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Ausgabe:

1987

Spalte:

774-775

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Reimer, Ingrid

Titel/Untertitel:

Verbindliches Leben in Bruderschaften, Kommunitäten, Lebensgemeinschaften 1987

Rezensent:

Wolff, Gottfried

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Theologische Literaturze'itung 112. Jahrgang 1987 Nr. 10

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liehen politischen Zusammenhängen .christlich' argumentiert" (6).
Trotzdem sind Unterrichtsthemen und Arbeitshilfen aus dem Bereich
Kirche und Staat, Glaube und Politik, christliche Verantwortung und
Politische Macht selten behandelt worden. Im Gesamtverzeichnis der
ChL 8-9/1986 finden sich nicht einmal entsprechende Stichworte im
Register.

Aber die Gründe, die derartigen Unterweisungsprojekten entgegenstehen
, liegen auf der Hand. Sie erfordern bei einer sachgerechten und
biblisch-theologisch verantworteten Behandlung von Lehrenden und
Lernenden die Berücksichtigung von Aspekten mehrerer Fachrich-
tungen und Bezugsebenen. Fächerübergreifend muß über gesellschaftswissenschaftliche
, politische und theologische, aber auch histo-
r'sche und kirchengeschichtliche Zusammenhänge informiert, müssen
Kriterien erarbeitet und „Blickschneisen" angelegt werden, abgesehen
davon, daß der Umfang des Stoffes entmutigen kann.

Das Arbeitsbuch gliedert sich in drei Teile:

~ Didaktischer Teil (6-51) mit dem „Themenbereich A: Rüstung,
Kfieg und Frieden" und dem „Themenbereich B: Juden, Antisemitis-
m"s, Israel",

-Materialteil (52-303),

-Anhang (304-355) mit einer Dokumentation, Erläuterungen zu
einigen Begriffen, biographischen Angaben und bibliographischen
Hinweisen.

Im didaktischen Teil werden zunächst die Wahl der Themen begründet
, die Schwierigkeiten und Möglichkeiten aufgezeigt und die
Zielsetzung dieses Projekts erläutert.

Aus der Fülle des Quellenmaterials werden zum Themenbereich A
und B jeweils 6 Streitfälle ausgewählt, die Problemlage skizziert,
didaktische und methodische Hilfen gegeben und Reflexionen zur
Zielstellung angeboten. Zum Themenbereich A werden folgende
Streitfälle dokumentiert und aufgearbeitet:

•l: Wie stehen Christen zum Krieg? (Fall Dehn 1928/33)

2• Was tun in Kriegsgefahr?(Herbst 1938)

J: Aufstellung westdeutscher Soldaten?( 1950/52)

*: AtombcwafTnungder Bundeswehr?(l957/59)

5; .Nachrüstung' in der Bundesrepublik?(1979/84)

": Was haben wir (in bezug auf Friedcnserhaltung) aus der Geschichte gelernt
?"

Zum Themenbereich B wurden folgende Fälle ausgewählt:

Boykott jüdischer Geschäfte? Arierparagraph in Staat und Kirche?(1933)
8: HilfefürJuden?(l94l)

': Wiedergutmachung an den Staat Israel ?(1949/53)
'U: Wie ist Israels Haltung im Sechstagekrieg zu beurteilen? (1967)
": lstZionismusRassismus?(l975)

'~; Was haben wir (in bezug auf die Juden) aus der Geschichte gelernt?"

Der Materialteil bringt zu jedem Streitfall wichtige Dokumente,
Urkunden, Veröffentlichungen und Pressemeldungen im Originalst
, meist sogar als Kopien, ohne Kommentar oder anderweitige
Wertungen.

Das Beispiel der Dokumentation zum Streitfall 10 macht deutlich,
w>e der Vf. sich redlich um Objektivität bei der Auswahl der kaum
übersehbaren Quellen und Meinungsäußerungen bemüht hat: 14 Dokumente
werden in vollem Wortlaut mit allen Unterschriften und
Daten vorgelegt:

Quellen und Karte der von Israel seit Juni 1967 besetzten Gebiete -
BUndesaußcnminister W. Brandt (SPD) am 3. 6. 1967 - Aufruf der Deutsch-
'sraclischen Gesellschaft - Erklärung im „Neuen Deutschland" vom 23. 6.
1967 - Briefdcs englischen Historikers A. J. Toynbcean den israelischen Historiker
J. B. Talmon -.Antwortbrief Talmons an Toynbce - Resolution Nr. 242
des Sicherheitsrates - Karte der arabischen Welt - Der Palästinensische Natio-
"alvertrag. eingebracht von der PLO (1968)-Telegramm Papst Paul VI. an die
a,Ti Krieg Beteiligten - Aufruf der Westberliner Kirchcnleitung an die evangelischen
Gemeinden - Erklärung des Arbeitsausschusses der Christlichen Friedenskonferenz
zur Situation im Nahen Osten, Moskau-Sagorsk vom 4. 7. 1967
~ Minderheitsvolum aus der Christlichen Friedenskonferenz - Entschließung
der 4. Vollversammlung des ORK in Uppsala über den Nahen Osten -
Fischer. Montpellier: Eine auf die Bibel gegründete Stellungnahme zum
"eucn Staat Israel.

