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Ausgabe:

1987

Spalte:

765-766

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Duchrow, Ulrich

Titel/Untertitel:

Weltwirtschaft heute - ein Feld für bekennende Kirche? 1987

Rezensent:

Langer, Jens

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Seite 1

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765

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 10

766

Duchrow, Ulrich: Weltwirtschaft heute - ein Feld für Bekennende
Kirche? München: Kaiser 1986. 309 S.,8 Kart. DM 19,80

Eberhard Bethge schließt sein Vorwort zu diesem Buch mit dem
Bemerken, der Inhalt sei nicht Sache des Autors, „sondern Sache der
Kirche heute". Um welche Bekenntnisfrage geht es?

Die ersten beiden Kapitel liefern viel historisches Material zur Sichtung
der Zwci-Reiche-Lehrc und Bonhocffers Ekklesiologie. Im dritten
und vierten Kapitel wird an ökumenische Impulse erinnert, die die
Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft im Sinne von Barmen III in Frage
bellen. Dabei spielt die Studie des ORK über die Transnationalen
Konzerne eine besondere Rolle. Diese wirtschaftlichen Machtgruppen
stellen „Zentren der Entscheidungsfindung" dar, „die die Produk-
t'onsprozesse in mehr als einem Land kontrollieren und die im Blick
auf Investition, Produktion, Marketing, Finanzen und Preise in trans-
nationalem Maßstab planen". (105) Das Problem besteht vor allem
darin, daß in die Belange zum Beispiel der Zwei-Drittcl-Welt hinein-
■"egiert wird. Das führt zur Verfestigung ungerechter Sozialstrukturen.
Vf. beschreibt die zögerliche Kenntnisnahme dieser Fakten durch
seine Kirche: „So erhebt sich die Frage, wann unsere Kirchen bereit
werden. in Gemeinschaft mit der einen Kirche Jesu Christi im Hören
auf unseren gemeinsamen Herrn den Blick aufdie eigene Verflochtenheit
in die Strukturen der Weltwirtschaft zu wagen und Konsequenzen
*u ziehen. Die Vollversammlung des ÖRK in Vancouver 1983 hat die
Ergebnisse der TNC-Studie voll bestätigt und die Weiterarbeit (...)
empfohlen. Der Ruf in die Nachfolge ist längst unüberhörbar."(l 13)

Der ÖRK hat seine von Glauben und Partnerschaft bestimmte
Transnationalität mit der Transnationalität jener Konzerne konfron-
l|ert. Sie sind mitgemeint, wenn Landesbischof Dr. Johannes Hempel,
einer der Präsidenten des ÖRK, von einer ungewählten und schwer
absetzbaren „Regierung" spricht, die ganzen Staaten ihren Willen
diktiert.'

Für die folgenden drei Kapitel nimmt der Autor zum Ausgangs-
Punkt „Jesus Christus, das Leben der Welt, und der Kampf für Gerechtigkeit
und Menschenwürde", sein Einleitungsreferat zum Pro-
blembereich VI der Sechsten Vollversammlung des ÖRK in Vancouver
1983. Was bedeutet Barmen III im Blick aufdie ungerechten
Strukturen in der Weltwirtschaft? Als praktische Antworten gegen
ökonomische Eigengesetzlichkeiten werden die konstruktiven „Einmischungen
" des „Ökumenischen Netzes" in Baden und der Basisin-
■tiative „Christen für Arbeit und Gerechtigkeit weltweit" sowie der
konziliare Prozeß für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der
Schöpfung genannt.

Zum Teil erleichtern Thesenreihen den Zugang zum Anliegen,
außerdem: „Jedes Kapitel ist so geschrieben, daß es auch für sich
Benommen als Unterlage für einen Abend oder ein Seminar dienen
kann." (18) Der Autor will also nicht für Experten schreiben, sondern
Hilfe bieten, sich sachkundig zu machen. Er will etwas bewirken. Der
Dokumentenanhang liefert dafür ein Lehrstück. Die badische Landessynode
hat sich mit den Positionen, die Duchrow in Vancouver entwickelt
hat, kontrovers auseinandergesetzt. Unüberbrückbare Gegensätze
aufgrund unterschiedlicher leitender Interessen innerhalb ein
u'Kl derselben Kirche werden dabei ebenso sichtbar wie die Bereitschaft
zu lernen.

Die Probleme sind strittig. Vf. vermeidet den notwendigen Streit in
dieser Bekenntnisfrage nicht. Damit erweist er sich als legitimer Erbe
von Barmen. Er ist kein Diplom-Ingenieurökonom. Er ist ein Theo-
'oge, der sich sachkundig gemacht hat und darum bestürzend deutlich
machen kann, wie leicht die Sache der Theologie verfehlt werden kann,
wenn die Ökonomie aus dem kirchlichen Bewußtsein verdrängt wird.

