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1987

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Systematische Theologie: Allgemeines

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767

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 10

768

Das 3. Kapitel wendet sich der Institutionentheorie im Bereich
außertheologischer Wissenschaften zu (133-200). Zunächst klärt der
Vf. seinen kooperativen Ansatz bei der theologischen Reflexion soziologischer
Forschung und hebt ihn ab von einem Autarkiemodell
(Kontaktverzicht der Theologie) und einem Dominanzmodell (Vorherrschaft
der Theologie). Die Notwendigkeit seines Ansatzes begründet
er: „In den bisherigen theologischen Entwürfen einer Institutionentheorie
wurde die neuere sozialphilosophische Forschung kaum
fruchtbar gemacht" (138). Nun folgen die kritischen Referate der
Positionen von A. Gehlen (Institutionen als Entlastung), H. Schelsky
(Institutionen offen für Reflexionssubjektivität), K.-O. Apel, J. Habermas
(Institutionen als Raum dialogischer Kommunikationspraxis
auf der Grundnorm der verallgemeinerten Gegenseitigkeit) und
N. Luhmann („soziales System" statt Institutionsbegriff). Das Kapitel
schließt mit knappen Überlegungen zur rechtswissenschaftlichen
Institutionentheorie (191 -200).

Im 4. und letzten Kapitel stellt der Vf. seine Sicht der theologischen
Institutionentheorie vor (201-252). Nicht Festlegung und Anwendung
von Normen, sondern die im Glauben begründeten Voraussetzungen
sind sein Ausgangspunkt. Daher verzichtet er auf „Versuche,
Listen oder Kataloge von sogenannten Grundinstitutionen aufzustellen
" (incl. Schöpfungsordnungen oder Stiftungen Gottes, 202). Dies
hält er für ebenso ungeschichtlich gedacht wie Gehlens anthropologische
Institutionsbedürftigkeit. Das geschichtlich vermittelte Dasein
des Menschen in den je vorfindlichen Institutionen wird - in Barths
Sinn - bundesgeschichtlich interpretiert. Angesichts des vielfältigen
Bösen in seiner bleibenden Rätselhaftigkeit sind Institutionen, selbst
geschichtlich geworden, ambivalent. Sie schützen Menschen vor zerstörerischer
Auslieferung an das Böse und haben insofern „Gnadencharakter
", der von Gottes Bundestreue aus zu verstehen ist. Gleichzeitig
sind Institutionen selbst nicht vor dem Bösen geschützt und bedürfen
darum der Kritik. „Bundesgeschichte als für Neues und Vorbildloses
offene Geschichte . .. ermutigt nämlich durchaus zu der
nüchternen Hoffnung, daß auch das Böse in den Institutionen eingeschränkt
und begrenzt werden kann" (218).

Die Institutionenkritik wird zum Schluß von drei bundesgeschichtlichen
Aspekten her präzisiert. Zunächst wird die Gottesebenbildlich-
keit als im Bund Gottes gründende relationale Bestimmung reflektiert
, die die Würde des Individuums, seine Sprachfähigkeit und die in
der Nächstenliebe aktualisierte „gleiche Würde aller Menschen" als
institutionenkritische Elemente enthält. Dann wird die Eschatologic
in ihrer kritischen Potenz erörtert. Der Vf. kommt zu einer „doppelten
Sichtweise, welche die Relativierung des Vorletzten durch das
Letzte mit der Herausstellung des räum- und haltgewährenden
Gnadencharakters der Institutionen für den Menschen" verbinden
möchte (236). Schließlich wird die Rechtfertigung als Freiheit beschrieben
, die sich der Bundestreue Gottes verdankt und „aller
Kommunikationslosigkeit entgegengesetzt ist" (244). Handeln aus
freier Liebe aber ist institutionenkritisches Potential.

Klare Darstellung und ein guter Überblick zeichnen dieses Buch
aus. Freilich habe ich es als Rez. in sozialistischen Gesellschaftsbedingungen
mit einer gewissen Ungeduld gelesen. Mir wurde deutlich, daß
mich die Beschäftigung mit marxistischer Soziologie sehr viel selbstverständlicher
angeleitet hat, geschichtlich dynamisch und dialektisch
über Institutionen nachzudenken. Aufgefallen ist mir, daß die Kirche
selbst als Institution nicht ins Blickfeld dieser Arbeit rückt.

Corrigenda: S. 38, drittletzte Zeile „entstellt"statt „erstellt"; S. 39, 3. Zeile
das Wort „sie" streichen; S. 45,8. Zeile „Surrogat" .

Wittenberg Hansjürgen Schulz

Argumentation. An International Journal on Reasoning. Vol. 1 - 1987.
Dordrecht:Reidel 1987.

Honecker, Martin: Theologie außerhalb der Theologisehen Fakultäten
(ZEvKR31,1986,401-427).

Tenbruck, Friedrich H.: Was sind und was sollen die Geisteswissenschaften
heutc?(Univ. 42,1987,125-136).

