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Ausgabe:

1987

Spalte:

805-806

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

VanTill, Howard J.

Titel/Untertitel:

The fourth day 1987

Rezensent:

Möller, Hans

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Seite 1

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805

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 11

806

Ezechielforscher ist die Darbietung einer fortlaufenden theologischen
Auslegung des Ezechielbuches in seiner kanonischen Endgestalt von
besonderem Interesse. Bei diesem Auslegungsverfahren interpretieren
sich z. B. die verschiedenen Aussagen zur Tempelherrlichkeitserscheinung
Jahwes in Kapitel 1,8-11; 20,39fT; 37,26-28 und 43,1 ff
gegenseitig. Auf der anderen Seite werden die im Laufe der Textgeschichte
angewachsenen einzelnen Textstufen als solche sorgfältig
fixiert. Daß kritische texthistorische Differenzierung theologischer
Interpretation nicht im Wege steht, sondern im Gegenteil diese entscheidend
fördert, belegt Andrew an vielen Stellen eindrucksvoll. Die
Auslegung baut in ihren historisch-kritischen, exegetischen Aussagen
im wesentlichen auf W. Zimmeriis Ezechielforschung auf.

Die im zusammenfassenden Schlußteil vom Vf. betont herausgestellte
entschlossene theologische Zuspitzung der Verkündigung des
Ezechielbuches auf die Grundbegriffe "Responsibility and Restora-
tion" findet sich in der Einzelauslegung nicht in dieser Konzentration
wieder. Hier stellt sich für den Rez. die Frage, ob eine Reduktion auf
zwei theologische Begriffe (s. die Zusammenfassung 215-219) der Absicht
des Vf., die Verkündigung im Ezechielbuch theologisch aufzuschlüsseln
, förderlich ist. Angesichts der in der jüngsten Forschungsgeschichte
herausgearbeiteten historischen, formalen, literarischen,
theologischen, traditionsgeschichtlichen und situativen Vielfalt der
Textüberlieferungcn im Ezechielbuch sollte das Anliegen einer theologischen
Interpretation, anstatt terminologisch einzuebnen, darauf
gerichtet sein, die Vielfalt der Zeugnisse von Jahwes Selbstmitteilung
je einzeln nachzuzeichnen.

Essen Dieter Baltzer

rill. Howard J. van: The Fourth Day. What the Bibleand the Heavens
are telling us about the Creation. Grand Rapids: Eerdmans 1986.
XII, 286 S. m. 19 Abb. 8". £8.85.

Was erzählen uns Bibel und Himmel über die Schöpfung? So lautet
der Untertitel. Teil I behandelt die biblische, II die wissenschaftliche
Sicht, III die Zusammenschau beider Sichten. Bibel und materielle
Welt sollen ernst genommen werden. Der Vf. hat seit 20 Jahren
Physik und Astronomie betrieben und gelehrt. So setze ich bei Teil II
ein. Bereich der Naturwissenschaft sind die wahrnehmbaren Eigenschaften
und Verhaltensweisen der objektiv existierenden Materie.
Fragen nach ihrer Herkunft, ihrem Wert und Zweck gehören zum
Bereich der Philosophie und Theologie. Die Ergebnisse der Forschung
sind als glaubwürdig zu betrachten, aber für Korrektur offenzuhalten.
Das ganze Universum hat eine Substanz in verschiedener Struktur.
Aus der sich nicht verändernden Verhaltensweise ergibt sich eine kosmische
Geschichte von 10-15 Billionen Jahren seit dem Urknall.

Hierzu zwei Anmerkungen: 1) In Amerika ist zwar 1 Billion soviel
wie bei uns 1 Milliarde. Aber 10-15 Milliarden sind immer noch das
Dreifache von den in sonstiger diesbezüglicher Literatur angenommenen
3-5 Milliarden Jahren seit dem Urknall. 2) Läßt sich die Evolution
in der Sternenwelt auf die Biologie übertragen? Bei dem Werden,
Altern und Vergehen von Sternen handelt es sich um beobachtbare
Vorgänge und um Materiestruktur gleicher Art. Bei biologischer Evolution
sind die Prozesse, gerade auch in der Paläontologie, nicht sicher
festzustellen (missing links), und die Ergebnisse sind nicht wiederholbar
und lassen sich nicht rückgängig machen (Qualitätssprung). Er
kann sich nur schwer vorstellen, in einem nur teilweise kohärenten
Universum zu leben, wo die zeitliche Entwicklung zahlreicher
Materiesysteme in kausal fortlaufender Art erfolgt, während die Geschichte
anderer Systeme durch willkürliche, diskontinuierliche Akte
gekennzeichnet ist. Aber gibt es nicht im Mikrokosmos der Atome
neben feststehenden Gesetzmäßigkeiten die Heisenbergsche Unbestimmtheit
? Auch räumt er selber ein (S. 100), daß die materielle Welt
nicht deterministisch prädestiniert sei.

