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Ausgabe:

1987

Spalte:

810-811

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Martin, Ralph P.

Titel/Untertitel:

2 Corinthians 1987

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 11

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tischen Materials betrifft, so hebt R. hervor: Seine Grundlage bildeten
die Lehre und Predigt der Apostel und besonders die Erinnerungen
des Petrus und seiner Gruppe; „Sitz im Leben" für die weitere Entfaltung
des synoptischen Materials seien dann die liturgischen
Berichte über Jesu Taufe bei der Tauffeicr der Christen und über Jesu
letztes Mal und Passion bei der Abendmahlsfeier der Christen
gewesen. Neben den Tradenten kennt R. also auch Haftpunkte der
Tradition. Bei der Frage nach den Verfassern der Evangelien hält R.
die Angaben der späteren kirchlichen Tradition für vertrauenswürdig;
Matthäus ist also für ihn der Zöllner und Jünger Jesu. Markus der
Begleiter des Petrus und Lukas der des Paulus. Alle drei Evangelien
seien auf jeden Fall vor der Zerstörung Jerusalems niedergeschrieben,
etwa um 60 n. Chr.: denn im Gegensatz zur üblichen Deutung müsse
Mt 24,15/Mk 13,14/Lk 21.20 als "real prophecy" anerkannt werden
(137). Auch aus Lk 1,1 f dürfe nicht geschlossen werden, zumindest
Lukas habe schon schriftliche Evangelien gekannt: Lukas weise hier
nicht auf bereits abgefaßte Evangelien hin. sondern auf ..Zeitgenossen,
die Berichte über Erinnerungen an Jesus vorbereiteten" (45).

Es ist zu fragen, ob R. nicht mit derart konservativen Thesen seinen
Vorschlag zur Lösung des synoptischen Problems unnötig stark
belaste) hat. Die CJetahr ist groß, daß dieser Vorschlag nun schlicht
abgelehnt wird und nicht mehr zum Nachdenken über die offenen
Fragen bei der Auslegung der synoptischen Evangelien anzuregen vermag
.

Münster Martin Rcsc

Gerhardsson, Birger: l'he Gospcl Tradition. Malmö: CWK Gleerup
1986. 57 S. gr. 8° = Conicetanca Biblica. New Testament Series.
15.

Der aus der skandinavischen Riesenfeld-Schule bekannte Autor
von "Memory and Manuscript. Oral Tradition and Written Transmission
in Rabbinic Judaism and Early Christianity" (Uppsala 1961,
2. ull 1964) und "Tradition and Transmission in Early Christianity
" (Lund 1964) veröffentlicht hier seine Hauptthesen zur neutesta-
mentlichen Überlieferung und Evangcliumscntstehung. wie er sie in
seinem Vorbcrcitungspapicr zum Symposium de interrelatione evan-
Veiioriim am 7.-23. April 1984 in Jerusalem zusammengefaßt hatte.
Vgl. ders.. Die Anfänge der Evangclientradition (ABC Team).
Wuppertal 1977. 69 S., wo 4 Vorlesungen aus einem Ferienseminar
zusammen mit Prof. Dr. Hugo Staudinger. Paderborn, und Prof. Dr.
Otto Michel, Tübingen, publiziert sind, und ders.. Der Weg der Evangelientradition
, in: P. Stuhlmacher (Hg.). Das Evangelium und die
Evangelien (WUNT28), Tübingen 1983. 79-102. Unter Bezugnahme
aufP.-G. Müller, Der Traditionsprozeß im Neuen Testament,
Freiburg 1976, versucht der Vf.. die Frühphasc der neutestament-
lichcn Traditionsbildung mit Hilfe der Techniken, Mechanismen und
Halaeha-Rcgeln des jüdisch-rabbinischen Uberlieferungsvcrfahrens.
wie er es aus Talmud und Midrasch erhebt, zu rekonstruieren. Neben
der ..inneren Tradition", wie sie sich in gelebten Denkweisen. Überzeugungen
und Idealen ausdrückt, beobachtet er die „äußere Tradition
", in der sich solche Überzeugungen veräußerlichen und mitteilen
. Dabei unterscheidet der Vf. I. Worttradition (verbal), 2. Ver-
haltcnstradition (bchavioural, practical), 3. Institutionelle Tradition.
4. Sachtradition (material). wie bestimmte Örtlichkeiten. Kleider.
Trachten, Werkzeuge, Gegenstände, Symbole. Diese verschiedenen
Traditionsträger agieren meist zusammen, so daß „programmatische
Tradition" und „de facto Tradition" zu unterscheiden sind, wenn
nach der Veränderungskraft von Tradition gefragt wird. Vf. fragt daher
S. 22ff nach der Rolle der „matcrialen Tradition" (Tempel.
Synagogen. Torarollcn. Phylakterien), der „institutionellen Tradition
", und der Verhaltenstradition (Nachfolge. Radikalismus) für
Jesus und das frühe Christentum, um dann ausführlicher die Worttradition
nach dem lukanischen Prolog Lk 1.1-4 und das Verhältnis
von mündlicher und schriftlicher Überlieferung darzustellen (S. 30ff).
Die narrative Lchrform Jesu in Gleichnissen (mashal) und Logien