Das Problem stellt sich in spezifischer Weise noch einmal für die
DDR-Kirchen. Verdrängte Probleme wirken auch für ihren Bereich
Unter der Oberfläche weiter. Darum müssen unsere Kirchen ihr vergleichbar
bescheidenes, aber weitmaschig verflochtenes Ökonomie-
eebaren im Licht des Evangeliums intensiv bedenken, wollen sie
einem lähmenden Langzeiteffekt entgegentreten: „Denn wenn unsere

Industriegesellschaft tatsächlich auf Kosten der Zweidrittelwelt reicher
wird, so stellt sich das Problem einer Kirche im Industrieland unabhängig
davon, ob es sich um eine skandinavische Staatskirche, eine
nordamerikanische Freikirche oder eine geschrumpfte Volkskirche'
in der DDR handelt. Denn auf irgendeine Weise wird das Geld der
Industriegesellschaft auch für die Finanzierung der jeweils anwesenden
kirchlichen Institutionen verwandt (. . .)." (278)

Die meisten Kapitel des Buches sind bereits anderswo erschienen.
Das mag Ausdruck dafür sein, wie oft Wichtiges wiederholt werden
muß. Vielleicht signalisiert diese Tatsache aber auch den Mangel an
theologischer Auseinandersetzung mit der heutigen Ökonomie. Vf.
hat ein wichtiges Angebot zur theologischen Auseinandersetzung mit
den Mächten der Welt gemacht. Die zu wünschende Diskussion darüber
wird auch etwas über die Schwerpunkte der gegenwärtigen Theologie
aussagen.

Rostock Jens Langer

' J. Hempel, Impulse, in: ZdZ 39, 1985, 294f; vgl. auch C. T. Kurien, Welche
Wirtschaftsordnung für eine gerechte, partizipatorische und i^berlebens-
fähige Gesellschaft? in: a. a. O. 34, 1980, 213-217; H. Zschocke, Neue Tendenzen
und Formen der Außenexpansion der transnationalen Konzerne, in:
IPW-Berichte 15,1986 Heft 12,40ff.

Zentgraf, Martin: Die theologische Wahrnehmung von Institutionen.

Zum Problem einer theologischen Theorie der Institutionen unter
Berücksichtigung soziologisch-philosophischer und rechtswissenschaftlicher
Institutionstheorie. Diss. Bonn 1983. 333 S. 8".

Zentgraf beschreibt das Anliegen seiner Untersuchung so:
„.. . unter Berücksichtigung der Beiträge von Philosophie, Soziologie
und Rechtswissenschaft (sollen) wesentliche Probleme theologischer
Ordnungs- bzw. Institutionentheorie formuliert und erörtert werden,
um dann den Versuch einer Lösung zu skizzieren . .. keine eingehenden
historischen Würdigungen ... Die gebotene Kürze mag jedoch
einer stärkeren Verdeutlichung der Grundprobleme zugute kommen"
(13). Die Einleitung (5-13) schildert als Ausgangspunkt den unfruchtbaren
Gegensatz von Rechtspositivismus und Naturrecht in der Diskussion
der BRD und weist aufdie Notwendigkeit der Überschreitung
hin.

Das 2. Kapitel untersucht (14-132) das „Problem einer Theorie des
Institutionellen in der evangelischen Theologie". Zunächst werden
die Begriffe Institution und Ordnung geklärt. Unter Institution wird in
weiter Definition (Hegels Rechtsphilosophie aufnehmend) verstanden
ein überindividuelles Gebilde, eine in der Menschheitsgeschichte herausgebildete
gesellschaftliche O/dnung für das Zusammenleben. Ordnungen
meinen „dem Menschen vorgegebene Wirklichkeitsgefüge"
(16) sozialer, nicht naturgesetzlicher Art. Dann setzt die Untersuchung
und Unterscheidung theologischer Ansätze nach fünf „heilsgeschichtlich
zentralen Loci" ein. Wichtig sind dem Vf. dabei Klärung
des theologischen Hintergrundes und „Rekonstruktion der Argumentationsweisen
und deren Konsequenzen" (17). (2.1.-2.2.) Die Begründung
der Ordnungen in der Schöpfung (20-46) bzw. im Erhaltungswillen
Gottes (47-57) wird an theologischen Konzeptionen dieses
Jahrhunderts (E. Brunner, P. Althaus, H. Thielicke) kritisch dargestellt
.

(2.3.) Dann referiert der Vf. die Zwei-Reiche-Lehre und die Unterscheidung
von Gesetz und Evangelium als Beiträge zur Ordnungslehre
(M. Luther, J. Heckel, P. Althaus, G. Ebeling; 58-72).

(2.4.) Die christologisch orientierte Begründung der Institutionen
(73-125) stellt der Autor anhand von K.Barth, D. Bonhoeffer.
J. Ellul (der 1946 als erster den Begriff Institution in die christologi-
sche Rechtsbegründung eingeführt hat), R.-P. Calliess und E. Wolf
dar.

(2.5.) Schließlich wird der Ansatz einer „heilsgeschichtlich-trinita-
rischen Synthese in der Institutionentheorie", wie ihn H. Dombois
entworfen hat, vorgelegt (125-132).