Praktische Theologie: Allgemeines

Otto, Gert: Grundlegung der Praktischen Theologie. München: Kaiser
1986.250 S. 8 geb. DM 35-

In dieser „Grundlegung" greift Otto seine 1970 zuerst formulierte,
umstrittene Definition: „Praktische Theologie ist kritische Theorie
religiös vermittelter Praxis in der Gesellschaft" (21 f u. a. a. O.) erneut
auf. Daß er das Attribut „kritisch" auch jetzt im Verständnis der
Frankfurter Schule verwendet, gibt er von Anfang an zu erkennen.
Zwar versichert er: „Kritische Theorie ist dabei im Sinne einer Denkmethode
, nicht im Sinne einer ,Schule' gemeint"; ob diese Unterscheidungdurchführbar
ist, muß sich aber erst noch erweisen.

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten setzt sich Otto unter
Berufung auf Schlciermacher, Nitzsch und Palmer von praktischer
Theologie als „Theorie des Handelns der Amtskirche", von ihrer Einengung
durch das „pastoral-thcologische Erbe" ab. So gewinnt er den
„Ansatz", die Praxis auszuweiten in „praktisch-theologische Gegenstandsfelder
, die den komplexen Beziehungen von Gesellst halt -
Religion - Kirche verbunden sind". „Gesellschaft": Denn Kirche
besteht aus „konkreten Subjekten" - hier verweist er auf H. Luther -
mit „unterschiedlichen Beziehungen zu Religion und Kirche", was
„Ausgrenzungen" wie „die zwischen Kirche und Welt/Gesellschaft"
(62) unmöglich macht. Aber Otto verbindet mit der „Gesellschaft"
mehr. In Umkehrung des idealistischen „Geistes" ist sie für ihn mit
der Frankfurter Schule Substrat einer teleologischen Geschichts- und
Sozialphilosophie, die er durch sich an Horkheimer anlehnende
Stichworte andeutet wie: „klassenmäßige Form" „gesellschaftlicher
Arbeit", „Veränderungswillen gegenüber schlechter Wirklichkeit".
„Emanzipation aus versklavenden Verhältnissen" (76). Dann unterscheidet
er aber zwischen „Denkmethode" und „Schule" nicht so wie
er vorgibt. Der Totalitätsanspruch der „Kritischen Theorie" läßt das
auch nicht zu. „Religion": Denn Kirche manifestiert sich individual-
und sozialanthropologisch als „christliche Religion ... im Kontext
mit anderen Glaubensweisen". Gerade praktische Theologie muß
diese Seite bedenken. Aber auch mit der „Religion" verbindet Otto
mehr. Im Anschluß an Schleiermacher wird sie bei ihm zum Oberbegriff
, dem er die Kirche und ihren Glauben unterordnet, von dem
her er sie begreift, so daß sie zum Ausgangspunkt wie der Theologie
überhaupt so auch der praktischen Theologie wird. Hierin trifft er sich
mit H. Luther, der über F. Niedergalls „religiöses Subjekt" Schleicr-
machers Religionsphilosophie ebenfalls erneut in die praktische
Theologie einführt. Den nachhaltigen Widerspruch der ..dialektischen
Theologie" konterkariert Otto mit dem Vorwurf, sie habe die
„Orientierung am Menschen als Irrweg denunziert" (62). Er trifft, soweit
er die Berücksichtigung des empirischen Menschen betrifft. Otto
erhebt ihn aber auch theologisch, und hier ist das letzte Wort noch
nicht gesprochen. Daß seine Wertung der „Religion" mit der Schätzung
„der utopischen Gehalte auch der religiösen Überlieferung" in
Habermas' Modifikation der „Kritischen Theorie" (77) zusammentrifft
, ist kein Zufall. Denn nur in diesem Kontext sieht Otto noch eine
„Chance der Religion" (80). Sie hat in ihm die Funktion, „Ziele und
Werte jenseits des jeweiligen gesellschaftlichen Seins zu formulieren
und so emanzipatorisch-evolutionäres Potential zu entwickeln"
(Mörth, 80). Sie ist Mittel für diesen Zweck. „Kirche": Denn
Otto übersieht nicht, daß ihre Praxis praktischer Theologie aufgegeben
ist. Von vornherein widersetzt er sich dabei einem traditionellen,
binnenkirchlichen Praxisverständnis. Wenn er Nitzsch die „dogma-
tisch-ekklesiologische" Einbindung der praktischen Theologie vorhält
(44), dann auch deshalb, weil sie dahin tendiert, traditionelle Praxis
dogmatisch zu überhöhen und die Entdeckung von „Neuland" zu
blockieren. Aber auch mit seinem Interesse an Ausweitung der Praxis
hat Otto mehr im Sinn. Hier ist eine Zitierung von Nitzsch aufschlußreich
, wo dieser für „Verständnis und Würdigung des gegebenen
Zustandes" - die Hervorhebung stammt von Otto - erg. „des
kirchlichen Lebens" eintritt, was Otto zusätzlich mit einem „(sie!)"