(nach R. Riesner. Jesus als Lehrer, sind 65 % der 247 synoptischen
Sprucheinheiten Jesu nicht länger als 2 Verse!), die frühe Textüberlic-
ferung Jesu, die Passionsgeschichte und die urchristliche Textproduktion
und -kompilation (S. 45), sowie schließlich die Verschriftlichung
der Überlieferung entspricht nach dem Vf. weitgehend den jüdisch-
rabbinischen Memorisicrungstechniken und Überlieferungsformcn.
Doch ist die auffallende Beschränkung des Urchristentums auf den
einen Lehrer Jesus jüdischem Hören auf über 2000 Rabbinen in der
Traditionsrückfrage zuwiderlaufend. Diese Thesen des Vf. fanden in
der Forschung weitgehend Zustimmung.-Zu Anm. 4 S. 13 ist kritisch
darauf hinzuweisen, daß in der linguistischen Kommunikationsanalyse
„Sprache" als Zeichensystem, das auch Verhalten, Institutionen
. Symbole, Farben, Folklore. Kunst. Sachen umfaßt, verstanden
wird, eben als mehrkanaliges (und nicht nur akustisch-
alphabetisches) Mitteilungssignal, nicht bloß als gesprochene Sprache
im Sinn der "oral poetry'i so daß durchaus der Satz gilt: „Keine
Tradition funktioniert nämlich" ohne Sprache." - Der Traditionsprozeß
zwischen vorösterlicher Jesusbewegung und Evangeliencnt-
stehung sowie die Rückkoppclung des Ganzen an den Mutterboden
des hellenistischen Judentums bleibt nach wie vor ein Feld offener
Fragen und Herausforderungen für die Exegese.

Stuttgart Paul-Gerhard Müller

Martin. Ralph P.: 2 Corinthians. Waco. TX: Word Books 1986.
LXIII.527 S.gr. 8* = Word Biblical Commentary. 40.

Mit dem Kommentar zum 2Kor durch den Hg. des neutestament-
lichen Teils der Reihe Word Biblical Commentary nimmt dieser
einen guten Fortgang (vgl. ThLZ III. 1986.822-825).

Der wohl am schwierigsten zu kommentierende Brief des Paulus ist
in jüngerer Zeit wieder häufiger Gegenstand wissenschaftlicher Veröffentlichungen
; dadurch werden relativ festgeschriebene Positionen
gelockert, ein begrüßenswerter Vorgang. Leider sind eine Reihe
wichtiger Kommentare in den letzten Jahren so dicht aufeinander
gefolgt, daß sie nicht oder kaum aufeinander Bezug nehmen können.
So konnte Martin nicht mehr (oder kaum) benutzen den monumentalen
Kommentar von V. P. Furnish in Anchor Bible (1984). die
Kommentierung von 2Kor8 und 9 durch H. D. Betz in Hermeneia
(1986). die meisterhafte knappe Auslegung von H.-J. Klauck in der
Neuen Echter Bibel (1986) und die Neubearbeitung der Korinther-
.briefe im NTD durch F. Lang (1986). Andererseits schälen sich auf
solche Weise deutlicher neue Konturen des Verständnisses ab.

Die Anlage des Kommentars von Martin entspricht der der Reihe,
ist mithin erfreulich übersichtlich. Jedem Textabschnitt ist eine
spezielle Bibliographie vorangestellt, ihr folgt die Übersetzung, der
"Notes" zugefügt sind, in denen die Textüberlieferung diskutiert
wird. Der Abschnitt "Form/Structure/Setting" analysiert die Funktion
, den Charakter und die Bedeutung des jeweiligen Stückes in
seinem Kontext; ihm kommt angesichts der umstrittenen Fragen nach
der Einheit und Integrität des Briefes besondere Wichtigkeit zu. Es
folgt die Einzelerklärung unter der Rubrik "Comment". die abschließende
"Explanation" faßt den Ertrag, in diesem Falle in besonderer
Weise "the pastoral dimension ofthe letter" (Vorwort), zusammen. In
solcher Gliederung werden die anstehenden Probleme gründlich und
unter ausgiebiger Berücksichtigung der wissenschaftlichen Literatur
diskutiert, gelegentlich freilich auch mit Wiederholungen.

Eröffnet wird der Kommentar durch eine Einleitung, in der in
umsichtiger Weise die geschichtlichen und literarischen Probleme des
2Kor besprochen werden. Die Situation, die der Brief reflektiert, ist
deutlich von der des 1 Kor unterschieden; nicht die Akkomodation
des Evangeliums an hellenistisch-mystisches Denken gefährdet die
Gemeinde jetzt, sondern eine andere christliche Theologie hat. unter
dem Einfluß von außerhalb gekommener Lehrer, in der Gemeinde
Fuß gefaßt, von der her auch der Apostolat des Paulus in Frage gestellt
wird.