Bei anderen Streitfällen (3,4 und auch 5) wird fast ausschließlich auf
Quellen und Verlautbarungen aus der Bundesrepublik zurückgegriffen
, als ob es sich nur um innenpolitische Probleme handelte. Warnende
Stimmen aüs dem Ausland und der Ökumene und die tiefgreifenden
Auswirkungen auf das politische Klima in Europa bleiben unerwähnt
. Trotzdem sind allein schon der Materialteil und die Dokumentation
eine Fundgrube für Quellen zur neusten Kirchengeschichte
. Man möchte wünschen, daß dieser mutige Versuch der
Verwendung historischer Quellen und Analysen zu gegenwärtigen
politischen Problemen in Kirche und Gesellschaft in der evangelischen
Unterweisung zu weiterführenden Arbeitshilfen speziell für
Themen der neusten Kirchengeschichte und Ökumene anregt. Das
wird sicher auch weiterhin nicht ohne eine fundierte christliche Überzeugung
, aber auch nicht ohne einen mutigen, klaren gesellschaftlichen
Standpunkt zu machen sein.

Greifswald Günther Kehnscherper

Ökumenik: Allgemeines

Reimer, Ingrid: Verbindliches Leben in Bruderschaften, Kommunitäten
, Lebensgemeinschaften. Mit einem einleitenden Beitrag von
H. Claß und Selbstzeugnissen der Gemeinschaften. Stuttgart: Quell
Verlag 1986.192 S. 8 Kart. DM 14,80.

Das Buch füllt eine Lücke aus, die seit einiger Zeit bestand. Denn
seit Lydia Prägers „Frei für Gott und die Menschen" (2. Aufl., 1963)
ist erstaunlich viel in den evangelischen Kirchen gewachsen. Uber den
augenblicklichen Stand der geistlichen Gemeinschaften, von denen 44
erfaßt sind, kann man sich zuverlässig unterrichten. Das Buch hat
mehrere Vorzüge. Es ist zuverlässig. Die Berichte wurden von den
jeweiligen Gruppen selbst verfaßt. Dadurch sind Daten und Adressen
auf dem neuesten Stand. Man erkennt, wie die Gruppe selbst ihre
Ziele sieht und die Akzente setzt. Freilich führt dies öfters nur zu einer
Formulierung des Ideals, das den Gründern vorschwebt, und es ist
nicht zu ersehen, wieviel davon erreicht wurde. Da auch erst zwei
Jahre zuvor entstandene Gemeinschaften mit aufgenommen wurden,
entspricht die Zusammenstellung wirklich dem neuesten Stand.

Das Buch ist klar geordnet. Die Dreiteilung in Bruderschaften,
Kommunitäten und Lebensgemeinschaften wird eingangs begründet
und ist ein brauchbares Schema, die große Vielfalt der Formen zu
ordnen. Statistiken ordnen nach Landeskirchen. Größen, Entstehungszeiten
und Aktivitäten und ergänzen so die Selbstdarstellungen
.

Es ist ferner umfassend. Der Überblick Führt über die Grenzen der
Bundesrepublik hinaus. Die kurzen Angaben über kommunitäres
Leben in der DDR sind zutreffend. Die Fünf Seiten der Aufzählung
evangelischer Gemeinschaften aus dem übrigen Europa enthalten
allerdings nur eine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit und
genaue Datierung (so die franz. Diakonissen von Reuilly).

Natürlich weckt das Buch auch Fragen. Diese sind in der Sache
begründet und gerade durch einen so umfassenden Überblick verursacht
. Bei der Vielfalt der Formen ist es fraglich, ob in Zukunft eine
Zusammenstellung, die Vollständigkeit anstrebt, noch sinnvoll ist.
Kann man z.B. den Johanniterorden mit seinen 2600 Mitgliedern
etwa mit der Communität Simonshofen und ihren 4 Gliedern zusammenstellen
? Kann man Kommunitäten mit einer festen Profcß, wie
beim Castellt r Ring, mit der „Communio Christi" vergleichen, die
ausdrücklich schreibt, daß jeder jederzeit seines Weges ziehen kann?
Kann man, wenn man über verbindliches Loben berichtet, die Diakonissenhäuser
ausklammern, die doch über lange Zeit geistlich verbindliches
I eben in Gemeinschaft gelebt haben? Muß man nicht ihre
Zahl zu den 740 Zölibatären hinzuzählen? Kann man sinnvoll
Kommunitäten, die durch vita communio und stabilitas loci
bestimmt sind, mit vergleichsweise losen Vereinigungen wie dem
Pfarrergebetsbund zusammenstellen? Sollten die evangelischen Räte,