§: § 13 Introduc-
tion, § 14 Christ and Wisdom, § 15 Christ and the Law. § 16 The
Christian Way of Life. Entscheidend für Sch. ist die in seinen Augen
bestehende Identität zwischen dem Sohn Gottes und der W. Obwohl
Gal4,4, auf dem Hintergrund von Sap 9,10 oder überhaupt der jüd.
W.s-Theologie, keine explizite Angabe über die W.s-Christologie sei,
sieht er diese Christologie hier impliziert. In I Kor 1,24.30 sieht er den
gekreuzigten Christus als die W. Gottes. Außerdem nennt er in diesem
Zusammenhang lKor8,6; 10,4; Rom 10,6f; 11,33-36; Phil 2,6-11;
Kol 1,15-20; 2,3. Unter kosmologischem, soteriologischem, ontolo-
gischem und Offenbarungsaspekt legt er dann dar, daß Christus als
göttliche W. bei der Schöpfung und der Erlösung tätig war und jetzt in
der Verkündigung tätig ist.

In § 15 "Christ and Law" schaltet sich Sch. in die Diskussion um
dastJ. bei P. ein und bezieht dezidiert Stellung, wobei er in mehreren
entscheidenden Punkten, freilich nicht überall, Ferdinand Hahn,
Ulrich Wilckens und mir zustimmt (mit vöpoQ niazewi Rom 3,27 und
6 vö/iog wü nvevfiavx; nfc C«'/C h> Xpiaxß 'ttJOoB Rom 8,2 meint P. die
Torah, und zwar unter besonderer Perspektive). Unter soteriologischem
Aspekt habe dieser betont herausgestellt, daß die Torah
keinerlei soteriologische Funktion mehr habe; Christus sei der exklusive
moxr)p. Unter heilsgeschichtlichem Aspekt spricht Sch. mit Eberhard
Jüngel von der obrogatio servitudinis sub lege; der neue Ort der
Torah „in Christus Jesus" bedeutet, daß diese zu verstehen ist als
"rcvclation ofGod's will as realized in the history of salvation which
culminated in the cross and - resurrection of Christ" (295). Unter
Offenbarungsaspekt sei die Torah als Offenbarung Gottes zu sehen.
Unter ontologischem Aspekt habe P. keine ontologischc Relation
zwischen Torah und Christus statuiert. Fazit: In seiner Christologie
hat P. von der traditionellen Korrelation und Identifizierung von G.
und W. weder in der Formulierung noch in der inhaltlichen Darlegung
("presentation") Gebrauch gemacht. Er hat aus soteriolo-
gischen Gründen die Funktionsidentität von Torah und W. als erledigt
angesehen.

§ 16 "The Christian Way of Life" führt zum Ergebnis, daß P. für
seine Ethik die traditionelle Korrelation von G. und W. voraussetzt:
Der Christ sei berufen und befähigt, sich Gottes Willen zu unterwerfen
, der im C, in den Worten Jesu und der Apostel und in den
Schöpfungsordnungen (= Manifestation der W.) offenbart sei. "The
Christian ethos aecording to Paul is neither Icgalistic nor antinomistic
- it is a hetcronomous sapiential ethos realizing the correlation of law
and wisdom in the horizon ofGod's salvational action in and through
Christ" (342).

Alles in allem: Die Identifikation von G. und W. ist fundamentales
Interpretament der frühjüdischen Theologie und des paulinischen
Denkens (348).

Die Übersicht über den Inhalt des Buches ist ausführlicher
geworden, als dies bei einer Rezension eigentlich sein dürfte. Der
Grund für diese Überlänge liegt nicht am Rcz., sondern an der Thematik
. Der Vf. hat sich als Doktorand an die Bearbeitung eines sehr
weiten Feldes begeben. Man fragt sich schon beim ersten Überblick
über das Inhaltsverzeichnis, ob sich ein Doktorand, also einer, der sich
erst die ersten wissenschaftlichen Meriten erwerben will, überhaupt
schon einer Aufgabe stellen darf, die vom Bearbeiter den Überblick
über die ganzen Gebiete der Septuaginta-, intertestamentarischen und
neutestamentlichen Forschung und zugleich das enorm große Detailwissen
über all die in diesen Gebieten implizierten Probleme fordert.
Man darf zunächst sagen, daß sich Sch. in bewundernswerter Weise in
die Fülle der Lit. eingelesen hat, daß er sich selbst einen guten Über-