Teil I: Als bewußter Christ will der Vf. die Bibel ernst nehmen. Er
ist in calvinistischer Tradition aufgewachsen und besonders von
A. Kuyper geprägt, wiewohl er sich in der Terminologie etwas von

ihm unterscheidet. Die Bibel ist ihm vollauf Gottes Wort und Menschenwort
. Ihr Zweck ist es, den Leser ins rechte Verhältnis zu Gott
(Verheißung und Gebot), zu anderen Menschen und zur sonstigen
Schöpfung zu bringen und ihn durch Zeugnisse der Vergangenheit von
Gottes Wirken in Geschichte und Schöpfung zu stärken. Dieser Inhalt
ist in Gen 1 auf das Fahrzeug der Gattung einer Prosaerzählung verladen
und in das literarische Rahmenwerk der Schöpfungswoche verpackt
. Daß das Licht vor den Lichtern und Sonnentage vor der Sonne
da sind, ist ihm Erweis dafür, daß das 7-Tage-Bild nicht als chronologische
Reihenfolge zu verstehen ist, Gen 1 habe nicht das geringste
Interesse an alter oder moderner Naturwissenschaft, sondern bezeuge,
daß die materielle Welt in Dasein, Lenkung. Wert und Zweck von
Gott abhängt.

Beeindruckend und dankbar zur Kenntnis zu nehmen ist die betont
christliche Einstellung dieses Naturwissenschaftlers. Daß er den Bundesgedanken
auf Gen 1 ausdehnt und dementsprechend die sonst in
deralttestamentlichen Wissenschaft für den Sinaibund herangezogene
Parallele hethitischer Vasallenverträge für Gen I verwendet, beruht
wohl auf reformierter Tradition (coccejanische Föderaltheologie).
Über verschiedene alttestamentliche Fragen wäre mehr mit den Gewährsmännern
des Vf. als mit ihm zu reden (von v. Rad übernimmt
er den „Vorbau" der Urgeschichte, von Anderson Deuterojesaja,
während Quellenscheidung und -datierung der Pentateuchkritik nicht
in den Blick kommt). Wohl aber ist ihm entgegenzuhalten: Wie er
selber den Unterschied der Gattungen hervorhebt, so ist bei Gen 1 zu
beachten, daß es eine andere Art, von der Schöpfung zu reden, hat als
die poetischen Stücke von Hiob, Jesaja und Psalmen. Es will
Schöpfungsbericht sein, und die betonte Aufeinanderfolge der Tage ist
nicht als nebensächlich beiseitezuschieben. Zwar spricht Gen 1 von
creatio continua (Frucht und Samen tragen, Vermehrungssegen,
Nahrungszuweisung, Treuhänder Mensch), aber auch von creatio
prima. Nicht durchführbar erscheint mir die Vehikelmethode, Fahrzeug
, Verpackung und Inhalt voneinander zu unterscheiden.

Teil III: Man darf weder an die Naturwissenschaft noch an die Bibel
verkehrte Fragen richten. Bei der Naturwissenschaft handelt es sich
um interne Dinge (Eigenschaften und Verhaltensweisen der Materie,
kosmische Geschichte). Die externe Beziehung (der Gedanke an
außerkosmische Ursache, der Bezug auf Gott) ist der Philosophie und
Theologie vorzubehalten. Von daher ergibt sich, daß die Naturwissenschaft
als freundlicher Bundesgenosse christlichen Glaubens behandelt
werden sollte, nicht als Feind, der zu fürchten, zu verachten oder
zusammenzustauchen wäre. Bei Einordnung der Naturwissenschaft in
ein Gesamtweltbild unterscheidet er "naturalistic science" und "crea-
tionomic science". Die Debatte über Schöpfung/Evolution hält er in
ihrem Entweder-Oder für von beiden Seiten aus verfehlt. Es gibt für
ihn nur den religiösen Gegensatz zwischen atheistischem Naturalismus
und biblischem Theismus. Mit der creationomischen Schau will
er die Naturwissenschaft in den Rahmen des biblischen Theismus setzen
. Im Unterricht ist über Evolution nicht zu schweigen. Aber
naturalistische Evolution sollte weder allein noch als alternative Position
zum speziellen Kreationismus gelehrt werden. Eine seiner größten
Befürchtungen ist, daß christliche Kinder gelehrt werden, Schöpfung
und Evolution als Alternative zu sehen. Er betrachtet Evolution
als fortschreitenden Ausdruck von Gottes Strategie für die Schöpfung.
In christlichem Unterricht sollte die biblische Lehre von der Schöpfung
dargeboten werden als Rahmenwerk, in dem hervorragende
Naturwissenschaft zum Lob des Schöpfers vorgetragen werden
kann.

Auch in diesem 3. Teil wird deutlich, daß v. Till als bewußter
Christ schreibt. Vielleicht hat er auch deshalb die christliche Sicht als
ersten Teil behandelt. Die Abgrenzung der Fragenbereiche und der
Wille, die Naturwissenschaft in das religiöse Konzept einzuordnen,
sind aus christlicher Sicht willkommen zu heißen. Die Art der Einordnung
hängt freilich von den zugrundegelegten Voraussetzungen ab.

Leipzig Hans Möller